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VW Golf Bimotor. Doppelherz.

Mit dem futuristischen Elektro-Rennwagen I.D. R hat Volkswagen den Pikes Peak in Rekordzeit gestürmt. Fast zeitgleich wurde sein nicht minder revolutionärer Urahn zum Leben erweckt: ein Golf, aber nicht irgendeiner. Es ist der erste Wolfsburger Motorsportler mit Allrad und Turbo. Letzteres gab es sogar im Doppelpack. Herzlich willkommen im Bimotor-Golf von 1985 und 1986.

Fühlt es sich so an, wenn man betrunken Auto fährt? Zündung, Startknopf, die Anzeigen für Öldruck, Öl- und Wassertemperatur – all das sieht man doppelt, wenn man im Cockpit dieses VW Golf Platz nimmt. Beim Tritt auf das elektronische Gaspedal (von dem es zum Glück nur eines gibt) schießen zwei Drehzahlmesser in Richtung der 7.500er-Marke. Da gerät sogar das spacige hellgraue Lederlenkrad zur Nebensache. Nein, wir sind natürlich nicht betrunken, aber der Designer des Lenkrads muss irgendetwas geraucht haben. So viel steht fest.

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Jochi Kleint war dafür nicht zuständig. Der Norddeutsche war allerdings dafür verantwortlich, dieses Gefährt 1985 und 1986 die 19,99 Kilometer lange Schotterpiste auf den Gipfel des Pikes Peak hochzujagen. Und das gar nicht mal schlecht. Beim Debüt wurde er als Gesamt-Dritter und „Rookie of the Year“ abgewunken, bei der Rückkehr verhinderte ein Elektrik-Problem ein besseres Ergebnis als Platz drei. Der Sieg ging jeweils an Audi.

Das Doppelspiel im Cockpit zieht sich durch das ganze Auto. Neben dem üblichen Frontmotor haben die Volkswagen-Ingenieure ein zweites Aggregat in Jochis Rücken gepflanzt. Im ersten Jahr arbeiteten vorn wie hinten gewöhnliche Saugmotoren mit jeweils 195 PS, denen auf dem Weg zum Gipfel allerdings die Puste ausging. So beschloss Volkswagen, das Auto im Folgejahr zwangsweise zu beatmen. Statt der Sauger installierten die Techniker zwei 1,3-Liter-Serienmotoren aus dem VW Polo in Bug und Heck, in deren Abgassystem jeweils ein KKK-Turbolader integriert wurde. Die Gesamtleistung stieg dadurch in Quattro-ähnliche Sphären von 500 PS. „Richtig fein“, findet Arnd Bleymeyer die technische Lösung. „Da hat Volkswagen richtig Geld in die Hand genommen.“

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Der Schwabe arbeitet in der Motorsport-Firma von Sammler Wolf-Dieter Ihle und hat zusammen mit seinem Kollegen Sven Belz dafür gesorgt, dass das Doppelherz des Golf erstmals nach über 30 Jahren wieder schlägt. Als sich Volkswagen dem Nachfolger widmete – dem von Konstrukteur Kurt Bergmann entwickelten Nixdorf-Golf auf Basis eines Gitterrohrrahmen-Chassis – geriet der Vorgänger zur Nebensache. Fahrersitz, BBS-Felgen und die abgedunkelten Rücklichter durfte er noch spenden, ehe er weggestellt, vergessen und verkauft wurde.

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Im Sommer 2017 übernahm Ihle den Bimotor-Golf, aber erst nach Rücksprache mit seinem Technik-Team. „Meine Jungs hatten keine Bedenken, dass sie das Auto technisch auf die Reihe kriegen. Also habe ich kurzen Prozess gemacht und zugeschlagen“, erklärt der Bankkaufmann aus Stuttgart, der den Prototypen im praktisch unberührten Originalzustand übernommen hat. „In den Radkästen haben wir noch jede Menge echten Pikes-Peak-Staub gefunden“, strahlt Ihle und hält stolz eines von 36 Reagenzgläsern vor unsere Kameralinse. Die will er beim ersten Einsatz des Autos, dem Eifel Rallye Festival, für einen guten Zweck an seinem Service verkaufen.

In der Zwischenzeit hat die Mannschaft von Ihle Motorsport das Auto komplett restauriert, dabei jedoch die Patina erhalten. Katscher im Lack durften bleiben, Kabelbinder wurden möglichst wieder an derselben Stelle festgezurrt. Wirklich neu sind eigentlich nur Gurte und Feuerlöscher. Das meiste geschah in Eigenregie. Dabei hat Ihle praktisch keine Unterlagen zu dem Bimotor-Golf. „Wir haben nicht mal eine Pressemitteilung von dem Rennen, aber anscheinend haben wir trotzdem mehr Material als Volkswagen selbst“, sagt Wolf-Dieter Ihle. Umso verwunderlicher ist es, dass ausgerechnet eine der extern ausgeführten Arbeiten für die größten Bauchschmerzen sorgte. „Verzweiflung gab es in der Bauphase nur, weil die Motoren zu spät fertiggestellt wurden“, beschreibt Ihle.

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Die Motoren, oder besser gesagt: die Synchronisation eben dieser, war die größte Herausforderung. Die beiden Triebwerke arbeiten komplett unabhängig voneinander. „Die einzige mechanische Verbindung ist die Straße“, beschreibt Bleymeyer. Jeder Motor hat sein eigenes Fünf-Gang-Getriebe und seine eigene Kupplung, die über ein Gaspedal und einen Schalthebel bedient werden.

Hier zeigt sich, dass das Auto nicht in der Motorsport-Schmiede, sondern in der Entwicklungsabteilung entstanden ist. Beim Getriebe handelte es sich um eine Einheit, die erst im 1991 erschienenen Golf III Diesel zum Einsatz kam. Das elektronische „Fly-by-Wire“ Gaspedal kam erst 1994 mit dem Audi A4 auf den Markt. Eben dieses muss man ganz tief durchdrücken, um die Motoren aufeinander abstimmen zu können. „Die elektronische Synchronisation funktioniert nur im Volllast-Bereich“, erklärt der Mechaniker. „Nur auf den letzten fünf Millimetern kannst du bestimmen, welcher Motor wie viel Leistung bekommt.“

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Teils waren die technischen Lösungen weniger futuristisch. In der hinteren rechten Fahrzeugecke fanden die Ihle-Mechaniker einen Plastikbehälter und das dazugehörige Etikett: „Titan Windshield Washer 3,7 l“. Die Erklärung: Bei den Training-Sitzungen am Pikes Peak wurde der Motor zu heiß. Also stopften die VW-Mechaniker die Gallone Wischwasser ins Heck und stopften dort eine kleine Pumpe rein, die Wasser ansaugte und mit Hilfe von Düsen auf den Wasserkühler spritzte. Problem gelöst. Improvisation war auch andernorts gefragt. In die Öffnungen der hinteren Seitenscheiben wuchsen US-amerikanische Ölkühler, der im Golf allerdings zur Kühlung des Benzins verwendet wurden.

„Das ist eben ein echter Prototyp“, fasst Ihle schulterzuckend zusammen. Er hat mittlerweile im blauen VW-Motorsport-Sitz Platz genommen und ist bereit, mit der Startprozedur zu beginnen. Notschalter ein, Zündung an, Startknopf drücken. Jawoll, Motor eins ertönt. Dann dasselbe Spiel nochmal: Zündung, Startknopf – und Motor zwei meldet sich zum Dienst. Nicht nur die vielen Schalter erinnern an ein Flugzeug. Die Symphonie der Vierzylinder klingt schwer nach einer zweimotorigen Cessna. Einen Soundgenerator wie der Volkswagen I.D. R Pikes Peak braucht der Bimotor jedenfalls nicht.

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Vor der Ausfahrt aus der Werkstatt betätigt Ihle einen weiteren Schalter. Oder besser gesagt: einen Metallstift, der direkt neben dem Schaltknauf angebracht ist. „Damit kann ich den Motor auswählen“, erklärt Ihle. Steht der Schalter links, wird beim nächsten Gangwechsel nur der vordere Motor geschaltet. Steht er rechts, nur der hintere. In der Mitte werden beide Motoren bedient. Das System ist vor allem fürs Rangieren oder für Notfälle vorgesehen. Sollte ein Motor ausfallen und das dazugehörige Getriebe blockieren, kann man es entkoppeln und mit dem anderen weiterfahren. Allerdings nur mit dem vorderen: An das hintere Triebwerk ist keine Lichtmaschine angeschlossen – vermutlich aus Gewichtsgründen.

Obwohl Ihle den Metallstift auf Mittelposition bringt, haut einen der erste Gasstoß nicht vom Hocker. „Bei niedrigen Drehzahlen fährt er sich wie ein Traktor“, gibt Ihle zu. Außerhalb des Turbobereichs leisten die kleinen 1300-Kubik-Motoren nur 80 PS – in die Summe wohlgemerkt! – bei 1.050 Kilo Leergewicht. Doch bei 4.000 Touren setzt der doppelte Hammer ein. Jetzt merkt man, dass man in einem Rennwagen sitzt. Das Handling ist dank der günstigen Gewichtsverteilung von 50:50 gutmütig, über die Synchronisation der Motoren soll ein leichter Hang zum Übersteuern geschaffen werden.

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Durch das geringe Drehzahlband ist viel Schaltarbeit gefragt und die erfordert Krafteinsatz. Beim Tritt auf das linke Pedal müssen zwei Kupplungen getrennt werden, um dann mit der rechten Hand zwei Gänge einzulegen. „Das geht viel schwerer als bei einem normalen Auto, aber wenn man drinsitzt, ist das auch nicht so tragisch“, wiegelt Ihle nach den ersten Kilometern ab, um dann zu ergänzen. „Wenn man damit eine ganze Rallye fahren würde, wäre das vielleicht eine andere Sache.“

Ihle ist nicht dafür bekannt, seine Sammlung in der Garage verstauben zu lassen. Beim Bimotor-Golf ist die Lage zumindest etwas anders. Kurzeinsätze wie beim Eifel Rallye Festival, wo der Bimotor-Golf im Rahmen der Pikes-Peak-Parade von seinem ehemaligen Lenker Jochi Kleint bewegt wird, ja. Aber ob auch mehr daraus wird? „Ich weiß gar nicht, ob man damit eine komplette Rallye fahren kann“, sagt Ihle. „Die Technik ist ja nur für Sprints ausgelegt.“ Das zeigt sich vor allem beim Tank, der 40 Liter fasst und wohlgemerkt zwei Turbomotoren bedienen muss. „Da brauchst du nach jeder WP eine Tankstelle.“

Technische Daten VW Golf Bimotor

Karosserie: Umgebaute und verstärkte VW Motorsport-Karosse; Ãœberrollkäfig: Matter; Motoren: je ein 4-Zylinder 8-Ventil VW Polo Motor quer eingebaut; Hubraum: je 1.291 cm³; Leistung: je 184 kW (250 PS) bei 7.000 U/min; Turboaufladung: je 1 KKK K24 mit Ladedruck zwischen 1,4 und 2,0 bar; Max. Drehmoment: je 250 Nm bei 6.000 U/min; Antrieb: Allrad durch 1 Motor je Achse; Tankinhalt: 40 Liter Sicherheitstank; Felgen und Reifen: Dreiteilige BBS 8J x 16 mit Michelin 225/50 VR 16; Gewicht: 1.050 kg leer; Beschleunigung: 3,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h

TEXT Sebastian Klein
FOTOS Wolf-Dieter Ihle

LESENSWERT.
WALTER.