Die Elektromobilität bei Sportwagen entwickelt sich immer mehr zur Glaubensfrage. Und die ist tatsächlich ziemlich vielschichtig. Nutzt man Super-Kondensatoren, die die Energie schnell aufnehmen und genauso schnell wieder abgeben, dafür aber eine geringe elektrische Reichweite liefern. Oder nimmt man einen klassischen Plug-in-Hybrid-Antrieb und ermöglicht damit rein elektrischen Fahren über eine längere Strecke. Allerdings kommt mit der größeren Batterie auch mehr Gewicht ins Auto. Diesen Weg geht McLaren beim Artura. Allerdings ist Leichtbau Teil des britischen Sportwagenbauers.
Das Monocoque besteht aus Carbon und auch bei den Hilfsrahmen vorne und hinten kommt genügend Alu zum Einsatz. Beim Artura nutzen die Briten die Gelegenheit, die neue MCLA-Plattform (McLaren Carbon Lightweight Architecture) einzuführen, bei der mehr Platz im Innenraum ist und die kleineren Schweller das Ein- und Aussteigen in den Flügeltürer deutlich erleichtern. Auch die leichteren Pforten schwingen näher an der Karosserie nach oben. Unser Testwagen war mit den optionalen Clubsport-Sitzen ausgestattet, die sehr bequem sind und auch bei der Kopffreiheit deutlich mehr Raum gewähren als bisher.
Auch das Gewicht geht nach unten. Und nicht nur beim Gestühl: Die Ingenieure Kilos eingespart haben, wo immer es geht. Deswegen wiegt der PHEV-Sportler lediglich 1.498 Kilogramm. Das liegt auch daran, dass im Rücken des Fahrers nur noch sechs statt acht Töpfen werkeln. Der neue M630-Motor hat drei Liter Hubraum, ist um 15 Zentimeter kürzer und wiegt rund 160 Kilogramm, das sind um circa 50 Kilogramm weniger als die bisherigen Achtender. Dass beim Artura alles dem Diktat der Querdynamik untergeordnet ist, zeigt die Tatsache, dass das neue Triebwerk an seinem höchsten Punkt um vier Zentimeter flacher ist als die Vorgänger-Aggregate.
Kompakt ist ohnehin eines der Schlüsselattribute beim Artura. Das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe ist neu, hat eine 15,6 Kilogramm schwere 70 kW / 95 PS Elektro-Scheibe sowie ein E-Differenzial integriert. Da der Elektromotor die Funktion des Rückwärtsgangs übernimmt, braucht die Schaltung um vier Zentimeter weniger Bauraum als die Version mit sieben Fahrstufen. Dank der 7,4-Kilowattstunden-Batterie kommt der neue McLaren mit reiner Elektropower bis zu 31 Kilometer weit und ist bis zu 130 km/h schnell. Also können die Reichen und die Schönen den PHEV-Sportler in den Umweltzonen der belebten Innenstädte ausführen. Nach 2,5 Stunden sind die Akkus zu 80 Prozent wieder gefüllt.
Allerdings unterscheidet sich die Front nur unwesentlich von den anderen Modellen des britischen Sportwagenherstellers. Hier könnten die Exterieur-Designer langsam etwas mehr Mut beweisen. Das breite Heck mit dem schmalen Leuchtbändern gefällt nach wie vor. Diese Ansicht werden die meisten Verkehrsteilnehmer genießen. Denn der Artura steht mit einer Systemleistung von 500 kW / 680 PS seinen hochgelobten Brüdern in nichts nach, durcheilt nach nur drei Sekunden aus dem Stand die 100-km/h-Grenze und fliegt mit maximal 330 km/h dem Horizont entgegen.
Die Längsdynamik stimmt schon mal. Die wirft gleich die nächste Glaubensfrage auf: Die McLaren-Ingenieure nutzen den Elektromotor auch dazu, um die Fahrbarkeit zu verbessern, indem er mit seinem maximalen Drehmoment von 225 Newtonmetern die Turbolöcher stopft und nicht für den Dampfhammer sorgt, der den Fahrer in den Sitz presst. Diese ausgeglichene Charakteristik passt zum Konzept des Artura. Trotz seiner Kraft lässt sich der Briten-Sportler völlig entspannt bewegen, das maximale Drehmoment von 720 Newtonmetern steht bei 2.250 U/min parat und bleibt bis 7.000 U/min erhalten, was die Fahrbarkeit erhöht. Die elektrisch-hydraulische Lenkung macht ihrem guten Ruf alle Ehre, teilt dem Piloten eindeutig mit, wie es um die Traktion bestellt ist und hilft dabei, den Supersportler intuitiv um die Ecke zu zirkeln. Dazu passen die mächtigen Carbon-Keramik Bremsen mit 390er Scheiben und sechs Kolben vorne, die gewohnt bissig zupacken, aber dabei immer sauber dosierbar bleiben.
Ob Landstraße oder Rennstrecke, für diesen McLaren sind Geraden nur die kürzeste Verbindung zwischen zwei Kurven. Einlenken, auf den Scheitel zielen und dann progressiv wieder auf das Gas steigen. Der Artura absolviert diese Sequenz mit einer beeindruckenden Leichtigkeit, ohne dabei die spitze Kompromisslosigkeit eines Lamborghini Huracan Tecnica zu verströmen. Dieser Mittelmotor Sportwagen fährt sich unspektakulär und genau das macht ihn so spektakulär.
Die neue Multilink-Hinterachse lässt im Zusammenspiel mit dem elektronisch aktivierten Differenzial dem Heck genau so viel Auslauf, dass es den Fahrer nicht aus der Ruhe bringt. Das Hinterteil tänzelt leichtfüßig um jede Hecke, hilft beim Durcheilen der Kurven eifrig mit und nimmt auch Lastwechselreaktion souverän hin. Mit den beiden Drehhebeln hinter dem Lenkrad stellt man den Antriebsstrang und die Dämpfer nach seinem Gusto scharf. Selbst in Track-Fahrprogramm mutiert der Artura nicht zum ungezähmten Biest. Ein Chip in den eigens entwickelten Pirelli-Reifen sorgt dafür, dass man stets über den Zustand der Pneus informiert bleibt und sieht, wenn die Gummis die perfekte Temperatur haben.
Gut, der Bass des Motors erreicht nicht ganz das Volumen der Achtzylinder, aber der satte Klang der sechs Töpfe macht ein Radio immer noch überflüssig. Die adaptiven Dämpfer verleihen den Sportler Alltagskomfort, sobald man den entsprechenden Fahrmodus wählt. Der von McLaren angegebene Verbrauch von 4,6 l/100 km ist bei einem solchen Auto natürlich illusorisch, aber wir kamen mit 9,6 l/100 km aus, solange die Batterie Saft hatte, obwohl es fast ständig bergauf ging. Wer will, kann sich auch elektronische Helfer wie einen adaptiven Tempomaten mit Stop-and-go-Funktion, einen Spurhalteassistenten, einen Fernlichtassistenten und eine Verkehrszeichenerkennung ins Auto holen.
Das Cockpit mit dem typischen Tablet im Hochformat, das mit dem Bedienknopf rechts einer Smartwatch ähnelt, ist vertraut und man findet sich in den Menüs schnell zurecht. Man nimmt erfreut zur Kenntnis, dass man jetzt das Smartphone per Apple CarPlay oder Android Auto einbinden kann. Die neue Ethernet-Architektur macht den Kabelbaum nicht nur um 25 Prozent leichter als bisher, sondern erlaubt auch drahtlose Updates und damit könnten die Software-Probleme, über die sich so mancher McLaren-Fahrer ärgerte, der Vergangenheit angehören. Das darf man aber für einen Preis von 230.500 Euro auch erwarten.
TEXT Wolfgang Gomoll für WALTER