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Porsche 911 R. R wie Reloaded.

Stellen wir uns vor, wir besitzen einen seltenen Porsche 911 R, Baujahr 2016. Stellen wir uns ebenfalls vor, wir wollen nun auch noch einen ganz ganz seltenen Porsche 911 R, Baujahr 1968 besitzen. Als ob der erste Fall nicht schon schwierig genug wäre, ist der zweite nahezu unmöglich. Aber zum Glück gibt es fähige Leute wie Rafael Diez.

„Win on Sunday, sell on Monday!”, dieser Spruch rechtfertigte viele Jahrzehnte jedes noch so teure Motorsportprogramm. Auch bei Porsche war man Mitte der 1960er-Jahre eifrig bei der Sache und sammelte mit dem gerade eingeführten 911 erste Pokale. Für Ferdinand Piëch – dreißigjähriger Neffe von Unternehmenschef Ferry Porsche und ganz frisch zum Entwicklungsleiter ernannt worden – eine geradezu perfekte Spielwiese zum Austoben.

Kaum hatte er sich zum obersten Techniker emporgekämpft, ging es ab Herbst 1966 an die Arbeit für einen besonderen GT-Sport-Neunelfer. Besonders der Leichtbau wurde bei dem auf ‚911 R‘ getauften Fahrzeug großgeschrieben und ein Leergewicht von 800 kg bei 210 PS Motorleistung angestrebt. Mit 4 kg pro PS würde man 1,5 kg unterhalb der Konkurrenz liegen.

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Um die Ziele zu erreichen, waren die Maßnahmen tiefgreifend. Schließlich war die Ausgangsbasis der mit 1.030 kg gewiss nicht schwere 911 S. Also ging es ans Eingemachte. Vordere Kotflügel, Haubendeckel, Türen und Stoßstangen aus glasfaserverstärktem Kunststoff – außer der Windschutzscheibe wurden dünnste Plexiglasscheiben verbaut. Selbst die Fensterheberkurbeln mussten raus und ein einfacher Lederriemen bediente die Tür. Die Recaro-Sitze wichen Scheel-Rennsesseln, ein kleineres Monza-Lenkrad fand Verwendung, sämtliche Geräuschdämmung dagegen nicht.

Auch beim Motor hatte Piëch eine klare Vorstellung. Ein 901 S-Motor, mit Zylindern, Kolben und Zylinderköpfen, wurde mit dem Ventiltrieb vom Carrera 6 verschmolzen. Von dort kamen auch die Saugrohre und die Dreifachvergaser. Der mit Doppelzündung und Titanpleuel ausgestattete Rennmotor leistete die angestrebten 210 PS bei 8.000/min und ermöglichte eine Beschleunigung in nur 5,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Vorausgesetzt, man konnte das 5-Gang-Getriebe schnell genug durchschalten.

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Schon die ersten Testrunden im Oktober 1966 deuteten das Potenzial des Konzepts an. In den nächsten Monaten folgten weitere Verbesserungen bei den Prototypen, ehe im Sommer 1967 entschieden wurde, dass eine Kleinserie von nur 20 Fahrzeugen entstehen soll. Die Bezeichnung „R“ für „Racing“ wurde offiziell vom Porsche-Vertrieb übernommen.

Allerdings verlief der Verkauf des ersten echten Rennsport-Elfers schleppend. Mit 45.000 DM war der ‚R‘ fast doppelt so teuer wie ein regulärer 911 S. Außerdem gab es den erheblich schnelleren Carrera 6 für den gleichen Preis. Der Plan, eine für die GT-Homologation benötigte Stückzahl von 500 Fahrzeugen aufzubauen, wurde verworfen. Es blieb bei 19 aufgebauten ‚R‘ – 15 Stück gingen in den Verkauf, vier verblieben im Werk.

Die Neuauflage des Porsche 911 R

Die geringe Stückzahl macht den ‚R‘ in der heutigen Zeit umso begehrenswerter und die Faszination für einen leichtgewichtigen 911 hat nicht nachgelassen. Als Porsche 2016 eine Neuauflage anbietet, herrschen keine Absatzschwierigkeiten. 4,0-Liter-Sauger, 500 PS, 1.370 Kilo fahrfertig und – Trommelwirbel! – Handschaltung. Die 991 Exemplare gehen für 190.000 Euro weg wie warme Semmeln und ein Porsche 911 R landet in der Garage von Hakan Öktem.

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Den Mitbegründer von HolidayCheck begeistert nicht nur das Fahrverhalten seiner Neuanschaffung, sondern auch die ganze R-Geschichte. „Ich wollte auch unbedingt einen alten 911 R fahren“, erinnert sich Hakan. Ein Wunsch, der sich nicht erfüllen ließ. Aber jetzt kommt sein Freund Rafael Diez ins Spiel. Mit seiner Firma ist er spezialisiert auf die Wartung und den Aufbau historischer Porsche-Modelle. „Ich habe ihn einfach gefragt, ob er mir einen 911 R nicht bauen kann“, so Hakan.

Während andere nun beide Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden und im großen Buch der Ausreden einige Seiten vorblättern, sagt Diez prompt zu. „Er fand die Idee super und wir haben uns gleich auf die Suche nach einer geeigneten Basis gemacht“, erzählt Hakan. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte, aber vielleicht schon ahnte, es würde zwei Jahre dauern, bis man eine passende für den gründlichen Umbau finden würde.

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Weitere vier Jahre und ein beträchtliches Budget gingen ins Land, bis Hakan Öktem endlich seinen ‚R‘ in Empfang nehmen würde. Das hat nicht allein damit zu tun, dass Rafael Diez wirklich jedes kleinste Detail originalgetreu nachbaute, sein Kunde hatte sich auch noch einen sehr speziellen ‚R‘ ausgesucht: das Weltrekord-Auto von 1968, das zufälligerweise jene roten Streifen besaß, wie sein moderner 911 R.

So verrückt verlief der Weltrekord

Im Sommer 1967 hatten sich die Schweizer Dieter Spoerry und Rico Steinemann Gedanken gemacht, wie man die nahende Winterpause überbrücken könnte. Ein Weltrekordversuch wäre doch eine nette Abwechslung und weil Porsche derartige Bestwerte an Ford und Toyota verloren hatte, stieß man in Zuffenhausen auf offene Ohren. In Sachen Budget fand man zudem mit BP den passenden Partner, der Schmierstoffgigant wollte den Versuch nutzen, um ein neues Öl zu vermarkten. Als Ort des Geschehens fiel die Wahl auf Monza, obwohl die dortigen Steilkurven als baufällig galten und die Klassifizierung „Rüttelpiste“ bekamen. Genau dieser Umstand wird am 1. November dem zunächst eingesetzten Porsche 906 Carrera 6 zum Verhängnis, als der hintere linke Stoßdämpfer, sowie beide Getriebeaufhängungen des filigranen Sportwagens ihren Widerstand gegen die italienischen Holperplatten aufgeben.

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Porsche-Versuchsleiter Helmuth Bott wird am frühen Montagmorgen um 7 Uhr über das Scheitern telefonisch unterrichtet, drei Stunden später kommt die Anweisung, den Rekordversuch nicht abzubrechen. Ein Neuanlauf hätte erneut eine monatelange Vorbereitungszeit benötigt. Allerdings musste der zweite Versuch laut offiziellen FIA-Statuten innerhalb von 48 Stunden erfolgen. Während die Monza-Mannschaft eine Reparaturpause am Carrera 6 vortäuschte, wurde im Werk ein Porsche R vorbereitet. Ausgerüstet mit einem nach vielen Prüfstandstunden neu aufgebauten Motor. In ein Getriebe werden zwei fünfte Gänge eingebaut, ein Zahnradpaar könnte die Volllastbelastung nicht überstehen. Für ein Ersatzteilkontingent ist die Zeit für die Zollformalitäten zu kurz. Als rollendes Ersatzteillager soll ein zweiter 911 R nach Monza gefahren und dort zerlegt werden.

Zu laut für die Schweiz

Der erste ‚R‘ macht sich umgehend auf den Weg, wird aber an der Grenze bei Basel vom Schweizer Zoll gestoppt. „Das Auto ist viel zu laut“, mault der Eidgenosse angesichts des fast offenen Auspuffs. Es folgt ein Umweg über Chamonix und den Mont-Blanc-Tunnel und die Hoffnung, in Frankreich auf mehr Verständnis zu stoßen. Vorgewarnt nimmt der zweite ‚R‘ die nächtliche Route über Innsbruck und den Brenner. Trockener Kommentar der Zöllner dort: „Bella Macchina.“

Der Einsatz vor Ort verlangt Mensch und Material alles ab. Strömender Regen, Temperaturen um den Gefrierpunkt und aufziehender Nebel sorgen neben den schlechten Streckenverhältnissen für angespannte Nerven. Teilweise beträgt die Sicht keine 50 Meter, die Truppe versucht mit Fackeln und Taschenlampen die überhöhte Seite der Steilkurven zu markieren.

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Auch hier werden die Mühen belohnt: Nach 96 Stunden und 20.086 Kilometern Vollgas werden fünf neue Welt- und 14 internationale Klassenrekorde erzielt – alle mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 200 km/h. Kurios: Erst beim Zerlegen des Fahrzeugs in Zuffenhausen fiel auf, dass der Einsatzmotor kurz zuvor einen Prüfstandslauf mit über 100 Stunden absolviert hatte. Das Triebwerk hatte also 200 Stunden Vollgas durchgestanden. Der technische Leiter des Weltrekordversuchs Günter Steckkönig ließ bei der Demontage des Fahrzeugs zufrieden notieren: „Außer den normal anfallenden Verschleißteilen konnte nichts Besonderes festgestellt werden.“

Eine Geschichte, die nicht nur Hakan und Rafael gefällt, sondern auch Walter Röhrl. Stolz präsentieren die beiden ihr Werk dem Meister und dessen strenge Miene hellt sich mit jedem Blick unter das GfK-Kleid weiter auf. „Schon verrückt, wie detailgetreu das Auto neu aufgebaut wurde.“

Noch besser wird die Laune, als Walter den alten ‚R‘ Baujahr 2023 auf seinen Lieblingsstrecken im Bayerischen Wald bewegen kann. „Ein echtes Erlebnis! So leicht, so pur, keinerlei elektronische Helferlein. Bremsen, Zwischengas, Schalten, gefühlvoll Lenken. So stelle ich mir Autofahren vor!“

Und wenn Walter erst einmal ins Schwärmen kommt: „Für mich ist das Fahren mit einem Oldtimer eine Art Gehirntraining gegen Alzheimer. Alle Sinne müssen geschärft und aktiviert sein, nicht die von Hundert Steuergeräten. Viele wissen doch gar nicht, was sie in der letzten halben Stunde im Auto gemacht haben. Ich weiß es noch ganz genau.“ Sagt’s und lässt das Garagentor zur nächsten Runde im alten ‚R‘ öffnen. Hakan folgt ihm im modernen ‚R‘. Er kann ja nun jeden Tag den Klassiker fahren. Manchmal gehen Wünsche eben doch in Erfüllung. Selbst die ganz unmöglichen. Man muss nur Rafael Diez kennen.

TEXT Michael Heimrich für WALTER #19
FOTOS Porsche und Michael Heimrich

LESENSWERT.
WALTER.