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Die 94 Stunden von Le Mans. Roadtrip.

Le Mans fahren? Extrem anstrengend, ziemlich gefährlich und für die meisten Starter zutiefst frustrierend. Sollen andere machen. Zum Rennen nach Le Mans fahren, mit ‘nem schön kultivierten Sportwagen in drei Tagen und zurück? Wir hatten schon vor dem Start gewonnen.

Ein paar nervöse Geigen, eine tröpfelnde Harfe und eine einsame Oboe in Moll. Schwarzer Porsche auf Steinbrückchen vor Pfütze, durch eine lang gezogene Rechts, eine Allee, über die Sarthe in ein tief schlafendes Dörfchen. Erst an der Kathedrale auf dem Place des Jacobins hält der Elfer kurz inne, bevor er sich in den Süden der Stadt aufmacht und bei Maison Blanche auf die Rennstrecke abbiegt.

Als Steve McQueen 1970 entschied, in der Kinogeschichte einen Platz für 24 Stunden von Le Mans freizuräumen, hätte er den Film auf tausend spektakuläre Arten beginnen können, er entschied sich für die Anreise durch die verschlafene Provinz unter grauem Morgenhimmel, untermalt von melancholischer Musik. Es ist eine Pilgerreise zum größten, ältesten und wichtigsten Langstreckenrennen der Welt, und McQueen war ein tiefgläubiger Petrolhead.

Die 104 Minuten Zelluloid sind ein Hochamt der Geschwindigkeit, in dem viel Gas gegeben und wenig gesprochen wird. An den Kinokassen eher ein verhaltener Erfolg, hat „Le Mans“ zur Legende des Langstreckenklassikers mindestens so sehr beigetragen wie die Siege der Bentley-Boys, der Jaguare, das Duell Ferrari gegen Ford oder die Porsche-Triumphe. Im Museum neben dem Haupteingang zur Rennstrecke prangen überlebensgroß die Portraits von Le-Mans-Gründer Georges Durand, des frühen Dreifachsiegers Louis Chinetti, Enzo Ferrari oder Rekordsieger Tom Kristensen. Den ersten Stau der Besuchermenge gibt es schon zehn Meter hinter dem Eingang. Jeder will ein Foto neben dem Portrait von McQueen, der Le Mans ein Denkmal setzte und längst selbst zu einem geworden ist.

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So kann’s losgehen: Zum Warm Up erst mal ins Le-Mans-Zimmer im V8-Hotel in Böblingen

Seine Filmfigur Michael Delaney fährt Porsche und unsere Reise beginnt in Porsche-Town, wie Stuttgart in der englischen Übersetzung heißt. So richtig in Stimmung kommt der Le Mans-Pilger nicht etwa vor dem Museum der Rekordsieger (19-mal) oder dem alten Backsteinbau in Zuffenhausen, sondern im benachbarten Böblingen.

Das V8-Hotel der Motorworld bietet 26 Themen-Zimmer, im Raum Le Mans für knappe 200 Knicker schläft es sich unter dem 13,6-Kilometerkurs und neben einer wandfüllenden Boxenszene. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, Zeit, in alten Büchern zu blättern, die aktuelle Starterliste zu studieren und nach langer Zeit zum x-ten Mal den Film anzuschauen. „Wir machen da mal eine Ausnahme“, hat Hoteldirektor Markus Hofherr grinsend am Telefon gesagt, schließlich sind wir nur mit einem Sechszylinder angereist, dafür aber mit Doppelturbo und zeitgemäßer Marke.

Der Toyota Supra ist wie gemacht für diese Reise

Die Startnummer eins ist beim diesjährigen Rennen nicht vergeben, denn die tragen wir. Der GR Supra rollt in der Warnfarbe Plasma Orange über den Rhein. Dieses Auto ist das erste von 100 des Sondermodells GT4 Edition Tribute, die Toyota auf Kiel gelegt hat, und es ist ein geweihtes und schlachterprobtes, das bei den knallharten Kollegen von sport auto die Nordschleife in 7,52 Minuten umrundet hat. Nach der Nürburg ist nun die Festung Le Mans dran.

Schon vor vier Jahrzehnten schickte Toyota regelmäßig Autos an die Sarthe, um neben der berüchtigten Safari-Rallye auch den ultimativen Rundstrecken-Knochenbrecher zu gewinnen. Anderthalb Jahrzehnte starben die oft sehr schönen, aber nicht sehr schnellen Renner in Schönheit. Auch Toyota ist längst ein Teil der Le-Mans-Legende, vor allem wegen der dramatischen Niederlagen, so wie 1998, als die rot-weißen Renner erstmals richtig überlegen waren, aber drei Stunden vor Schluss das anfällige Getriebe des souverän führenden GT One einging und Porsche gewann.

Alles nichts gegen 2016, die Mutter aller Niederlagen, als Kazuki Nakajima nach 23 Stunden und 57 Minuten als Erster in die letzte Runde ging und unmittelbar hinter dem Zielstrich liegenblieb. Während sich seine Fahrer in den Armen lagen, ging Wolfgang Porsche rüber zu den Rivalen, um die Trauernden zu trösten. Seitdem schwor man sich beim größten Autohersteller der Welt grimmig entschlossen, den Namen Toyota wie die einstigen Seriensieger Ferrari, Porsche oder Audi untrennbar mit Le Mans zu verschmelzen. Seit vier Jahrzehnten war man dem ersten Sieg erfolglos hinterhergelaufen, von 2018 bis 2022 gab es stets den gleichen Sieger: Toyota.

Zugegeben, letztes Jahr setzte es eine Klatsche gegen Ferrari. Besser ein paar Kerzen anzünden, gegen Hybridausfälle, Sensorpannen, Plattfüße, Getriebe-Zahnausfall, durchgebrannte Kolben oder abgesoffene Elektrik. Paris läge auf dem Weg, aber Notre-Dame ist nach dem furchtbaren Feuer noch nicht wieder geöffnet, also ein schneller Stopp in der einst zweitwichtigsten Stadt Frankreichs. Reims ist so was wie eine pittoreske Mini-Version von Paris, das gilt auch für die Kathedrale, die im Mittelalter die wichtigste Kirche Frankreichs war, denn hier wurden die Könige gekrönt.

Malve und Andrew sind vom Heiligtum völlig hingerissen, dem orangefarbenen natürlich. Das englische Paar steht ergriffen vor dem Supra. „Eigentlich ist mein Mann der Auto-Verrückte, aber das hier gefällt auch mir“, sagt Malve, die alle nur M nennen. Die fröhlichen Briten sind auch Pilger, und sie lieben Schnapszahlen. Letztes Jahr waren sie zum 100. Jubiläum in Le Mans, dieses Mal zum 80. Gedenktag des D-Day. Nächstes Jahr feiert Malve ihren 60. Geburtstag. Da ist dann Deutschland dran, das sie gut kennt, sie war als junge Frau mit der Rhein-Armee in Münster. „Ich liebe Deutschland“, schwärmt sie und winkt zum Abschied.

Frankreich-Liebhaber und Le-Mans-Sieger kommen um eine Sache nicht herum: Champagner, und ganz zufällig liegt Reims in der Champagne, wo sich in wenigen sonnigen Tälern rund 1.300 Dörfchen stauen, in denen in jedem Keller Fässer und Flaschen lagern. „Auf einen Kilometer Straße über der Erde kommen bei uns 110 Kilometer Keller“, behauptet Tajanne, die in der altehrwürdigen Kellerei Boizel durch die heiligen Hallen führt. Noch beeindruckender als die Schatzkammer mit der schmiedeeisernen Gittertür, hinter der allen Ernstes noch Pullen aus dem Gründungsjahr 1834 lagern, ist der Saal mit einem der größten Zwölfzylinder der Welt. Hier warten 37.000 Liter gärender Traubensaft auf ihre Veredelung – pro Tank, versteht sich.

Ultime Zéro klingt wie eine Reifenmischung fürs Qualifying, ist aber die trockenste Variante, die bei der Schaumwein-Verkostung angeboten wird. Mehr als einmal Nippen ist nicht drin, wir müssen weiter zur nächsten heiligen Stätte. Ein paar Kilometer westlich von Reims stehen die Überreste des Circuit de Reims-Gueux. Eröffnet 1926, war der in der späteren Version rund acht Kilometer lange Straßenkurs mit seiner zwei Kilometer langen Geraden eine der traditionsreichsten und mit einem Schnitt von 230 Sachen schnellsten Rennstrecken der Welt – und einer der gefährlichsten.

Der Automobilclub der Champagne war nicht flüssig genug die Strecke den modernen Sicherheitsanforderungen anzupassen, die Pläne eines neuen Kurses, entworfen von Le-Mans-Legende Henri Pescarolo, verliefen im sandigen Boden. Elf Formel-1-Grand-Prix wurden hier bis 1966 ausgetragen, jetzt fegt ein kühler Wind durch die leeren Fensterhüllen des Rennleitungsturms und die bröckelnde Boxengasse. Die unter Denkmalschutz stehenden Reste mit ihren alten Werbebemalungen sind stumme Zeugen der bunten Welt der frühen Siebziger, als Sponsoren-Logos und Farben die alten einfarbigen Rennautos verdrängten. Exakt in jenem Sommer 1970, in dem Steve McQueen Filmkameras auf Le-Mans-Rennern montieren ließ, wurde Reims als Autorennstrecke zu Grabe getragen.

Und so verlassen wir gesenkten Hauptes die Ruinen bei bedecktem Himmel über die Route de Champagne, immerhin steht uns der seidenweiche Sechszylinder stimmungsaufhellend zur Seite, dem es völlig egal ist, ob es bergauf oder bergab geht oder in welchem Gang das Getriebe gerade steckt. Wie ein Diesel wummert der Biturbo los. Das Schaltgetriebe und ein bisschen Diät hier und da drücken das Gewicht der Limited Edition im Vergleich zur gewöhnlichen Automatikversion um 38 Kilo – auf der Habenseite stehen 340 PS und 500 Newtonmeter, die mit uns schön bassig nach Westen bollern.

Wir haben morgen noch einen weiteren Hochgeschwindigkeitstempel auf dem Programm, das Autodrome de Linas-Montlhéry, Baujahr 1924, ging nur ein Jahr nach dem ersten 24-Stundenrennen in Le Mans in Betrieb. Es gab einen Ovalkurs und eine zwölf Kilometer lange Straßenpiste, aber auch hier endeten Leben und bröckelte der Beton, vor allem an den Stützen der Steilkurven. Der aktuelle Betreiber mag nicht gern Besuch, das Tor bleibt geschlossen. Dafür öffnet uns Fred mit Freuden die Portale zu seiner Kapelle. Hinter einer unscheinbaren Ziegelmauer und einem schlichten blauen Eisentor im Pariser Vorort Marolles fallen Freunde des Automobils ergriffen auf die Knie, womit sie sich in Augenhöhe mit Fred Novo befinden, der gerade mit der Bohrmaschine einer Schraube an einem Bugatti 37 Kompressor zu Leibe rückt. „Sorry, heute sind nicht so viele Autos da“, entschuldigt sich der Magier der Marke aus Molsheim. Es ist die Untertreibung des Tages.

Ein Dutzend Bugattis stehen in dem großen Schuppen, den einst der Großvater gründete, dann der Vater übernahm, und nun bringt Fred die blauen Vorkriegsraketen wieder zum Laufen. Der olivgrüne 1931er Typ 44 unter der Plane ist mal gegen deutlich jüngere Talbots Siebter beim alle zwei Jahre ausgetragenen Le Mans Classic geworden, Fred selbst hat den Helm an den Nagel gehängt. Steve McQueens vielleicht berühmtester Satz war: „Rennen ist Leben, die Zeit davor und danach ist bloß Warten.“ Fred sagt: „Zu viele Bestimmungen, zu viel Aufwand, zu viel Stress.“ Er fährt mit dem Bugatti-Familienerbstück, das der Opa einst anschaffte, immer noch rum, aber nur um sich die Luft um die Nase wehen zu lassen, und sich auf einen Kaffee zu treffen. Fred ist kein Orthodoxer, der neue Supra gefällt ihm durchaus auch, zumal er sich in Orange sensationell an das Bugatti-Blau seiner Preziosen schmiegt.

McQueen sagt: „Rennen ist Leben, der Rest ist Warten.“ Fred sagt: „Zu viel Stress!“

Bleu und Orange sind die traditionellen Farben von Gulf, vermutlich der einzige Ölmulti, der ein nahezu unbefleckt positives Image genießt, und das hat er fast ausschließlich Steve McQueen und seinem Film zu verdanken. Obwohl 2024 kein Gulf-gesponserter Renner in der Startaufstellung steht, finden sich Gulf-Jacken und -Mützen allerorten, und die Stammkirche dieser Sekte steht im sonst verschlafenen Chartre-sur-le-Loir, eine Stunde südlich von Le Mans.

Das 1.400-Seelen-Kaff war von den späten Fünfzigern bis in die Siebziger Stammsitz des Teams von John Wyer, der anfangs Aston Martins in Le Mans einsetzte, berühmt aber durch Hollywood mit den von Gulf gesponserten 917 wurde. Im Film holen die blauorangenen Renner einen Doppelsieg, in Wahrheit gab es 1970 eine Klatsche gegen den rot-weißen 917 von Porsche Salzburg. Aber die Lage lässt sich am Freitag vor der 92. Ausgabe des Klassikers mühelos schöntrinken dank der Heineken-Standleitung, die der Hotelbetreiber des aus allen Nähten platzenden Etablissements auf die Terrasse gelegt hat. Auf dem Dorfplatz lümmeln sich Supersportwagen vom gelben Lamborghini Murciélago bis zum Aston Martin DB3.

Er ist fest in britischer Hand. Andrew ist aus Warwick gekommen und hebt die Hand: „Ich glaube, Japaner sind hier nicht erlaubt.“ Bei näherem Hinsehen findet er aber durchaus Gefallen am Supra, der auf der Insel nicht wenige Fans hat. Kumpel Alex rühmt sich eines scharfen Clio RS und ist nach der Sitzprobe sehr angetan. „Was kostet der?“ „In einer vernünftigen Währung“, betont ein patriotischer Buddy neben ihm. „Na ja, hier bei uns kostet er knappe 70 Riesen, bei euch nach dem Brexit wer weiß? Hundertfünfzigtausend?“ „Der Punkt geht an dich,“ gesteht der Insulaner. „Das haben wir sauber verkackt“, sagt er und nimmt einen tiefen Zug aus dem Plastikbecher.

Gemäß Drehbuch ist Michael Delaney, von hier aus zur Rennstrecke aufgebrochen. Die Region Sarthe ist eine verschlafene Provinz. Man kennt sie von der Durchreise auf dem Weg in die Normandie und Bretagne. Die Leere hat ihre Vorteile, es ist viel Platz für Landschaft, Straßen und einen einsamen Supra. Da ist die Allee, da das kleine Restaurant in der Kurve und die Dorfkirche von Fillé, da die Brücke über den Fluss. Und in einer schwungvollen Links-Rechts ist da plötzlich auch die einsame Oboe wieder. Komponist Michel Legrand hätte mit dem Soundtrack fast den Golden Globe gewonnen, er unterlag knapp einem echten Schwergewicht: Isaac Hayes mit dem Kulthit „Shaft“.

Das Zeug zum Kult hat auch das 2024er Rennen in Le Mans. 300.000 Zuschauer, acht Werksteams mit Topautos. Anfangs sieht es wie im Film nach einem Duell Porsche gegen Ferrari aus. Dann kommt der Regen, die Nacht, eine lange Safetycar-Phase und der Restart am Morgen mit einem dicht zusammengepackten Feld, in dem plötzlich die im Training noch weit hinten rangierenden Toyota auf eins und drei liegen.

Eine Stunde vor Rennende ist die Frage, ob es am Abend Sushi, Pasta oder Spätzle gibt, noch völlig ungeklärt. Und wie im Film stapeln sich die Dramen. Bei Ferrari Nummer 50 ist bei einer Kollision die Tür aufgesprungen, die nicht mehr schließt. Die Rennleitung zwingt das Auto für einen lähmenden Stopp an die Box. Die 51 dreht in einem sehr optimistischen Manöver den Toyota mit der 8 um, kriegt aber nur eine Fünf-Sekunden-Strafe, während Brendan Hartley im Toyota eine Minute und das Rennen verliert. Nicklas Nielsen kann in der 50 nicht mehr wirklich angreifen, sein Sprit reicht bei vorsichtiger Fahrweise gerade bis ins Ziel.

José Maria Lopez säße jetzt eigentlich daheim am Fernseher, aber weil sich Mike Conway bei einem Radunfall das Schlüsselbein gebrochen hat, ist der Routinier aus Argentinien ins Team gerückt und führt rund 50 Minuten vor Ende das Feld an. Dann dreht er sich auf glitschiger Piste in der Dunlop-Schikane, und beim letzten Boxenstopp ist der Nielsen-Ferrari vorbei. In einem Rennen, in dem nach dreiundzwanzigeinhalb Stunden noch neun Autos in einer Runde liegen, wird Toyota um 14 läppische Sekunden geschlagen. Ruhm und Legendenbildung tun derlei Niederlagen keinen Abbruch. Im Film wird der große Held Michael Delaney auch „nur“ Zweiter.

Der Supra mit Chassisnummer eins von 100 ist auf dem Heimweg. Kurz vor Stuttgart noch mal runter von der Autobahn. Die Abkürzung des Dreiecks Leonberg führt über eine weitere geschichtsschwangere Piste. Die Solitude war einst mit 22 Kilometern so lang wie die Nordschleife und – 1926 eingeweiht – nur unwesentlich jünger als Le Mans. Auf der Landstraße hinter dem historischen Rennleitungsturm noch einmal den Schub des Dreiliter-Doppelturbos spüren, sich wie ein Kind über den automatischen Gasstoß beim Runterschalten freuen, noch einmal das agile Fahrwerk und die präzise Lenkung genießen. Und da, im endlosen Geschlängel des Madentals, da ist sie wieder: die einsame Oboe.

TEXT Markus Stier
FOTOS Michael Orth

LESENSWERT.
WALTER.