Ineos Automotive mag es holprig. Das trifft natürlich auf das bevorzugte Terrain des Erstlingswerks Grenadier zu, einem waschechten Geländewagen. Holprig ist aber auch der Verkaufsstart. Die branchenüblichen Verzögerungen durch fehlende Komponenten ist dabei nur das eine, lückenhafte Kundenkommunikation das andere.
So mancher Käufer hat seit Vertragsunterzeichnung nichts mehr von Händler oder Marke gehört. Die Versprechen von Ineos, bei Vertriebsprozess und Kundenservice nachzubessern, sind glaubhaft und dringend geboten: Offenbar ist es leichter, ein solides Auto völlig neu aus dem Boden zu stampfen als ein neues Vertriebsnetz aufzuziehen.
Das hindert die Automarke des britischen Milliardärs Jim Ratcliffe nicht daran, gut ein halbes Jahr nach dem Debüt des Grenadiers ein zweites Modell nachzulegen: der Quartermaster. Salopp gesagt könnte man ihn auch als Hausmeister oder als Hausmeisters Traum bezeichnen, schließlich handelt es sich um einen klassischen Pickup.
Dieser Anspruch bezieht sich auf jeden Fall auch auf den Antrieb, denn der Quartermaster ist mit den beiden BMW-3,0-Liter-Sechszylindern als Diesel (249 PS) oder Benziner (286 PS) erhältlich – ganz so wie auch der Grenadier. Elektroantrieb oder wenigstens eine Hybridisierung gibt es nicht, und der ursprüngliche favorisierte Wasserstoffantrieb ist in einen Dornröschenschlaf verfallen.
Klassisch ist aber auch der Nutzfahrzeuganspruch des Quartermaster – was gut passt, da der Wagen hierzulande ausschließlich als Nutzfahrzeug zulassungsfähig ist. Seine technische Basis ist logischerweise der Grenadier, dessen robuster Leiterrahmen um 305 Millimeter verlängert wurde. So misst der Radstand des Quartermaster 3,23 Meter, nur ein paar Millimeter weniger ist als bei gängigen Pickups wie Ford Ranger oder VW Amarok.
Damit schnellt auch die Gesamtlänge des Pritschen-Ineos nach oben: City-unfreundliche 5,44 Meter sind es, was um ein paar Zentimeter mehr ist, als man es sonst im Midsize-Pickup-Segment gewohnt ist. Ebenfalls leicht größer als klassenüblich sind die Maße der Ladefläche: Mit 1,56×1,62 Metern fasst sie das Gardemaß der Branche, die Standard-Europalette, locker.
Auf technische Spielereien – etwa Schwenktüren oder zweigeteilte Ladeklappen – verzichtet man bei Ineos. Dafür kann man mit einer Heckklappe aufwarten, die mit ungewöhnlich hohen 225 Kilogramm belastbar ist. Ansonsten sind Stromanschlüsse, Montagestange und Verzurrösen eher Standard. Top fällt dafür die Zuladung aus, die, je nach Motorisierung, bis zu 835 Kilogramm beträgt. Das ist deutlich mehr, als die meisten Konkurrenten im Segment schleppen können. Das zulässige Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen wird dabei nicht überschritten. Und weil der Quartermaster auch eine Anhängelast von 3,5 Tonnen besitzt, darf das Gesamtgespann stolze sieben Tonnen schwer sein – für kommerzielle Anwendungen ein Traum.
Und noch in einem anderen Punkt trumpft der Quartermaster auf: Bei den Geländefähigkeiten macht ihm keiner etwas vor. Da war von Ineos auch nichts anderes zu erwarten gewesen: Permanent-Allrad, Untersetzungsgetriebe, Differenzialsperren, Offroad-Fahrwerk – alles ist dabei. „Das Fahrzeug ist wirklich robust und im Gelände absolut unschlagbar“, ist Lynn Calder, CEO von Ineos Automotive, überzeugt.
Die resultierende Wattiefe von 80 Zentimetern und die Bodenfreiheit von 26,4 Zentimetern sind Benchmark bei Serien-Pickups. Während der vordere Böschungswinkel mit mehr als 35 Grad auf Grenadier-Niveau ist, fallen Rampen- und vor allem hinterer Böschungswinkel deutlich ab: Letzterer liegt mit 22,6 Grad merklich hinter denen Werten, die Ranger, Amarok & Co. zu bieten haben.
Konstruktiv verständlich ist dagegen, dass der Quartermaster nur als fünfsitzige Doppelkabine angeboten wird – schließlich ist das Fahrzeug eine direkte Ableitung vom Grenadier. Unter dem Aspekt kommerzieller Anwendungen wäre eine Singe-Cab-Version oder ein Anderthalbkabiner durchaus reizvoll gewesen. Im Innenraum herrscht das markentypisch robuste, sehr technisch anmutende Ambiente mit einem Minimum an Assistenzsystemen. Angesichts eines Grundpreises von 81.890 Euro (identisch für Diesel und Benziner) mag das zu spartanisch sein.
TEXT Wolfgang Hörner