Das Gerücht hält sich seit Jahren hartnäckig in der Szene. Damit eine möglichst originalgetreue Umgebung für seine Rennwagen erhalten bleibt, lässt Sammler Prof. Dr. Friedhelm Loh den Asphalt der Rennstrecke von Le Mans abtragen – um ihn dann in Dietzhölztal-Ewersbach wieder einzusetzen.
„Das ist eine schöne Geschichte, stimmt aber nicht“, sagt Friedhelm Loh. Aber sie passt zum Mythos der Autos rund um den Industriellen aus dem Lahn-Dill-Kreis. Der 76-Jährige sammelt seit über 35 Jahren Oldtimer – zwar bisher im Verborgenen, doch sein Name tauchte immer wieder in Verbindung mit bestimmten Oldtimern auf. Jetzt hat er sich ein Museum gebaut, „Das Nationale Automuseum – The Loh Collection“, und macht einen Teil seiner Sammlung auf 7.500 Quadratmeter öffentlich.
Nach dem ersten Vorab-Rundgang kann man sagen: Es ist das beeindruckendste Oldtimer-Museum in Deutschland, ach was, in Europa. Friedhelm Loh und seine Mitarbeiter haben nicht nur eine unfassbare Autosammlung mit über 150 Exponaten zusammengetragen – von 1886 bis heute – sondern sie präsentieren sie auch stilvoll. Jedes Fahrzeug erzählt eine besondere Geschichte. Ganz wie seine eigene.
Sein erstes Auto, ein Ford 12M Coupé, kauft sich Friedhelm Loh mit 18 Jahren, macht eine Ausbildung zum Starkstromelektriker, studiert später Betriebswirtschaftslehre und träumte von einem Mercedes 190 SL. „Damals ein Traumwagen, aber für mich unerreichbar“, erzählt er.
Sein Vater stirbt früh, drei Jahre später übernimmt er als 27-Jähriger die elterliche Firma für Elektrobau und entwickelt sie in den nächsten Jahrzehnten weiter. Für Autos hat er keine Zeit, denn er baut das Unternehmen zum Imperium aus. Mit seiner Firma Rittal produziert er unter anderem Industrie-Schaltschränke und Software – ein Hidden-Champion mit 12.000 Mitarbeitern weltweit. Zentrale: Dietzhölztal-Ewersbach.
Erst Mitte der 1980er-Jahre erinnert er sich an seinen einstigen Traumwagen und kauft sich einen 190er. „Ein totaler Flop. Ich hatte keine Ahnung und habe den SL wieder zügig verkauft. Aber so schnell kann mir keiner meine Visionen nehmen“, lacht Loh. Es folgen mehrere Mercedes-Modelle. „Mit Mercedes bin ich hier groß geworden, die Autos haben mir immer gefallen“, erklärt er seine Entscheidung.
Die Sammelleidenschaft hatte ihn nun endgültig gepackt. Loh kauft sich eine Halle in der Nachbarschaft, will sie aber nicht mehr nur mit Mercedes-Modellen füllen. „Ich wollte eine bunte Sammlung mit Autos aufbauen, die eine technische Bedeutung besitzen“, sagt der leidenschaftliche Autofahrer. In seiner wilden (Frei-) Zeit fährt er privat Rallyes in Finnland, Russland, Afrika und Südamerika. „Rennfahrer wollte ich aber nie werden, das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern stand und steht immer an erster Stelle“, sagt er.
Eines Tages fängt Loh an, strategisch zu sammeln. „Den genauen Zeitpunkt weiß ich nicht mehr, aber mit der zunehmenden Bewunderung für die Leistungen der Ingenieure und Designer der damaligen Zeit habe ich zielgerichteter gesammelt“, erklärt er. Seitdem ist er kein „Behalter“, sondern ein Sammler, der die Sammlung optimieren will.
Mindestens eine vierstellige(!) Zahl an Autos geht in den nächsten Jahren durch seine Hände. „Aber ein Lieblingsauto habe ich wirklich nicht. Ich kann mich an vielen Autos nicht satt sehen“, sagt er. Aber wenn er alles abgeben müsste, dann wäre der Bugatti Type 35 das letzte Auto, was er verkaufen würde.
Seit sich der Gedanke an ein Museum verfestigt hat, hat sich der Schwerpunkt seiner Sammlung etwas geändert. „Die Autos müssen nicht mehr nur mir gefallen, sondern auch Besuchern. Und die Autos müssen etwas aussagen, wie Mut, Innovationskraft, wegweisendes Design, Handwerkskunst und Liebe zum Detail“, sagt er.
Dafür lässt er eine geschichtsträchtige historische Industriehalle in Sichtweite seines Hauses zum Museum umbauen, ohne dass sie den ursprünglichen Charme verliert. Kulissenbauer stellen das Capitol Kino in Dillenburg nach, wo Friedhelm Loh als junger Bursche hinging, oder die Boxengasse des Nürburgrings, die sich allerdings hinter einem Tor verbirgt.
Der Schwerpunkt liegt auf herausragenden Klassikern der Automobilgeschichte. Der Ferrari 288 GTO stammt von „Albert Uderzo (1927–2020), dem Comiczeichner von Asterix und Obelix“. Von Michael Schumacher kommt der Formel-1-Rennwagen, mit dem er 2000 seinen ersten Weltmeistertitel mit Ferrari errang. Dazu parken in der Halle unter anderem ein Benz Victoria von 1896 mit nur drei Vorbesitzern, ein elektrischer Löschwagen von 1906 mit einer Reichweite von 70 Kilometern, der Lincoln Continental von US-Präsident John F. Kennedy, ein seltener Bugatti Typ 57 Atalante, ein Citroën 2CV Sahara 4×4 und ein Mercedes 710 SSK aus den 1930er-Jahren.
Auf einer Steilkurve parken Sportwagen und Klassiker aus acht Jahrzehnten, wie Einzelstück Maybach Exelero, Lamborghini Miura SV und Mercedes CLK GTR. Dahinter baut sich über die Hallenbreite ein überdimensionaler Setzkasten auf, der rund 30 Sport- und Rennwagen aus Langstrecken-, DTM- und NASCAR-Rennen bis zu Formel 1 und Formel E enthält. Im Obergeschoss präsentiert das Museum die Sonderausstellung „100 Jahre 24-Stunden-Rennen von Le Mans – der Mythos, die Helden, die Autos”. Dort parken 21 originale Le-Mans-Rennwagen von 1928 bis in die Neuzeit, darunter Aston Martin DB4 GT Zagato, Bugatti Type 50, Ferrari 250 S, Porsche 550 Spyder, Porsche 917 K, Porsche 956, Audi R8, Siegerwagen von 2004, oder Audi R18 e-tron von 2013.
Neben den Rennwagen und anderen Autos steht in der Ausstellung ganz klar die Entwicklung der Technik im Vordergrund. Die Lern-Werkstatt „Schülers Technikum“ zählt dazu, benannt nach dem Tankwart der Tankstelle gegenüber seiner Firma, Uwe Schüler, der in den vergangenen Jahren die Sammlung und das Museum mit aufgebaut hat und zu einem ausgewiesenem Oldtimer-Profi gereift ist. „Die Geschichte der Technik fasziniert mich. Das, was unsere Vorfahren unter den damaligen technischen Möglichkeiten konzipiert haben, ist wahre Kunst“, sagt er.
Mit der Ausstellung will Friedhelm Loh jüngere Besucher ansprechen und ihnen die Faszination Auto, Verkehr und Antrieb von den Anfängen erklären. Dazu gehören für ihn Schnittmodelle und Exponate von der Dampfmaschine über einen Bugatti-16-Zylinder bis zur modernen E-Auto-Plattform ebenso, wie das Head-up-Display eines 53er Thunderbird oder der Niveauausgleich eines Mercedes Adenauers.
Mit dem Standort Dietzhölztal-Ewersbach, rund eine Stunde von Frankfurt oder Köln entfernt, will er zudem Besucher fürs Museum in seine Heimatregion locken – vielleicht aber auch künftige Mitarbeiter für einige seiner Unternehmen. „Ich bin hier geboren, hatte die Chance erfolgreich zu sein und bin daher sehr dankbar. Ich will die Region attraktiver gestalten und ihr etwas zurückgeben“, sagt er.
Außerdem sei der Westerwald Erholung pur, endlos schön, mit tollen Straßen. Ein Paradies für Autofans. „Ich fahre gerne allein, in aktuellen Sportwagen, aber auch in Vorkriegsautos, denn ich mag die Geräuschkulisse“, erzählt er.
Friedhelm Loh möchte mit seinem Team auch etwas Nachhaltiges schaffen und in die Zukunft schauen. Daher strebt das Museum Kooperationen mit Schulen und Hochschulen (Nürtingen) an. Zur Eröffnung des Museums nimmt der „Campus Nationales Automuseum der Fakultät Wirtschaft und Recht der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen“ seine Arbeit auf, unter wissenschaftlicher Leitung von Professor Jochen Buck, führender Gutachter für Unfallforschung in Deutschland. Geplant sind Vorlesungen im Bereich Automobil- und Mobilitätswirtschaft – auch live an Objekten im Museum.
Stiftung Nationales Automuseum The Loh Collection
Museumsstraße 1
35716 Dietzhölztal-Ewersbach
ab 23.07.2023 geöffnet: Mi bis So
Eine Kooperation mit einer weiteren Hochschule ist geplant und eine „Geschichtswerkstatt“ soll den Besuchern die Industriegeschichte mit dem Schwerpunkt „3.000 Jahre Eisenverhüttung an Dietzhölze und Dill“ nahebringen. „Mein Ziel ist es, die Faszination des Museums zu nutzen, um junge Menschen für das Thema Technik zu begeistern und vielleicht auch für eine spannende Ausbildung zu gewinnen“, sagt Museumsgründer Loh. Fachkräftemangel mal anders angepackt.
Wie auch die Sache mit dem Le-Mans-Boden. Die Geschichte geht so: Friedhelm Loh war mit Mitarbeiter Uwe Schüler für die Oldtimer-Sammlung unterwegs, als sie an einer Raststätte hielten und beide zufällig auf den Boden schauten. „Der passte optisch sehr gut zur Ausstellung und rein zufällig ist es der gleiche Materialmix wie der in Le Mans“, lacht Loh. Der Mann hat einfach Glück.
TEXT Fabian Hoberg