0,00 €

Es befinden sich keine Produkte im Warenkorb.

Mercedes W140. Die verspätete Antwort.

Im März 1991 wurde der Mercedes W140 präsentiert. Mit zweieinhalb Jahren Verzögerung. Der Grund war BMW. Die Münchner waren auch schuld daran, dass die neue S-Klasse so aus den Fugen geriet.

Zu lang, zu schwer und vor allem zu breit. Alles an der Mercedes W140 S-Klasse scheint irgendwie überdimensioniert, als sie im März 1991 vorgestellt wird. Dass der Nachfolger des fast schon dezenten W126 so aussieht, wie er aussieht, hat mit BMW zu tun. Die Bayern legen mit dem 7er E32 ab 1986 erstmals einen echten Konkurrenten auf Augenhöhe hin. Der Siebener ist ein stattliches Auto, bietet viel Platz und Komfort. Und erstmals einen mächtigen V12. 

Als Mercedes-Chef Werner Niefer den neuen 7er sieht, ist er außer sich. Seit 1981 entwickeln die Ingenieure am Nachfolger der S-Klasse, drei Milliarden DM hat Daimler schon investiert. „Er hat getobt und die Entwicklungsarbeiten stoppen lassen“, erinnert sich Ex-BMW-Entwickler Wolfgang Reitzle in einem Interview mit dem Podcast „Alte Schule“.

Mercedes W140

BMW gelingt tatsächlich ein Coup. Denn bisher dachte die Konkurrenz wie Mercedes, der neue Siebener sei schmaler, flacher, windschlüpfriger – das waren allerdings nur Prototypen. Das Serienfahrzeug lässt Reitzle deutlich stattlicher bauen: breiter, höher, größer. Als 1987 der Mercedes 560 SEL W126 bei einem Test von auto, motor und sport gegen einen BMW 750il (E32) verliert, steigt der Blutdruck von Niefer. Dass eine S-Klasse dem 7er unterliegen kann, sprengt seine Vorstellungskraft. Auch der neue Lexus LS400 ist Niefer in Sachen Qualität und Technik zu dicht an seiner neuen S-Klasse. 

Die Mercedes-Ingenieure müssen nacharbeiten, über zwei Jahre lang. Werner Niefer will eine mächtige S-Klasse und damit wieder an die Spitze des Automobilbaus. Platz, Komfort, Luxus, Kraft und Innovationen sollen im neuen Mercedes W140 bis zum Anschlag einziehen. 

Bei BMW ist man amüsiert

Heraus kommt 1991 eine Limousine, die damals auf den ersten Blick verstört. Mit 5,11 Meter ist die S-Klasse deutlich länger als bisher und überragt den 7er um über elf Zentimeter. Der Fahrgastraum sieht aus wie eine Kapsel, um die herum das Auto gebaut ist: Motorhaube und Kofferraum sehen von der Seite aus, als seien sie nur angesetzt, wie bei einem Monocoque.

Im Vergleich zum E32 wirkt der Benz kantiger und eckiger, wie mit einem Geodreieck gezeichnet. BMW-Ingenieure lachen sich noch heute kaputt darüber, dass W140er-Fahrer bis zur Modellpflege zwei am Heck ausfahrbare Peilstäbe benutzen, um rückwärts einparken zu können – BMW setzt da schon auf Sensoren. Niefer selbst sagt bei der Präsentation in Genf: „na der ist halt ́n bisschen größer geworden“.

Mercedes W140

Mercedes bekommt ein Image-Problem, wenn auch nur in Deutschland. In Amerika und asiatischen Ländern stellt sich die Frage nach der Größe nicht – der Mercedes W140 wird als Luxuslimousine direkt akzeptiert. Die „taz“ schreibt über den Benz: „Ausgeburt von Ingenieurswahn und Klimakiller-Instinkt“, „auto, motor und sport“ allerdings „vom besten Auto der Welt“. Und schreibt weiter: „Es ist der Fahrkomfort, der in der Tat neue Maßstäbe setzt und alles relativiert, was man bisher über gut gefederte Autos wusste […]. Der überragende Federungskomfort geht einher mit einem Fahrverhalten von ähnlicher Perfektion. Die Handlichkeit ist für ein Auto dieser Statur und dieses Gewichts erstaunlich.“ Ein Ingenieursauto, konzipiert für die ganz lange Strecke. 

Denn die Ingenieure haben ihre Hausaufgaben gemacht: Ein CAN-Bus-System vernetzt verschiedene Stellmotoren und Steuergeräte, Bremsassistent, Antriebsschlupfregelung ASR, ESP, Navigationssystem und eine Sprachsteuerung fürs Autotelefon (ab 1996). Als erstes Auto weltweit besitzt der Mercedes W140 serienmäßig ESP ab 1995. Bündige und doppeltverglaste Seitenscheiben minimieren Windgeräusche. Eine Zuzieh-Automatik schließt je nach Modellvariante sanft die Türen. Aus dem Kofferraumdeckel fährt beim Öffnen automatisch ein Griff aus. Bis zu 60 Elektromotoren sorgen für Komfort im Innenraum, eine ausgeklügelte Zwei-Zonen-Klimaautomatik für angenehme Temperaturen.  

Mercedes W140

Die neuentwickelte Doppel-Querlenker-Vorderachse und Raumlenker-Hinterachse bieten hohen Fahrkomfort bei präzisem Lenkverhalten. Erstmals fährt der Pilot mit der S-Klasse und nicht umgekehrt. Dazu kommen Vierventil-Motoren und ab der Modellpflege serienmäßig eine Fünfgang-Automatik mit Wandler-Überbrückungskupplung. Unter der Haube des S 600 arbeitet zudem ein Zwölfzylinder – als Antwort auf den BMW 750i. Bei der Konstruktion legen die Ingenieure großen Wert auf die Möglichkeit zum weitgehenden Recycling. Im März 1994 folgt die erste Modellpflege, im Juni 1996 die zweite. Wie beim Vorgänger W126 gibt es auch beim W140 eine Coupé-Variante. Der C140 ist allerdings noch schwerer als die Limousine und wirkt wegen des gekürzten Radstands und der akzentuierten Dachlinien noch wuchtiger. 

Auch ein V16 mit 550 PS ist geplant

Die Sechszylinder-Basis der Limousine leisten anfangs 193 PS, später 231 PS. Als Achtzylinder gibt es 400er, 420er und 500er mit 279 bis 326 PS. Eine Volllastanreicherung beim V8 pumpt bis 1992 noch einen Extraschluck Sprit in die Brennräume – für mehr Spritzigkeit des mindestens zwei Tonnen schweren Autos. Als Königsmotor dient der 6,0-Liter-V12 mit bis zu 408 PS – und damit über 100 PS mehr als der 7er. Aus Mercedes Sicht stimmt die Reihenfolge jetzt wieder. Allerdings kostet der V12 im S 600 mit 195.000 Mark fast 65.000 Mark Aufpreis zum Achtzylinder. Zudem bietet Mercedes für die S-Klasse einen Sechszylinder-Diesel mit bis zu 177 PS. Ein anfangs geplanter V16 mit rund 550 PS für einen 800 SEL wurde schon kurz nach der Vorstellung verworfen.  

Mercedes W140

Bei den ersten Fahrzeugen stimmt jedoch die Qualität nicht. Türen zischen, die Außenspiegel flattern. Das Problem mit dem Autozug wird mit einklappbaren Außenspiegeln gelöst. Mercedes sieht sich genötigt, eine Art Rechtfertigung für ihr Wunderauto zu veröffentlichen. Europäische Kunden bleiben reserviert, sind vom Dicken nicht begeistert: Zwischen 1991 und 1998 verkaufte Mercedes rund 406.000 S-Klassen, beim Vorgänger waren es innerhalb von rund zwölf Jahren mehr als das Doppelte. Im Deutschland greifen in den sieben Jahren bis 1997 rund 100.000 Kunden zu. Vom Coupé C140 verkauft Mercedes nur rund 26.000 Fahrzeuge. 

Dabei spielt die Zeit der Präsentation des Autos auch eine Rolle. Die lange Verzögerung bis 1991 sorgt für den Marktstart in einem Jahr, in dem ausladende und protzige Autos nicht gut ankommen. Deutschland ist gerade wiedervereinigt und stellt sich auf magere Jahre ein. Die S-Klasse symbolisiert aber eine fette, unbewegliche Wohlstandsgesellschaft. US-Soldaten marschieren 1991 in den Irak ein, der zweite Golfkrieg dreht indirekt den Kraftstoffhahn zu. Im Vergleich zur dezenten S-Klasse W126 machte der Mercedes W140 auf dicke Hose, wirkt noch heute im direkten Vergleich zu groß, zu schwer, zu kantig und wenig ansehnlich. Liebhaber von Mechanik und dezenter Barock-Optik trauern dem W126 hinterher. „Für mich ist es die hässlichste S-Klasse, die je gebaut wurde“, sagt Wolfgang Reitzle. 

Mercedes W140

Für Fans des W140 ist es hingegen der beste jemals gebaute Benz und immer noch die beste Reiselimousine der Welt. Das ganze Auto wirkt wie aus dem Vollen gefräst. Alle Schalter sind massiv ausgeführt und liegen auch 30 Jahre später gut in der Hand. Das kantige Design wirkt heute nicht schräg, sondern zeitlos. Jede Linie sitzt, keine Sicke zu viel verschandelt den Benz. Chefdesigner Bruno Sacco lieferte hier ganze Arbeit ab.

Zudem bietet der W140 noch heute einen Fahrkomfort, den selbst spätere S-Klassen nicht mehr erreicht haben. Bei 130 km/h auf der Autobahn hören Insassen keine Windgeräusche. Nichts. Absolut nichts. Zudem wirkt ein Mercedes W140 im Vergleich zu fetten Oberklasse-SUV irgendwie zierlich. Dennoch wächst die Fangemeinde von W140er-Fahrern nach der Markteinführung kaum. Viele Fahrzeuge gehen nach Öffnung einiger Ostblockländer als junge Gebrauchte in den Export. In Deutschland fahren heute nur noch weniger als 5.000 Exemplare auf den Straßen. 

Ganz Schluss war mit dem Mercedes W140 ab 1997 allerdings nicht. Mercedes nutzt die ausgereifte und gute Technik für den Maybach 57 und 62, der bis 2012 gebaut wurde.

TEXT Fabian Hoberg

LESENSWERT.
WALTER.