Es klingt nach einem Treppenwitz der Geschichte. Aber im Grunde genommen hat der sportlichste Serien-Porsche aller Zeiten seine Existenz einem SUV zu verdanken. Ohne den Cayenne hätte es den Porsche Carrera GT wohl nie gegeben.
Kurze Rückblende in die Schlussphase des 20. Jahrhunderts. Porsche hat längst nicht den heutigen Glanz. Mitte der 1990er verkauft der Sportwagen-Hersteller jährlich rund 20.000 Fahrzeuge – weltweit. Im Zeitraum 1995/1996 beträgt der Gewinn 27,9 Millionen Euro. Zum Vergleich: 2021 macht Porsche einen Gewinn von rund vier Milliarden Euro mit mehr als 300.000 abgesetzten Fahrzeugen. Über die Hälfte davon entfallen auf die SUV-Modelle Cayenne und Macan.
Die Wende hat Porsche Wendelin Wiedeking zu verdanken. Seit 1993 Vorstandsvorsitzender in Zuffenhausen hat er den Mut und die Weitsicht, der heiligen Kuh 911 einen SUV zur Seite zu stellen. Dem Projekt Cayenne gilt die volle Konzentration. Da bleibt für ein von der Rennabteilung erhofftes Engagement in der kostspieligen Formel 1 kein Platz. Wiedeking stoppt die schon sehr weit fortgeschrittene Entwicklung eines 3,5-Liter-V10-Saugmotors. Auch einen bereits Testrunden drehenden Prototypen für zukünftige Einsätze bei den „24 Stunden von Le Mans“ legt er auf Eis.
Kurz vor der Jahrtausendwende sieht die Lage schon wieder ganz anders aus. Das Modell Boxster hat die wirtschaftliche Wende eingeleitet, die Cash-Cow Cayenne steht kurz vor dem Marktstart. Vor diesem Hintergrund genehmigt der Vorstand einen Supersportwagen weit oberhalb des 911. Den Konstruktionsauftrag erhält das Entwicklungszentrum Weissach. „Wir waren aber mit Rennwagen komplett ausgelastet und mussten uns externe Unterstützung holen“, erinnert sich Roland Kussmaul, in jener Zeit als Chef der Performance-Abteilung auch für Sonderfahrzeuge verantwortlich.
Die Fremdarbeiter kombinieren den auf 5,7 Liter Hubraum vergrößerten V10 mit einem Kohlefaserchassis – das Ergebnis ist ein ziemlich reinrassiger Rennwagen. „Uns schwebte allerdings ein Highperfomance-Fahrzeug mit Komfort für den Alltag vor, das man fahren kann, ohne ständig die Zähne zusammenzubeißen“, beschreibt Kussmaul die internen Verwicklungen.
“So ist das Auto eine Katastrophe”
Der gesamte Porsche-Vorstand, allen voran Vorsitzender Wiedeking, ist nach Probefahrten auf dem Mercedes-Testgelände in Papenburg entsetzt. Das Urteil von Cheftester Walter Röhrl fällt ähnlich aus: „So ist das Auto eine Katastrophe.“
Wiedeking erklärt das Projekt Porsche Carrera GT zur Chefsache und zwar von Chef Kussmaul. Der holt sich Röhrl mit ins Boot, um den Rennwagen für Nichtprofis am Lenkrad zu domestizieren.
Sound des Porsche Carrera GT fasziniert
Der hinter dem zweisitzigen Cockpit positionierte Motor kann bleiben. 612 PS sind eine Ansage. Mehr als jeder andere Serien-Porsche zuvor und stärker als der legendäre Le-Mans-Sieger Porsche 917. „Der Sound eines freisaugenden V10 ist perfekt“, schwärmt Röhrl. Eine keramikbeschichtete Kupplung bringt ein wenig mehr alltagstaugliches Anfahrverhalten als Kohlefaserscheiben. So bleibt auch die Trockensumpfschmierung erhalten, die einen tiefen Einbau des Motors und damit eine günstige Schwerpunktlage ermöglicht.
Die erfreulich schnörkellose, aus Kohlefaser gefertigte Karosserie und der bei 120 km/h elektrisch ausfahrende Heckflügel erfüllen ihren Zweck – der Porsche Carrera GT fährt bei jedem Tempo stur geradeaus beziehungsweise genau in die Richtung die das aus dem 911 stammende Lenkrad vorgibt.
Auch am Konstruktionsprinzip von Kohlefaser-Monocoque und Radaufhängungen mit doppelten Querlenkern und Pushrod-Federung wie in der Formel 1 wird nicht gerüttelt. Aber die Fahrwerksabstimmung muss sich einer gründlichen Röhrl’schen Kur unterziehen, natürlich auf der Nordschleife des Nürburgrings. „Wir haben dem Porsche Carrera GT das Bissige eines Rennwagens natürlich nur in Grenzen abgewöhnen können. Schließlich hat das Auto abgesehen von einer Traktionskontrolle keinerlei elektronische Helferlein an Bord“, gibt Röhrl zu.
Walter Röhrl: “Muss nur zwei Handbreit gegenlenken”
Legendär ist eine Szene, als er von einer Nordschleifenrunde in die Werkstatt zurückkommt und von Kussmaul nach dem Fahrverhalten im Linksknick unter der Brücke am Ende der Döttinger Höhe gefragt wird. „Geht, ich muss nur zwei Handbreit gegenlenken“, antwortet der zweimalige Rallye-Weltmeister tiefenentspannt. Der lauschenden Testfahrer-Mannschaft fällt die sprichwörtliche Kinnlade runter – an dieser Stelle ist der Carrera GT über 300 km/h schnell.
Als Röhrl im September 2000 bei der Weltpremiere mit Polizei-Eskorte durch Paris fährt, ist der Porsche Carrera GT für ihn zwar immer noch „das emotionalste Auto“, das er je gefahren ist, für das man „eine gewisse sittliche Reife am Gaspedal“ benötigt. Aber die Alltagstauglichkeit ist da. Trotzdem verkauft Porsche rund 200 weniger als die vorgesehenen 1.500 Stück. Der Kaufpreis von 452.690 Euro ist halt viel Geld für einen Supersportwagen, der zwar ein Pferd im Wappen trägt, aber in Leipzig und nicht in Maranello gebaut wird.
Aber die Investition hätte sich gelohnt. Heute ist ein Porsche Carrera GT kaum für unter einer Million zu haben.
TEXT Christian Schön
FOTOS Porsche