Normalerweise sind die leistungsstarken Boliden mit dem Cavallino Rampante für ein bis zwei Personen gedacht und allenfalls gibt es in der zweiten Reihe zwei beengte Notsitze für kurze Strecken. Doch der neue Ferrari Purosangue ist nicht nur der erste Viertürer in der 75jährigen Firmengeschichte, sondern auch der erste vollwertige Viersitzer, da der GTC4 Lusso eher als 2+2-Sitzer mit Allradantrieb durchgeht.
Der Name Purosangue kommt nicht von ungefähr und bedeutet auf deutsch „Vollblut“, was die Sportlichkeit des ersten Crossovers aus dem Hause Ferrari unterstreichen soll. Die Norditaliener wollen ihr Vollblut nicht als SUV positioniert sehen; jedoch entspricht das Fahrzeugkonzept weitgehend dem eines Lamborghini Urus oder des Aston Martin DBX und genau jene wohl betuchten Kunden mit Sportwagengefühlen sollen angesprochen werden.
Beim Design ist der Purosangue allemal eine elegante Schau, während seine Leistungsdaten keine Wünsche offen lassen, denn für maximalen Vortrieb sorgt ein V12-Saugmotor, der 533 kW / 725 PS leistet. Das maximale Drehmoment von 716 Nm steht bei 6.250 U/min zur Verfügung, während 80 Prozent der Leistung bereits bei niedrigen 2.100 Touren anliegen. Zum Start ist der V12-Sauger die einzige Antriebsvariante; für die einzige Elektrifizierung sorgt ein 48-Volt-Bordnetz, das das Fahrwerk agiler macht.
Für die ungewöhnlich gute Gewichtsverteilung von 49:51 sorgt nicht nur das Triebwerk, das möglichst weit hinter der Vorderachse positioniert wurde, sondern insbesondere das Getriebe in Transaxle-Bauweise an der Hinterachse. Aus dem Stand geht es in 3,3 Sekunden auf Tempo 100, während nach 10,6 Sekunden die 200er-Marke vorbeirast. Die üppige Motorleistung wird über ein achtstufiges Doppelkupplungsgetriebe an beide Antriebsachsen übertragen. Die Höchstgeschwindigkeit: deutlich über 300 km/h.
Im Innenraum gibt es vier elektrische Einzelsitze und ungewöhnlich viel Platz für einen Ferrari nebst weit aufschwingender Heckklappe und Ladeabteil. Das Cockpit ist vom SF90 Stradale inspiriert und wird nahezu komplett auf der Beifahrerseite gespiegelt. Dies schafft durch das 10,2 Zoll große Display eine ungewöhnliche Einbindung für den Beifahrer, der nahezu die gleichen Informationen wie der Fahrer bekommt. Anstelle des traditionellen Teppichs oder Leders für den Bodenbelag steht optional ein kugelsicheres, ballistisches Gewebe zur Verfügung, das aufgrund seiner außergewöhnlichen Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit auch in Militäruniformen verwendet wird.
Ebenfalls zu bekommen: ein besonders elegantes Semianilinleder in dunkelbraun für die Komfortsitze oder eine Verkleidung aus Karbonfasern mit feinstem Kupferdraht. Erstmals hat ein Ferrari-Fahrer die Möglichkeit, statt des Karbondachs ein elektrochromes Panoramadach zu ordern. Auf Knopfdruck ändert dies seinen Tönungsgrad und bringt Sonne oder Schatten ins Innere.
Neben einer Vierradlenkung verfügt der Purosangue über eine neu entwickelte Federungstechnologie mit einem sogenannten True Active Spool Valve System von Multimatic. Im Vergleich zu anderen Lösungen bietet diese Aufhängung Vorteile, da sie die Betätigung durch einen Elektromotor mit einem hydraulischen Dämpfer mit Steuerventil in einem vollständig integrierten System kombiniert. Der Elektromotor sorgt in Sekundenbruchteilen dafür, dass Karosserie und Räder je nach angewähltem Fahrprogramm mit mehr Kraft und bei höheren Frequenzen als bei herkömmlichen adaptiven Systemen gesteuert werden können. Das soll das Wank- und Nickverhalten des Viertürers trotz erhöhtem Schwerpunkt nennenswert reduzieren.
TEXT Stefan Grundhoff für WALTER