Als ob der Morgen nicht schon frostig genug wäre. Aber die Blicke von Malte Torben machen es noch schlimmer. Ob der Typ so heißt? Keine Ahnung. Zeit zu fragen war keine, aber er sieht aus wie ein Malte Torben. Wie ein Malte Torben auf dem Fahrrad und wie ein Malte Torben, der mit Autos nichts anfangen kann. Ganz im Gegenteil. Voller Verachtung schaut er auf mich herab, oder ist es einfach nur Mitleid? Malte Torben auf seinem Drahtesel, Marke alt und damit wohl besonders cool. Ich im flachen Lamborghini Huracán STO, lackiert im dezenten Lila und verziert mit gelben Anbauteilen, die sich meinem Gegenüber direkt ins blasse Gesicht brennen.
Was Malte Torben (und andere) aber wirklich fuchsig macht, ist diese Start-Stopp-Automatik, deren Ausschalter ich verzweifelt suche. Jedes Mal dreht der Zehnzylinder hinter meinem Rücken in voller Vorfreude bis zum Anschlag hoch, wenn man die nächsten Meter im quälenden Berufsverkehr vorzuckeln darf. Die 8.000 lautstarken Umdrehungen mögen unsereins verzücken, aber an einer Ampel im Zentrum von Kopenhagen?
Hier mag man kein akustisch betontes Autofahren. Gefühlt mag man hier eh kein Autofahren mehr. Vorrang haben Fahrräder. Vorrang haben die Malte Torbens dieser Welt. Von mir aus, meinen Segen soll er haben. Ich fahre ja auch gerne mit dem Rad durch die Stadt und der 310 km/h schnelle Lambo ist hier wahrlich fehl am Platz. Ihn zieht es raus auf das Land, in die Freiheit – in Dänemark auf Tempo 80 beschränkt. Und die Dänen sind streng, wenn es um Geschwindigkeit geht – sehr streng. Das sollte man wissen, wenn man die 640 PS mit dem rechten Fuß kitzeln möchte. Für zehn km/h zu schnell sind 590 Euro fällig. Auf Dauer nervt das auch jemanden, der sich eine Huracán STO für lässige 350.383 Euro leisten kann.
Deshalb: wieder brav in unsere Lambo-Kolonne einordnen, die sich im Trubel von Kopenhagen verloren hatte. Von der ursprünglichen Idee, irgendwie gemeinsam durch den Berufsverkehr zu kommen, war schon nach der ersten Ampelphase nicht viel übriggeblieben. Fahrräder haben Vorrang – selbst vor der gesamten Modellpalette aus Sant’Agata Bolognese.
Neben dem wahrlich spektakulären STO sind weitere Huracán-Modelle dabei und natürlich darf der Urus nicht fehlen. Das gewaltige Power-SUV spült viel Geld in die Kasse und sorgt für gute Laune in der Chefetage der Audi-Tochter. Nie waren die Umsätze und Gewinne höher als in diesen Tagen. Böse Zungen behaupten zwar, der Urus wäre ein verkappter Audi RS Q8, aber dafür gibt es nicht mal ein müdes Abwinken. „Mächtig gewaltig Egon“, würde Benny von der Olsenbande, dem berühmten dänischen Gaunertrio, über den Urus sagen. Markentypische Optik und Fahrleistungen, die über jeden Zweifel erhaben sind. Wer einen Lamborghini fährt, der weiß um die Wirkung auf seine Außenwelt und der Urus steht dem Huracán diesbezüglich in nichts nach.
Im flachen STO befindet man sich etwa auf Höhe des Urus-Stoßfängers. Während die SUV-Besatzung gewohnt erhöht und durchaus bequem die winterliche Landschaft genießt, versuchst du dich an die kompromisslosen Carbon-Schalensitze mit Hosenträgergurten zu gewöhnen – wie auch an die Blicke der anderen. Beim STO ist nicht nur die Technik deutlich nachgeschärft, die Motorhaube mit integrierter Lufthutze tut ihr übriges. Zusammen mit der Haifischflosse und dem Heckflügel schafft sie ein unverwechselbares Erscheinungsbild, das es so in keiner anderen Straßenversion des Huracán gibt.
Zugegeben, es gibt bessere Ideen, als mit einem für die Rennstrecke gemachten Auto, einen Roadtrip zu unternehmen. Aber wenn wir schon mal da sind, schauen wir auf dem Weg in den Norden noch kurz beim Schloss Frederiksborg vorbei. Ein langer Aufenthalt bei Königs ist allerdings nicht geplant, denn wir wollen unsere Fähre nach Schweden zügig erreichen.
Weiter geht es über einsame Landstraßen bis an die nördliche Spitze von Sjælland, ehe wir entlang der Ostsee in Richtung Osten nach Helsingør steuern. Im dortigen Fährhafen hat man sicherlich schon einige verrückten Dinge gesehen, aber wenn 14 Lambos im Gesamtwert von über vier Millionen Euro plötzlich anrücken, dann kommt Bewegung auf. Handys werden gezückt, Freunde angerufen, die kurze Überfahrt von nur 20 Minuten reicht kaum aus, um ‚Technica‘, ‚Performante‘ und ‚STO‘ richtig durchzufunken.
Vom schwedischen Helsingborg geht es wieder in südliche Richtung. Auf der Autobahn nach Malmö klemmt sich plötzlich ein vollbesetzter A3 neben den STO. Die Jungs haben schon von weitem erkannt, was sich vor ihnen tut. Geschickt hat man sich durch den Urus-Begleitschutz gemogelt. Jeder Versuch, den Audi fernzuhalten, erhöht die Motivation auf der Gegenseite und wird als Einladung gedeutet, ein Cannonball-Rennen zu starten.
Längst sind alle Seitenscheiben unten, in der einen Hand das Handy beim Filmen, in der anderen klare Handzeichen, endlich mal den V10 zu befeuern. Was bitteschön ist das denn für eine Lusche im STO? Jetzt nur nicht übermütig werden, um den Jungs eine Lektion in Beschleunigung zu erteilen. Eine charakterbildende Maßnahme, wie es der Ausbilder bei der Bundeswehr sagte. Immer ein hilfreicher Begleiter in solchen herausfordernden Situationen: der skandinavische Bußgeldkatalog.
Die Audi-Fanboys winken enttäuscht ab und nehmen die nächste Abfahrt. Wir steuern ein paar Kilometer weiter auf den besten Aussichtspunkt für die Öresundbrücke zu. Ein gewaltiges Bauwerk, das Dänemark und Schweden miteinander verbindet. Leider geriet unser Zeitplan etwas aus den Fugen (Kopenhagen). Es ist bereits dunkel, als wir das Mauthäuschen (57 Euro überreicht) passieren. Allerdings ist es ja nicht nur eine Brücke, sondern die letzten 4.000 Meter der Strecke verschwinden förmlich im Meer: Tunnel! Der STO kreischt vor Entzückung auf, das Zwischengas beim Runterschalten lässt die Überwachungskameras vibrieren und für einen kurzen Moment darf unser flacher Carbon-Keil zeigen, dass „Super Trofeo Omologata“ Rennsport für die Straße heißt. Nach 200 Kilometern strikter Zurückhaltung geht es jetzt nicht anders. Sachte abbremsen und dann voll durchbeschleunigen. Eine Orgie aus Sound und G-Kräften sind Balsam für die strapazierten Nerven und in der Gewissheit, sich bei Bedarf von 0 auf 100 in nur drei Sekunden zu katapultieren, wiederholen wir das Schauspiel gleich noch einmal. Malte Torben, kannst Du mich hören? Ich bin zurück. Bis gleich an der Ampel.
TEXT Michael Heimrich
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