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Walter Röhrl und die Rallye Monte Carlo 83.

Das komplette Programm: Haareschneiden, Bartstutzen, Duschen und Bügeln. Herr Röhrl ist immer für Sie da. Die Originalstory von der Rallye Monte Carlo 1983.

Wenn Walter Röhrl sich den Lancia anzieht, wenn er seine zwei Meter (mit Sturzhelm) knickt und faltet wie eine Giraffe beim Bodenturnen, wenn er die dünnen Sprossen zielsicher in den dunklen Schacht seiner tapezierten Fachwerk-Höhle schiebt, fühlt er sich ordentlich gekleidet.

Von Platzangst keine Spur, auch nicht von jener flauen Skepsis, die er beim ersten Betrachten dieser zierlichen Rohrrahmenkonstruktion unter der Kunststoffhaut gefühlt hatte. Dies ist die konsequenteste Rallye-Maschine, die je gebaut wurde, eng verwandt mit einem Formel-Auto. Ein Quattro ist dagegen ein verschnörkelter Liebhaberwagen (auch bei Audi ist ja ein viel extremeres Gerät in Vorbereitung, man erwartet die Absegnung durch den Vorstand in den nächsten Wochen).

Die Technik schlägt sich auf den Charakter des Lancia Rally, der ein Driften kaum noch zulässt, einen bösartig­schmalen Grenzbereich hat und auf brutale Art beschleunigt und verzögert. Der Vorgang des Bremsens hört sich in der warmen Sprachfärbung des Bayern Christian Geistdörfer nach intensiv erlebter Physik an: „Wenn sich der Walter in die Eisen haut, bleibt mir’s Hirn stehen.“

Walter Röhrl Rallye Monte Carlo 1983

Auf den Vortrag seines Gebetsbuchs darf sich das nicht auswirken, es wird schneller gelesen als je – und auch mehr. Gerade in einer grundsätzlichen trockenen Rallye, in der jeder Schneefleck und jede Eisplatte zum Aha-Erlebnis werden (vor allem mit Slicks), tragen die Eisbeobachter jedes Detail ins Gebetbuch ein, und von ein und derselben Ecke gibt es getrennte Straßenzustandsberichte für Kurveneingang und -ausgang. Der Vorleser braucht Atemtechnik wie ein Tenor, nichts peinlicher, als wenn dir vor hundertzwanzig-über-Kuppe-Achtung-Links­Minus-wird-eng-Eis-in-der­Mitte die Luft wegbleibt.

Psychologisch gesehen, ergab sich eine reizvolle Konstellation. Der Champion kehrte zurück zu jenem Team, das ihm den ersten Weltmeistertitel ermöglicht hatte, inzwischen war er neuerlich Weltmeister geworden und hatte sich den Ruf eingehandelt, schwierig zu sein. Falls man Schlagworte will: Anti-autoritär und alternativ, eine Art grüner Rallyefahrer. Und der Gegner früher Jahre, Markku Alén, war noch immer in diesem Team, nach wie vor auf einer Wellenlänge, die niemals die des Walter Röhrl sein würde. Dazu noch ein Gaststar mit Heimvorteil, Jean-Claude Andruet, auf Asphalt abenteuerlich schnell, aber ein Chaote aus der alten Pulverdampf-Generation. Und im Rückblick der Pressewirbel anlässlich von Röhrls Abgang bei Opel und vielleicht ein Hauch von Missgunst aus dem alten Lager – eine Menge Faktoren, die sich einem sensiblen Menschen auf die Nerven schlagen könnten.

Walter klärt die Sache

Bevor er darüber allzusehr ins Grübeln geraten würde, beschloss Röhrl, etwas heftiger Gas zu geben, vielleicht ließen sich auf diese Art die Dinge klären.

Bald nach Beginn der großen Schleife hatte er säuberlich aufgeräumt, im eigenen Team und bei den anderen, und es blieb eigentlich bloß die Frage offen, wie man sich hinter Röhrl arrangieren würde, was ihn mit nur mäßiger Neugier erfüllte.

Seit der Turini immer trocken ist und in der letzten Nacht keine Entscheidungen mehr zu fallen pflegen, seit sich in Burzet die Naturgewalten mäßigen und die Bauern keine Nägel mehr streuen, bringt die klassische Prüfung von Le Moulinon nach Antraigues die meisten Emotionen zum Schwingen. Sie ist im wilden Land westlich der Rhône, sehr lang (38 km), stürmt mit kurzen Kehren auf den Col de la Fayolle und springt in wechselndem Rhythmus von engen Ecken und langen schnellen Schwüngen ins Tal.

Walter Röhrl (Lancia 037) Rallye Monte Carlo 1983

Röhrl war bereits hinlänglich in Führung, spürte aber den symbolhaften Gehalt von Le Moulinon: Dort kannst du dich moralisch aufbauen oder abmontieren. Der Rekord aus dem Vorjahr stand auf 26:21 Minuten (von Röhrl), inzwischen war Jean-Claude Andruet bei der Tour de France aber schneller gefahren. Andruet gilt als Hausherr von Le Moulinon, als Gipfelwart des Col de la Fayolle. Christian Geistdörfer merkte bald, dass auf dieser Prüfung alles klappte, Röhrl fuhr unheimlich präzis und mit phantastischem Druck. Nach der Hälfte lag der Wagen nicht mehr so gut: Die Reifen bauten ab, weil sie zu heiß waren, was bei dieser speziellen neuen Reifengeneration vorkommen kann (sie sollen möglichst rasch auf optimale Betriebstemperatur kommen). Je schlechter die Gummi hafteten, um so spektakulärer wurden die Bewegungen des Lancia.

„Sie werden Dich nie vergessen!“

Dann kam eine haarige Stelle an einem Ortsausgang, acht Kilometer vor dem Ziel. Aus sehr hohem Tempo musste in einen scharfen Rechtsabzweig eingefädelt werden. Der Lancia kam aus einer langen schnellen Linken in die kurze Gerade, ließ sich mit den heißen Slicks einen Drift gefallen, aus dem volle Breitseite wurde, wie in guten alten Heckschleuder­Tagen, bloß doppelt so schnell, und als ob er auf eine Funkstrahl sitzen würde, schoss der Wagen haargenau in den engen Rechts-Abzweig. Geistdörfer musste weiterlesen und konnte erst im Ziel seinem Herzen Luft machen: „Weißt du, dass dich die Menschen da oben ihr ganzes Leben lang nicht vergessen werden?“

Röhrl nickte wissend und erlaubte sich die Disziplinlosigkeit eines Lächelns. Dann sagten sie ihm die Zeit, 24:30, fast zwei Minuten besser als die bisherige Monte-Bestzeit, eine Minute besser als Andruets absoluter Rekord. Aber noch war Andruet auf der Strecke, von ihm wusste man, dass er seine letzte Faser mobilisieren würde, und es gibt keinen, der den Fayolle besser kennt als Andruet.

Walter Röhrl (Lancia 037) Rallye Monte Carlo 1983

Der Franzose war drei Sekunden langsamer und verstand die Welt nicht mehr, heulte ein Stückchen und knurrte ins erste Mikrophon, dass er sich gedemütigt fühle. Bis zum Parc Fermé in Vals les Bains hatte er sich soweit gefasst, dass er Röhrl gratulieren konnte, offensichtlich ehrlich und voll Pathos und Überschwang.

Was sagte Röhrl? „Danke für die Glückwünsche. Meine Reifen waren am Ende, es war ganz schrecklich. Am Schluss bin ich gefahren wie ein Taxi.“

Soweit der bayerische Beitrag zur Moral der französischen Truppe.

Weder auf der großen Schleife noch in der letzten Nacht kam Röhrl auch nur andeutungsweise in Schwierigkeiten. Weil man die erste Prüfung der Schlussrunde zu einer letzten Schlüsselstelle hochstilisierte, duschte er dort noch einmal alle ab, als ob das Ausmaß seines Vorsprungs nach Belieben zu steuern wäre.

Alle anderen hatten den undankbaren Job, auf der Schattenseite des Glanzes herumzuturnen, jeweils ein paar Sekunden langsamer und oft genug in großartiger Manier. Etwa Markku Alén als zweiter, oder Jean-Claude Andruet, der mit Kompressorschaden (und anschließendem Wechsel) belastet wurde.

Oder die Quattros. Bei ein bisschen Schnee hätten sie auch einen Röhrl vertragen können, und selbst so, auf trockenen Straßen, waren sie allen überlegen, bloß nicht den Lancias. Michèle Mouton flog raus, kurz und heftig, Stig Blomqvist fuhr ein sensationelles Monte­Debüt, aber ihm traut man ja eigentlich alles zu. Bei Mikkolas viertem Platz und seinem Rückstand auf Stig muss vermerkt werden, dass er gleich zu Beginn rausgerutscht war und später zeitweise mit geringerem Ladedruck fuhr.

Drittbestes Team war Opel.

Frequelin fuhr zu Beginn unglaubliche Zeiten, bis er rausflog, dann zog sich Toivonen hoch, bis ihn eine Felsberührung bremste. Am Ende war Ari Vatanen bestplatzierter Mann der Truppe, obwohl er nicht so recht in Form war, zumindest nach dem, was man von ihm erwartet und wie man ihn gegenüber Toivonen einschätzt, nämlich gleich schnell.

Renault verbuchte diesen Monte-Einsatz unter Entwicklungsarbeit. Die neue Gruppe­B-Version des R 5 turbo passt hinten und vorne, oben und unten nicht zusammen und verträgt sich nicht mit ihren Reifen. Mit solchen Umständen kann höchstens ein Thérier fertig werden, der merkt nicht, dass da was nicht stimmt, sondern fährt einfach Bestzeit.

Dies geschah auf der allerersten Prüfung, danach streikte das Getriebe, und Freund und Feind waren traurig, auf die Show diesen faulen Genies verzichten zu müssen. Seine Mitstreiter fuhren den Entwicklungsauftrag tapfer, aber glanzlos zu Ende. Ähnliches kann auch vom Antreten des einzigen Werks-Datsun – SaIonen – gesagt werden.

Der Sieg fand am Morgen statt, wie immer in Monte Carlo.

Danach hatte sich Röhrl eine geräumige Frist von vier Stunden gesetzt, um den Medien zur Verfügung zu stehen, aufmerksam, höflich, gutgelaunt und selbst durch deutsche Radioreporter („War es eine Kaffeefahrt?“) nicht aus der Bahn zu werfen. Dann ging ihm langsam die Kraft zum Fröhlichsein aus, man kann sich ja nicht ewig freuen, und beim Mittagessen fiel er ein wenig ins Grübeln. Als er endlich den versäumten Schlaf der letzten Nacht konsumieren wollte, teilten sie ihm mit, dass er wahrscheinlich disqualifiziert werde. Irgendwas mit dem Ölbehälter werde beanstandet. Immerhin würde es nicht nur ihn treffen, sondern gleich die ersten vier Teams (bei Audi handelte es sich um ein paar Millimeter an der Kotflügelverbreiterung).

„Dann wird also der Herr Vatanen zum Sieger erklärt“, sagte Röhrl, „dagegen ist nichts einzuwenden, er ist ja wirklich brav gefahren.“

Walter Röhrl Rallye Monte Carlo 1983

Dann kam ihm das zu sarkastisch vor, schließlich würde Vatanen schrecklich unter dieser Situation leiden, er ist keiner, der sich einen Sieg schenken lässt, und Röhrl sagte. „Das hat mit mir nichts zu tun. Ich hab die Rallye gewonnen und alle haben’s gesehen. Das genügt. Ich geh jetzt schlafen.“

Als er sich erhob, war er doch wieder Sieger. In einer unerwarteten Phase der Erleuchtung hatte die Jury von der Disqualifikation der Lancias und Audis Abstand genommen. In Monaco hat man sich mit Siegen nicht-französischer Autos und ausländischer Fahrer immer ein wenig schwer getan, und die Technischen Kommissäre sind seit Jahrzehnten auf einem Profilierungs-Trip – es wäre also kein Wunder gewesen, wenn man ein paar Haare mit dem Beil gespalten hätte.

So blieb es halt bei der altmodischen Art, dass der Schnellste gewinnt, und der Zweite wird Zweiter, und der Fünfte bleibt Fünfter.

Ergebnis Rallye Monte Carlo 1983

NameMarke
1. Röhrl/Geistdörfer (D)Lancia 037
2. Alén/Kivimäki (SF)Lancia 037
3. Blomqvist/Cederberg (S)Audi Quattro A1
4. Mikkola/Hertz (SF/S)Audi Quattro A1
5. Vatanen/Harryman (SF/GB)Opel Ascona 400
6. Toivonen/Gallagher (SF/GB)Opel Ascona 400


TEXT Herbert Völker
FOTOS Girardo & Co. Archive

LESENSWERT.
WALTER.