Los Angeles ist nicht kaum wiederzuerkennen, Santa Monica düsterer denn je und Venice Beach scheint kurz vor dem Absturz zu stehen. Die Kriminalität in der Region erklomm ungeahnte Höhen, nachts ist es gefährlicher denn je und die Zahl der Obdachlosen, die in Zeltkonstruktionen, heruntergekommenen Wohnmobilen und zerborstenen Autos hausen, ist schlicht beängstigend.
Ein paar Meilen weiter Richtung Norden ist von den anhaltenden Armutswelle an der Südküste Kaliforniens nichts zu spüren. Beverly Hills, Brentwood, Calabas oder Malibu geht es besser denn je. Die millionenschweren Einwohner leben nachhaltig, gerne vegan und regelmäßig steht der Besuch des lokalen Yogakreisels an. Das Auto hat im Leben der hiesigen nichts von seinem Stellenwert verloren und die hauseigene Garage behält für den eigenen Wagenpark nicht selten die Grundfläche eines stattlichen Mehrfamilienhauses.
Die Ökohybriden von Toyota sind längst Trend von gestern und die einst so beliebten Alibi-Modelle fahren hier nur noch wenige. Der Prius wurde abgelöst von zahllosen Tesla-Modellen der Versionen S, 3, X sowie Y und die wiederum haben zunehmend mit europäischen Elektromodellen wie Audi E-Tron, Mercedes EQC und Porsche Taycan zu kämpfen.
Viele der finanzstarken Bewohner der Region sind im Alltag längst auf Elektroautos umgestiegen, doch am Wochenende sieht das ganz anders aus. Die einen fahren Harley, andere eine dicke BMW K 1600 GT und die echten Speedheads fegen ihren Sportwagen morgens zwischen fünf und sieben Uhr durch die Canyons nördlich von Malibu. Zwischen der Edelenklave Pacific Palisades, Calabas, Thousand Oaks und dem Navystützpunkt Point Dume wird gedonnert, was das Zeug hält. Keine Spur von Tesla Model S, Porsche Taycan oder Audi E-Tron GT – hier in den frühmorgendlichen Hauptrollen zu sehen: Porsche 911, BMW M3 / M5, Mercedes AMG E63, Subaru Impreza WRX, Lamborghini Huracan oder Corvette ZR1.
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Die Fahrer wollen ungenannt bleiben und sich schon gar nicht auf einem Foto zeigen. Genauso sieht es mit den Autos aus. Greg fährt im Alltag ein Tesla Model S und seine Frau einen schwarzen Range Rover. Wenn die sich am frühen Sonntagmorgen noch einmal wohlig auf die andere Seite dreht, schlüpft der Ehemann bereits erwartungsfroh raus aus dem Bett, steigt in Wohlfühlklamotten und donnert Richtung Canyons.
Die Hauptdarsteller sind hoch motorisiert, die Fahrer wissen am Steuer was sie tun – an sich. Denn die Fahrerei in den Canyons ist eine verbotene Parallelwelt und die ist schon angesichts der hohen Geschwindigkeiten alles andere als ungefährlich. Im Toganga Canyon sagen sich morgens um halb sechs Uhr Klapperschlange und Erdhörnchen ein zweites Mal gute Nacht. Angestrengte Jogger, ausgelauchte Radfahrer und herumirrende Touristen – zu dieser Zeit alles Fehlanzeige.
Dafür kommt einem ein paar hundert Meter südlich des ebenfalls noch schlummernden Café Mimosa auf der 27er-Route ein heißes Sechserpack entgegen. Deutlich in Führung ein silberner BMW M5 mit brüllendem V10-Triebwerk, ein gutes Stück dahinter zwei Porsche 911 GT3, mit dem Audi R8 gleich ein zweiter Zehnzylinder und ein düsterer Subaru WRX – mit etwas Abstand ein AMG E63er, der sichtlich Probleme hat zu folgen. Gleißend helle LED- und Xenonkegel durchschneiden die schwarzen Morgenstunden – es ist ohrenbetäubend laut. Nach ein paar Sekunden ist es vorbei. Der Topanga Canyon ist wieder in den Tiefschlaf gefallen.
Vor der gefährlichen Kehre kurz hinter Clifftop bevor es auf den legendären Pacific Coast Highway geht, fliegt das zweite Geschwader an – wieder Richtung Norden auf der 27 und mit zwei Porsche 911, Ferrari 458 Italia, einem Nissan Skyline und einem augenscheinlich heiß gemachten BMW M2 wieder entsprechend potent motorisiert. Die Drehzahlen sind noch etwas geringer als ein paar Minuten vorher beim ersten Stoßtrupp und das Tempo aktuell wohl nur knapp über der 100-km/h-Marke. Doch keine Frage, die Jungs werden es in ein paar Meilen ebenfalls krachen lassen, quer fahren, Gummi verbrennen und die eigenen Boliden ebenso wie sich selbst im undefinierbaren Grenzbereich bewegen.
Brad und Jim sind seit Jahren mit von der Partie – beides Familienväter und eher unscheinbare Typen. Sportlich gekleidet, wohlsituiert und nach eigener Aussage autoverrückt. Dass es ein- bis zweimal im Monat an einem Sonntagmorgen zum Spielen in die Malibu Canyons geht, wurde längst zur lieb gewonnenen Tradition. Man kennt sich und die anderen Teilnehmer; spricht sich per Whatsapp am Abend oder gar in der Nacht vorher ab, wo man sich trifft. Fotos sind nur für das eigene Smartphone gedacht und es wird nichts bei Instagram, Facebook oder Twitter gepostet – versteht sich. Geheimhaltung ist das A und O.
Zusammengerottet wird sich zwischen 5.30 und 6 Uhr in der Früh. Da gibt es beliebte Tankstellen am Pacific Coast Highway oder eine Handvoll unscheinbarer Parkplätze am Meer. Keine Überraschung, dass die örtliche Polizei und die gefürchteten State Trooper von der frühmorgendlichen Kurvenhatz schon lange Wind bekommen haben. „Doch die Schichtpläne sind nächtens dünn; zudem werden hunderte von Villen und Straßen in dem Dreieck Calabasas, Malibu und Brentwood überwacht“, verrät einer der lokalen Trooper hinter vorgehaltener Hand, „die paar Verrückten, die durch die Canyons donnern, sind da ein kleines Problem.“
Zumindest so lange nichts passiert. Nach der frühmorgendlichen Renneinlage geht es für die meisten Piloten zurück nach Hause zu Familie oder Freunden zum entspannten Frühstück. Einige machen noch einen Abstecher zu Cars & Coffee, von denen es gerade an der Westküste Kaliforniens immer wieder sonntags zahllose Events gibt, die zwischen sieben und neun Uhr stattfinden. Hier trifft man sich locker wie eh und je, trinkt einen Kaffee mit Bagel und schaut sich die anderen Boliden an. Gerade heute ist der Jahresauftakt 2022 bei Cars & Coffee Malibu am Bluffs Park voller als sonst. Die Polizei ist auch mit drei Fahrzeugen vor Ort. Und wer auf den prall gefüllten Parkplatz blickt, erkennt vielleicht den ein oder anderen Sportwagen, der zwei Stunden vorher noch durch den Las Flores Canyon gedonnert ist. Bevor es mit frischem Backwerk jetzt zu Frau und Kindern geht – nach Beverly Hills.
TEXT Stefan Grundhoff; press-inform