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Wer ist das Volk? Ein Kommentar.

Ist es nur Einbildung oder Realität, dass wir in verschiedenen Parallelwelten leben, in der aber jeder glaubt, er wüsste, wie die Welt sich dreht? Ich finde, dann sollten wir auch Nägel mit Köpfen machen.

Wir müssen ernsthaft über eine Namensänderung nachdenken. Ich plädiere dafür, dass wir uns künftig, die „Bundesrepubliken von Deutschland“ nennen, das klingt auch viel pompöser, nach mehr, so wie „Die Vereinigten Staaten.“ Kennt jeder. Da muss man nicht mal mehr Amerika dahintersetzen. Warum das Ganze? Weil einige von uns offensichtlich in verschiedenen Ländern leben. Vielleicht stimmt ja auch die Stringtheorie, und es gibt unsere Nation in diversen Paralleluniversen gleichzeitig, nur eben verschieden.

Das wäre jedenfalls eine schlüssige Erklärung für ein Phänomen, das es immer schon gab, das aber gerade in der Mobilitätswelt erstaunliche Blüten treibt. Schon immer gab es Menschen, die behaupteten, Volkes Wille zu kennen und als einzige auch umsetzen zu wollen, damit man sie an die Macht bringt, oder sie dort belässt. Gerade in Demokratien, wo der Job alle paar Jahre zur Disposition steht, ein lästiges Problem. 

Unlängst saß der Verkehrsdezernent der Stadt Köln im Frühstücksfernsehen. Ascan Egerer rechtfertigte die Pläne der Domstadt-Verwaltung, die Anwohner-Parkausweise auf (je nach Auto-Größe) 330-390 Euro zu erhöhen. Egerer sieht sich auf einer humanitären Mission: „Wir dürfen als Städte nicht zu überfüllten Parkplätzen für Autos werden. Hier leben Menschen, Familien, ältere Menschen, die einfach sicher und gesund unterwegs sein wollen.“ Zuvor hatte die Redaktion in einem Filmbeitrag ebensolche Menschen befragt, was sie von der Verzehnfachung der gegenwärtigen Preise halten, nämlich nichts. Die auftretenden Personen waren fast ausschließlich Frauen, auch ältere, also doch genau diejenigen, die Egerer schützen will, oder doch nicht?

„Kniefall for der Autolobby“

Der „Spiegel“, das Sturmgeschütz der Ökokratie, schlug letztens mal wieder Alarm: „Dieser Erfolg der Autolobby könnte Europa 100 Milliarden Euro kosten.“ Mir drängte sich sofort die Frage auf: Wer ist das eigentlich, dieses Europa? Und wer muss dann also folgerichtig zahlen? Die horrende Summe kommt angeblich durch die Verwässerung der Abgasnorm 7 in den Mühlen der EU-Bürokratie zustande, sie ergibt sich aus Hochrechnungen von Umwelt- und Personenschäden, demnächst verursacht durch die nun so laxen Stickoxid-Grenzwerten. Bei Greenpeace findet man es skandalös, dass die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag die Gesundheit der Menschen hinter die Kostenrechnung der Autoindustrie stelle.

Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe spricht von einem „Kniefall vor der Autolobby“ und den „Dieselkonzernen“, also jenem sinistren Zirkel von Managern, Ingenieuren und Investoren, der seit jeher nur den eigenen Vorteil im Sinn hat. Diese Branche spare nun viel Geld für Entwicklung und Produktion, den Preis dafür zahlten Umwelt und Gesellschaft.  Klingt alles sehr markig und klar, nur wie tickt denn diese „Gesellschaft“, was treibt die zitierten Menschen, freiwillig früher ins Grab zu steigen?  Laut einer weiteren statistischen Hochrechnung sterben ja jedes Jahr 300.000 EU-Bürger an Luftverschmutzung und Feinstaub. Der tschechische Abgeordnete Alexandr Vondra, Mitglied im EU-Umweltausschuss, betont indes, man wolle sich von extremen Positionen fernhalten: „Es wäre kontraproduktiv, eine Umweltpolitik zu betreiben, die sowohl der europäischen Industrie als auch den Bürgern schadet.“ Na wem denn nun?

Der „Spiegel“ rechnet vor, die Aufrüstung der Abgasanlagen koste die Konzerne pro Auto allenfalls 150 Euro extra, berechnet vom Consortium for ultra Low Vehicle Emissions (CLOVE). Das britische Beratungsunternehmen Frontier Economics beziffert die Kosten als mindestens zwölf Mal so hoch, also mindestens 1800 Euro. Die Briten fertigten ihre Studie im Auftrag des ACEA an, also den schlimmen und unglaubwürdigen „Dieselkonzernen“. CLOVE dagegen arbeitete zusammen mit dem Spiegel. Das alles stützt meine These, dass es besser wäre, diese unversöhnlichen Welten zu trennen. Denn würden wir weiter in einer einzigen leben, und läge die Wahrheit in der Mitte, würde das allein deutsche Autokunden rund 2,5 Milliarden Euro extra kosten – jährlich.

Das ist keine theoretische Hochrechnung, sondern simpelste Mathematik: Hierzulande werden pro Jahr etwa 2,6 Millionen Autos neu zugelassen, übrigens der niedrigste Wert seit über 30 Jahren. Der gilt aber nur in der einen Bundesrepublik, in einer anderen erstickt die Nation unter der Rekordzahl von knapp 49 Millionen Autos. Beide Zahlen sind Fakt, die Frage ist nur, welche Schlüsse man daraus zieht, womit wir beim Thema Statistik wären.

Überraschung! Die Jugend liebt Autos

Diverse deutschen Leitmedien, die sich immer in der Bundesrepublik der Guten und Verantwortungsbewussten wähnen, müssen gerade feststellen, dass die Jugend von heute, jene berüchtigte Generation Z, offensichtlich in einer anderen Welt lebt, als sie sich das wünschen. Mit Bestürzung stellt erneut der „Spiegel“ fest, die Vorstellung einer autofeindlichen Jugend ist offenbar ein Märchen. Auch die Generation Greta sitzt also hinterm Steuer. Zugegeben, auf dieses Wortspiel der Kollegen bin ich etwas neidisch: „Fridays for Hubraum statt for Future?“ Im Forum von Reddit feixte Leser Andre Stefanov:  „Der Spiegel klingt hier komplett überrascht, weil nicht alle der 8.3 Millionen Jugendlichen irgendwo am Asphalt kleben.“ 

Das Erschrecken ist deshalb so groß, weil wir seit der Jahrtausendwende eingetrichtert bekommen, dass „die Jugend“ sich sehr für Smartphones interessiert, aber nicht mehr für Autos. Jenseits unserer Südost-Grenze ergab eine BITCOM-Studie vor 13 Jahren gar, dass sich fast jeder zweite Österreicher eher von Freund oder Freundin trennen würde als vom Handy. Zugegeben, es wurden nur 800 Leute befragt. Der Ursprung der bis vor wenigen Wochen unreflektiert kolportierten Legende vom jugendlichen Automuffel findet sich in den Zulassungszahlen, die im neuen Millennium bei den unter 25-Jährigen deutlich rückläufig waren. Statistische Erhebungen mit Fragen wie: „Was ist Ihnen wichtiger?“ ließen manche den Schluss ziehen, Dinge, die weiter unten auf der Prioritätenliste der jungen Leute stünden, könnten auch gleich für überflüssig erklärt werden.

Dabei lässt sich in der anderen Republik leicht feststellen, dass die Zahl der Führerschein-Neulinge, abgesehen von demografischen Schwankungen seit vielen Jahren gleich bleibt. Der Verkehrsforscher Tobias Kuhnimhof von der Technischen Hochschule Aachen betont, die Auto-Verachtung der Jugend schon immer angezweifelt zu haben: „Wenn man sich anschaut, wie viel schneller man mit dem Auto auf manchen Wegen ist, dann ist es in vielen Fällen eben nach wie vor unschlagbar.“

Die Vorhersagen der Polit-Hipster aus Berlin

In einer unserer Bundesrepubliken finden nämlich selbst umweltbewusste junge Menschen eine Lebensrealität vor, in der sie deutlich weiter pendeln müssen als gewünscht, um ihr täglich Brot zu verdienen. Und wer gern näher zum Arbeitsplatz ziehen will stellt fest, dass er entweder dort keine Wohnung findet, oder sich den neuen Mietvertrag nicht leisten kann (von dem Thema Kitaplatz für die spätere Lebensplanung ganz zu schweigen). Und entgegen der Voraussagen der Vereinten Nationen und Polit-Hipstern in Berlin lebt auch die Mehrheit „der Menschen“ nicht in urbanen Riesenzentren, wo wir alles mit dem teilelektrischen Lastenrad erledigen können und Hello Fresh den Weg zum Supermarkt ersetzt. Die Mehrheit des Deutschlands, das ich kenne, wohnt in Kleinstädten oder auf dem Land, und trotz aller Zuzüge in hippe Hotspots wie München und Hamburg ändert sich das nicht nennenswert. 

Und siehe da: In dem einen Deutschland diskutieren die Grünen über Kanzlerkandidaturen, im anderen schrumpfen ihre Umfragewerte von einer Volksbewegung zu einer Klientelpartei, ein übles, sonst für die FDP reserviertes Schimpfwort. Auch wenn die „Letzte Generation“ und Luisa Neubauer, das bisher ein bisschen anders sehen: Um eine Mobilitätswende durchzusetzen, muss man die Menschen mitnehmen. Buchstäblich. Dumme Sache: Die grün regierte Stadt Münster will Straßen für den Verkehr sperren und muss gleichzeitig ihre Bus-Taktung strecken. In dem einen Westfalen wollen die Wähler eine autofreie Stadt, im anderen fehlen dazu die Busfahrer. 

Der große Versicherer HUK stellt in einer jährlichen Studie unter anderem die Frage, welches Fortbewegungsmittel die eigenen Bedürfnisse in den nächsten fünf Jahren am besten erfülle. Unter den 16- bis 24-Jährigen antworteten dieses Jahr 74 Prozent: das Auto. Noch ein Jahr zuvor waren es 63 Prozent. So erfuhr das viel geschmähte Automobil gegenüber dem Vorjahr den größten Beliebtheitszuwachs seit Beginn dieser Erhebung. Aber in dieser Welt muss man nicht leben, wenn man nicht will. Wie lautete das Fazit der Zeitung TAZ: „Zum Glück ist das nur eine Umfrage.“

TEXT Markus Stier

LESENSWERT.
WALTER.