Eine der Werbeanzeigen für den Porsche 911 RS 2.7 würde heute die strengen Sittenwächter auf den Plan rufen. Für gerade einmal 500 Männer sollte dieser Übersportler der frühen 1970er Jahre gebaut worden sein und in der Tat dürfte sich kaum eine nennenswerte Zahl von Damen zu Zeiten der Olympischen Spiele in München 1972 oder der Fußballweltmeisterschaft zwei Jahre später hinter das Steuer des puristischen Sportwagens aus Zuffenhausen gesetzt haben.
Aus den ehemals für die Gruppe-4-Homologation geplanten 500 Fahrzeugen wurden ein paar mehr als 1.300 Stück. Diese sind zwar heute nicht unbezahlbar, aber auf dem besten Weg dorthin, denn ein gut erhaltener 911 Carrera RS 2.7 kostet schon einmal mehr als eine Million Euro. Die großen Versteigerungshäuser RM Sothebys, Bonhams oder Goodings reiben sich die Hände, wenn einer der legendären Straßensportler auf ihren Veranstaltungen einen neuen Eigentümer findet.
Insgesamt entstehen in den 1970er Jahren 1.580 Fahrzeuge, denn der Porsche 911 Carrera RS 2.7 wird damit zusätzlich zur Gruppe 4 ab dem 1.000sten Fahrzeug für die Gruppe 3 homologiert. 200 Fahrzeuge baut Porsche in der Leichtbauversion Sport mit dem wählbaren Ausstattungspaket M 471. In der reinen Rennversion entstehen 55 Einheiten, 17 als Basisfahrzeug sowie 1.308 Fahrzeuge in der Touringversion.
Dieser Touring mit der internen Bezeichnung M 472 fährt sich weniger bissig und entspannter, ohne dabei nur einen Hauch unsportlich zu sein. Dagegen ist die Sportversion mit dem Ausstattungspaket M 471 spartanischer, denn es fehlen in dem weißen Beau unter anderem Rücksitze, Teppiche, Uhr und Armlehnen. Zwei leichte Sitzschalen ohne Kopfstützen ersetzen auf Kundenwunsch die bequemeren Sportstühle. Selbst die Scheiben bestehen aus leichtem Dünnglas und das Porsche-Wappen auf der Fronthaube wird anfangs geklebt.
Das macht sich auf der Waage bemerkbar, denn im Vergleich zum 472er-Ausstattungspaket Touring wiegt der 471er-Sport stattliche 115 Kilogramm weniger und kommt somit auf ein Leergewicht von 960 Kilogramm. Sein Basispreis: 34.000 D-Mark. Das Sportpaket kostet 700 D-Mark und das Touring-Paket üppige 2.500 D-Mark Aufpreis. Als reines Rennauto entwickelt Porsche ferner den 911 Carrera RSR mit der internen Baubezeichnung M 491, der unter anderem über einen größeren Hubraum verfügt und im Gegensatz zu den zahmeren Versionen kompromisslos auf den Einsatz im Motorsport konzipiert wurde.
Der Porsche 911 RS 2.7 ist durch seine beiden Spoiler an Front und speziell am Heck einfach zu erkennen. Wirklich schön ist der Entenbürzel im Vergleich zum ansonsten sanft auslaufenden 911er-Heckdeckel nicht, aber eben praktisch, denn er brachte den nötigen Abtrieb ins überaus fahrfreudige Heck – form follows function wie es seit ein paar Jahren heißt und schon damals umgesetzt wurde. „Der 911 Carrera RS 2.7 war als Homologationsfahrzeug gedacht. Es sollte ein ganz leichtes, schnelles Sportfahrzeug werden“, erinnert sich Peter Falk, damaliger Versuchsleiter Serienfahrzeuge bei Porsche.
Entwickelt wurde der charaktervolle Entenbürzel am Heck von den Ingenieuren Hermann Burst und Tilman Brodbeck, die zusammen mit dem Stylisten Rolf Wiener den ungewöhnlichen Heckspoiler kreieren, um ihn in den Monaten danach im Windkanal sowie auf Versuchsstrecken zu testen. Dabei drückt der neu erschaffene Entenbürzel den 911 Carrera RS 2.7 bei schneller Fahrt nicht nur besser auf die Straße, sondern versorgt den Heckmotor mit zusätzlicher Kühlluft. Dieser Effekt wird ohne Luftwiderstandserhöhung erzielt und die Höchstgeschwindigkeit wächst um mehr als vier km/h auf fast 250 km/h.
Herzstück des Porsche 911 RS 2.7 ist der 2,7 Liter große Sechszylinder-Boxer, der bereits im Stand so imposant vor sich hinsägt, dass man es kaum erwarten lassen kann, den 154 kW / 210 PS auf Landstraßen und Autobahnen die Sporen der frühen 1970er Jahre zu geben. Der Boxer hängt stattlich am Gas, auch wenn unten herum der rechte Biss fehlt. Ab dem mittleren Drehzahlbereich sieht es jedoch ganz anders aus und der weiße Renner schraubt sich mit stabilem Heck und perfekter Fünfgang-Handschaltung die kurvigen Landstraßen Richtung Schwarzwald hinauf. Knapp über 5.000 Touren liegt das maximale Drehmoment von damals mehr als stattlichen 255 Nm an – damals eine Schau – 50 Jahre später zumindest auf dem Papier nicht einmal mehr Mittelmaß. In der Realität ein am Steuer des RS ein spektakulärer Traum.
Der von Hans Mezger und Valentin Schäffer entwickelte Rennmotor bekam seinerzeit eine Hubraumvergrößerung um 0,3 auf 2,7 Liter, die auch durch eine dünne Nikasil-Beschichtung an den Zylindern möglich wurde. Um eine entsprechende Alltagstauglichkeit zu behalten, blieben Verdichtung, Steuerzeiten und Ventildurchmesser zum etablierten 2,4-Liter-Aggregat identisch. Aus dem Stand geht es wenn gewünscht in 5,8 Sekunden auf Tempo 100 und auf der Autobahn schafft der puristische Hecktriebler fast 250 km/h. Die etwas zahmere Touringversion ist mit 240 km/h Spitze kaum langsamer.
Heute beeindruckender denn je bleibt die große Fahrbarkeit im Alltag sowie die Art, wie der Porsche 911 RS 2.7 seine Leistung auch bei schnellem Antritt auf die Fahrbahn bringt. Dafür sorgt nicht nur die rechte Abstimmung von Federn und Dämpfern, sondern auch die Mischbereifung an Vorder- und Hinterachse. „Wir wollten mit breiten Reifen an der Hinterachse Traktion und Fahrverhalten verbessern, weil das Gewicht an der Hinterachse am höchsten ist“, erinnert sich Peter Falk.
Erstmals erhielt damals ein Serienfahrzeug bei Porsche verschiedene Reifengrößen an Vorder- und Hinterachse. Vorne sitzen Fuchs-Schmiederäder 6 J x 15 mit 185/70-VR-15-Reifen, hinten 7 J x 15 mit 215/60-VR-15-Reifen. Auch das ist bis heute geblieben – wie die Legende des Porsche 911 Carrera RS 2.7.
TEXT Stefan Grundhoff