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Wasserstoff im Auto. Er ist wieder da.

Wasserstoff gilt seit einem Vierteljahrhundert abwechselnd als Treibstoff der Zukunft und dann wieder als ökonomische und ökologische Sackgasse. Einigkeit bei Befürwortern und Kritikern bestand zumindest, dass Wasserstoff im Auto keine Option ist. Doch plötzlich kommt wieder Bewegung in die Sache.

Wenn die westliche Welt gerade eines eingeimpft bekommt, dann was Knappheit bedeutet. Diesel- und Benzinpreise klettern wieder, Strom und Gaspreise spielen verrückt. Wie reizvoll ist es da, mal wieder ins Universum zu blicken, wo es Energie in Hülle und Fülle gibt. Unser Sonnensystem besteht zu 93 Prozent aus Wasserstoff.

Nach der gängigen Theorie irrten nach dem Urknall Unmengen einsamer Protonen und Elektronen durch den Raum, die sich nach und nach zu leichten Atomen verbanden. Nach Abkühlen des Universums schlossen sie sich zu Gaswolken zusammen, die Geburtsstunde der Galaxien. Die wachsende Gravitation und die zunehmende Dichte führte unter hohem Druck schließlich zur Kernfusion. Wasserstoff verschmilzt zu Helium, der Antrieb der Sterne.

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Dumm nur, dass dieser Antriebsstoff in irdischen Gefilden eher selten anzutreffen ist. Im All macht Wasserstoff 70 Prozent sämtlicher bekannter Masse aus, die gewaltigen Gasplaneten Jupiter und Saturn bestehen fast ausschließlich aus Wasserstoff, in der Erdhülle dagegen macht er weniger als ein Prozent aus. Das wäre immer noch mehr als genug, aber die eigentliche Krux liegt darin, dass das flüchtige Gas fast ausschließlich in gebundener Form aufzufinden ist, hauptsächlich mit Sauerstoff als Wasser, zuweilen in Methan oder Erdöl. In mehr als der Hälfte aller Minerale findet sich Wasserstoff. 

Und so ist es kein Wunder, dass Wissenschaftler den kostbaren Stoff nicht in der Luft fanden, sondern beim Experimentieren mit Metallen und Säuren. Der Engländer Henry Cavendish nannte das extrahierte Gas 1766 wegen seiner leichten Entzündlichkeit „inflammable air“, brennbare Luft. Seinen offiziellen Namen erhielt das Gas vom Franzosen Antoine Laurent de Lavoisier. Weil bei der Verbrennung von Wasserstoff Wasser entsteht, nannte er es „hydrogen“, also Wasser erzeugend.

Toyoda macht Druck

„Ist das nicht toll? Hinten kommt nur Wasser raus“, schwärmt Akio Toyoda. Der Toyota-Präsident ist Mitte August in Ypern gerade von seinem jüngsten Abenteuer zurückgekehrt. Mit Rallye-Legende Juha Kankkunen düste der motorsportverrückte Japaner über die letzte Prüfung der Rallye Belgien. Der Yaris H2, den er von seiner finnischen Rallyeabteilung Gazoo Racing entwickeln lassen hat, war mal ein gewöhnlicher Yaris GR, bis Projektleiter Hiroshi Nameki die Rückbank raus riss, um dort zwei große Kohlefasertanks unterzubringen. Der Wasserkühler ist leicht vergrößert, die Benzinpumpe wurde unnötig und Nameki brauchte spezielle Injektoren, um unter hohem Druck und großer Präzision Wasserstoff in die für Superbenzin gebauten Brennkammern zu pressen. 

Der viermalige Weltmeister Kankkunen und der Chef des größten Autobauers der Erde sollten Spaß haben, also leistet der Wasserstoffrenner 25 PS mehr (286) als die Serienversion. „Der schiebt ganz schön an“, sagt Kankkunen anerkennend. Der Finne war zwei Jahrzehnte Weltklasse und ist schon alles Mögliche gefahren, mit einem Bentley stellte er 2011 einen Geschwindigkeitsrekord auf einem zugefrorenen See auf, mit Wasserstoff kam der 63-Jährige bisher noch nie in Berührung. 

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Kein Wunder, jenes Knallgas, dessen Explosion die meisten im Rückblick als Höhepunkt ihrer Chemie-Schülerkarriere betrachten, galt immer wieder als Totgeburt der Antriebstechnik. Es muss nicht immer Bumm machen. Wasserstoff lässt sich auch in einer chemischen Reaktion mittels Kraft-Wärme-Kopplung unter beträchtlicher Energiegewinnung in Wasser verwandeln. Die Technik ist ein 180 Jahre alter Hut. Schon vor fast 150 Jahren behauptete Science-Fiction-Legende Jules Verne: „Wasser ist die Kohle der Zukunft.“ Aber erst als der Mensch Vernes Traum vom Aufbruch zu den Sternen anging, setzten Ingenieure der NASA die Idee praktisch um. Die Stromversorgung der Gemini- und Apollo-Kapseln gewährleisteten Brennstoffzellen. 

Auch wenn weltweit etwa 20.000 Gabelstapler von Brennstoffzellen angetrieben werden, ihre Rolle als seltsamer Sonderweg wurden sie nie los, nicht zuletzt, weil fossile Energie so leicht verfügbar und billig war. In Japan ist die Brennstoffzelle keine exotische Raketenwissenschaft. Bis 2021 wurden im Land der aufgehenden Sonne 400.000 Heizungen installiert, die auf dieser basieren. Toyota hat vom Brennstoffzellen getriebenen Miraj über 10.000 produziert. 

Deutscher Pioniergeist

In Deutschland versuchte sich Mercedes als Pionier. Die 2003 auf Kiel gelegte F-Cell-A-Klasse gewann Innovationspreise, aber sonst keinen Blumentopf. Eine Version mit längerem Radstand, vergrößertem Tank und höherem Druck (700 statt 350 bar) sollte Reichweiten bis 270 Kilometer ermöglichen. Der Serienstart wurde für 2010 angekündigt, es kam nicht dazu. Stattdessen versuchte man einen größeren Aufschlag in einem größeren Auto: Ab 2007 begann der Aufbau einer B-Klasse mit Brennstoffzelle und Lithium-Ionen-Akku. 136 PS, 290 Newtonmeter, 170 km/h Topspeed und eine Reichweite von 385 Kilometer sagten die Untertürkheimer an, eine Kleinserie von 200 Autos für ausgesuchte Kunden und Prominente entstand. 2011 umrundeten drei Wasserstoff betriebene B-Klassen in 125 Tagen den Planeten, vier Kontinente, 14 Länder, rund 30.000 Kilometer. Die Serientauglichkeit war bewiesen, und auch die Dauerfestigkeit der Technik. 

Kurzzeitig berauscht vom Erfolg des F-Cell-World Drives ließ sich Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche spontan hinreißen, die Serienfertigung um ein Jahr auf 2013 vorzuverlegen. Bis dahin sollte auch mit Partner Linde ein Netz von 20 Tankstellen entstehen, um das Durchqueren der Republik in alle Himmelsrichtungen zu gewährleisten. Bei der Weltumrundung transportierte das Mercedes-Team das Brenngas mit einem Sattelzug, eine in einem umgebauten Transporter montierte Pumpe brachte es auf den Einfülldruck von 700 bar.

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Gerade zwei reguläre Wasserstofftankstellen fanden sich auf der viermonatigen Reise, beide in Kalifornien. Die Region am Pazifik hat eine Schlüsselfunktion. Kalifornien sieht sich nicht erst durch das Silicon Valley als Innnovationsbrutstätte. Hier werden nicht erst seit Governator Arnold Schwarzenegger die strengsten Abgasgesetze gemacht, mit 40 Millionen Einwohnern ist Kalifornien der drittgrößte und gleichzeitig bevölkerungsreichste Staat der USA und so der wichtigste US-Absatzmarkt für Autos. Wenn hier neue Regeln verkündet werden, dann blickt die gesamte Autowelt auf Sacramento. 70 in Kalifornien ausgeliehenen B-Klassen legten bis Ende 2015 rund drei Millionen Kilometer zurück. Mit gasförmigem Wasserstoff lässt sich eine B-Klasse in fünf Minuten mit vier Kilogramm Wasserstoff volltanken, ein erheblicher Vorteil gegenüber batterieelektrischen Autos. 

Zum Auftanken per Hänger nach Brüssel

In Deutschland liegt die Zahl der Wasserstofftankstellen bei 90, mit Ballungen in großen Städten und dem Ruhrgebiet, aber großen Lücken dazwischen. „Was wir brauchen, ist die nötige Infrastruktur“, mahnt Akio Toyoda. Die Reichweite des Yaris H2 liegt laut Entwickler Nameki bei 20 km im Vollgasbetrieb, „im normalen Verkehr sollten es etwa 200 sein“, schätzt der Ingenieur, es gab bisher keine Zeit für Versuche. Nach nur einer Wertungsprüfung wurde der Prototyp jedes Mal aufgeladen und auf dem Hänger ins 120 Kilometer entfernte Brüssel gebracht – von Flandern aus die nächste Wasserstoff-Zapfsäule. 

Wasserstoff lässt sich gebunden in Ammoniak oder Methanol transportieren, ansonsten kommt es nur auf 252 Grad tief gekühlt in flüssiger Form vor. Als Toyoda im Juni zusammen mit Rallye-Teamchef Jari-Matti Latvala das 24 Stundenrennen in Fuji bestritt, kam wegen seiner höheren Tankkapazität ein größerer Corolla zum Einsatz, zweitens verwendete man flüssigen Wasserstoff, um die Energiedichte und damit die Reichweite zu erhöhen. Dass der Wasserstoff sich im Normalfall zügig erwärmt, ausdehnt und dann durch ein Sicherheitsventil entweicht, ist zumindest im Rennbetrieb kein Problem, weil sofort nach dem Boxenstopp größere Mengen verbrannt werden.

Die Sache mit dem Tank

Wasserstoff enthält mehr Energie pro Masse als jeder andere Brennstoff. Ein Kilogramm Wasserstoff entsprechen 3,3 kg Benzin. Der Haken: Bei gleichem Volumen schneidet Sprit deutlich besser ab. Selbst gegenüber verflüssigtem Wasserstoff enthält ein Liter Super knapp 70 Prozent mehr Energie. Zudem wäre da das Sicherheitsproblem: Um Wasserstoff in nennenswerten Mengen in engen Pkw unterzubringen, sind hochfeste Spezialtanks aus Komposit-Materialen vonnöten, die aktuell teuer, nicht leicht zu bekommen und extrem schwer sind. Was nützt es, wenn der Brennstoff 45 Kilo leichter ist, aber der Tank fast 200 Kilo schwerer?

Die Antwort liegt im CO2-Ausstoß: Aus den zwei Endrohren des Yaris H2 dampft zu 99 Prozent reines Wasser. Der im Konzept herkömmliche Verbrennungsmotor braucht Öl zur Schmierung, das in kleinen Anteilen mit verbrennt und kleine und damit vernachlässigbare Mengen Stickoxide erzeugt. Der Traum vom Genuss ohne Reue ist zumindest nach heutigem Stand ein Trugschluss: Der meiste aktuell produzierte Wasserstoff ist sogenannter grauer Wasserstoff. Für die Gewinnung per Elektrolyse wird zum Beispiel in Saudi-Arabien hauptsächlich Erdgas genutzt. 

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Aber es kommt Bewegung in die Sache: Am Roten Meer haben die Bauarbeiten für die Modellstadt Neom begonnen, die nicht nur komplett klimaneutral sein soll, sondern auch eine Metropole zur Wasserstoffherstellung für den Export. Die arabische Wüste ist eine der größten der Welt, mit massenhaft Platz für Solar-Energie-Gewinnung. Der Öl-Multi Aramco rechnet mit deutlich konkurrenzfähigeren Preisen, als sie die Wasserstoffgewinnung in Deutschland je ermöglichen würde. Im hiesigen Umweltministerium träumt man von zumindest zehn Gigawatt grünen Strom zur Herstellung grünen Wasserstoffs bis 2030. Mit dem reinen Blick auf die eigenen Grenzen hat die Politik bisher sowohl dem Knallgas als auch dem synthetischen Sprit keine große Zukunft eingeräumt, erst in jüngster Zeit bricht sich die realistische Erkenntnis Bahn, dass in einem hochindustrialisierten Land ohne nennenswerte Rohstoffe der Traum von energetische Autonomie ohnehin unerfüllbar bleibt. 

Mit dem durch die Gaskrise erzwungenen Realismus reisten Olaf Scholz und Robert Habeck erst kürzlich nach Kanada, wo Kanzler und Wirtschaftsminister einen Vertrag zum Kauf großer Mengen Wasserstoffs mit Kanadas Premier Justin Trudeau unterzeichneten. Entstehen soll er mithilfe der konstant wehenden Winde an der Küste Neufundlands. Ungelöst ist bis dato die Frage des Transports, der gasförmig auf kurzen Strecken über Pipelines funktioniert, eine Hochdruckröhre durch den kompletten Atlantik zu legen, wagt aber bisher niemand. 

Der Rohstoff der Zukunft

Während Rohstoffexporteure aus Arabien und Nordamerika sich plötzlich mit Wasserstoff für eine Zukunft nach Öl und Gas rüsten, ist dessen Produktion ebenso wie die von synthetischem Benzin eine Chance für sonnenreiche Flächen-Länder, die bisher in der internationalen Wertschöpfung außen vor blieben. Die Bundesregierung sondiert bereits mit Staaten in Süd- und Westafrika. Australien will weg von der Kohle und plant Sonnenfarmen im Outback. Allerdings kostet das Erzeugen von grünem Strom zur Elektrolyse viel Platz. In Chile kalkuliert man, mit den bisher angedachten Kapazitäten ließe sich die halbe Bundesrepublik versorgen – wenn Chile sämtlichen Wasserstoff verkauft. Schon melden sich dort Umweltverbände und fordern, das Land müsse erst einmal selbst für nachhaltiges Wirtschaften sorgen, bevor es Energie verkaufe. 

Die gängige Kritik am sauberen Gasantrieb für Automobile geht meist von einer Massenmotorisierung mit Wasserstoff aus. Benzin und Diesel durch Oxygen zu ersetzen, hält aber selbst die Industrie nicht für realistisch. BMW-Chef Oliver Zipse glaubt an eine Wasserstoff-Zukunft, auch wenn sein Unternehmen das eher halbherzig betriebene Thema Anfang des Jahrtausends mit einer Kleinserie auf Basis des 750i schnell begaben hat. Nun nehmen die Bayern einen neuen Anlauf. Noch in diesem Jahr sollen 100 Stück des iX5 Hydrogen mit einer 170 PS starken Brennstoffzelle auf die Straßen kommen, ab 2026 wäre ein größerer Serienanlauf denkbar. 

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Zipse sähe gern entlang der Autobahnen alle 100 Kilometer eine Tankstelle, in den Städten würden ihm deren fünf reichen. Zipse bringt vor allem die schnelle Tankzeit ins Spiel. Man brauche deutlich weniger Zapfsäulen als Elektro-Ladestationen. Während man bei BMW Zweifel an der reinen E-Mobilität hat und im Wasserstoff die letzten 20 oder 30 Prozent sieht, um die Energiewende zu schaffen, sieht Audi-Chef Markus Duesmann, sein Vorgänger bei BMW, keine Zukunft. Wasserstoff sei einfach zu wenig verfügbar. 

Ein Türöffner könnten Lastwagen sein. Im Schwerlastverkehr können sich auch ausgemachte Elektrofreunde reine Batterieantriebe vorstellen. MAN hat gerade einen Wasserstoff-Verbrennungsmotor präsentiert. „Über den Schwerlastverkehr kommt der Wasserstoff in die Mobilität“, ist sich BMW-Entwicklungsvorstand Frank Weber sicher. Die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW GmbH) hat als Forschungsarm von Verkehrs- und Umweltministerium sämtliche bisher verfügbaren Studien zum Thema Wasserstoffchancen ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass erstens Wasserstoff bei anlaufender industrieller Produktion – die für Schiffe und Flugzeuge ohnehin geplant ist – als Treibstoff schon ab 2030 wirtschaftlich konkurrenzfähig sein könnte. 

Brennstoffzelle und Verbrenner

Bei NOW sieht man auch nicht nur Chancen für die klassische Brennstoffzelle. Die hat nach BMW-Erprobungen bis minus 30 Grad jetzt schon den Vorteil, dass sie bei Kälte anders als Batterien keinen Leistungsverlust erleidet. Auch der Wasserstoff-Verbrennungsmotor hat gemäß der NOW-Studie durchaus Möglichkeiten, denn die Brennstoffzelle benötigt extrem saubere Umgebungsluft, sonst können die Zellen Schaden nehmen, ein Grund, warum Audis Dakar-Teamchef Sven Quandt einem vom Franzosen Guerlain Chicherit 2024 geplanten Wasserstoff-Wüstenrenner keine realistische Chance gibt. Der Wasserstoffverbrenner kommt mit einem gewöhnlichen Luftfilter aus. 

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Zudem attestiert ihm die NOW-Studie gegenüber der Brennstoffzelle durchaus einen konkurrenzfähigen Wirkungsgrad bei Fahrzeugen mit hohen Spitzenleistungen. Wie gemacht für den Motorsport, findet Akio Toyoda. Auch er propagiert keine Massenmotorisierung mit Wasserstoff, sieht aber sowohl für die Brennstoffzelle als auch für den Wasserstoffverbrenner eine Zukunft. Eines seiner Argumente: „Es gibt da draußen immer noch eine Menge Menschen, die Motoren lieben, und hier hast du immer noch den Sound.“

TEXT Markus Stier
FOTOS Toyota

LESENSWERT.
WALTER.