Widersprüche sind in. Zumindest in der Automobilbranche. Einerseits wollen die Autofahrer immer mehr Komfort und Platz, andererseits sollen die Fahrzeuge bitte sportlich dynamisch daherkommen. Schließlich ist der Zeitgeist progressiv und das soll gefälligst auch das eigene Gefährt zum Ausdruck bringen. Coupés beziehungsweise Fließhecklimousinen lösen optisch diesen Widerspruch auf: Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Da verwundert es wenig, dass beim letzten BMW 4er gegen Ende der Laufzeit jedes zweite Exemplar ein Gran Coupé war. Zumal das viertürige Coupé dazu noch sehr attraktiv aussah. In dieser Kategorie schlägt sich auch das neue Modell ziemlich gut. Über die Niere soll sich bitte jeder selbst sein Urteil bilden.
Die Münchner Vertriebsstrategen müssten mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn sie da nicht einen Nachfolger zum Händler rollen würden. Allerdings halten die Bayern auch da an der klassischen Reihenfolge fest: erst Coupé und Cabriolet und ab dem 13. November endlich das Gran Coupé. Der Nachzügler trägt die interne Modellbezeichnung G26 und hat gegenüber dem Vorgänger um 14,3 Zentimeter in der Länge, 2,7 cm in der Breite und 5,3 cm in der Höhe zugelegt. Ist also 4,78 Meter lang, 1,85 Meter breit sowie 1,44 Meter hoch. Das Datenblatt lügt nicht. Das neue 4er Gran Coupé steht wuchtiger da als bisher. Passt irgendwie auch zum auffälligen Nieren-Kühlergrill.
Allerdings geht mit diesem Zusatzblech kein höherer Luftwiderstand einher. Rahmenlose Türen und versenkte Türgriffe, die mit der Außenhaut bündig sind, tragen zu einem Cw-Wert von 0,26 bei. Das sind 0,02 Punkte weniger als bisher. Das Gran Coupé steht ebenso wie die beiden 4er-Brüder auf der CLAR-Plattform und ist bis zur A-Säule identisch. Auch die zusätzlichen Versteifungsmaßnahmen im Bereich des Vorderwagens und an der Hinterachse sind beim 4er Gran Coupé verbaut und das Fahrwerk entspricht im Grunde dem des 4er Coupés. Das bedeutet im Standard-Trimm vorne eine Doppelgelenk-Zugstreben-Federbeinachse in Aluminium-Stahl-Leichtbauweise mit einem hydraulisch gedämpften Zugstrebenlager und hinten eine Alu-Fünflenkerachse. Garniert wird das Ganze mit hubabhängigen Stoßdämpfern, die die Stabilität des Autos erhöhen.
In unserem Testwagen ist das alternativ erhältliche M-Sportfahrwerk mit elektronisch geregelten adaptiven Dämpfern und einem elektronisch gesteuerten Differenzial an der Hinterachse verbaut. So soll der anspruchsvolle Spagat zwischen Komfort und Dynamik realisiert werden. Flankiert wird das Ansinnen durch bekannte Fahrmodi, die auch nach eigenem Gusto verfeinert werden können. Die Technik erfüllt ihre Aufgabe und die Spreizung der einzelnen Programme ist deutlich spürbar. In Comfort sind auch lange Strecken entspannt zu bewältigen. Wobei das BMW M440i xDrive Gran Coupé auch in der Sport Plus Einstellung das Abfedern der 1.825 Kilogramm Lebendgewicht nicht einstellt.
Bei einem BMW mit dem Buchstaben „M“ im Namen, egal ob reinrassig oder mit dem Zusatz 440i versehen, definiert sich durch Agilität. Die perfekte Achslastverteilung verleiht dem flotten Bayern in schnell genommenen Kurven Stabilität. Allerdings macht sich beim Durcheilen das Gewicht des doppelt aufgeladenen Sechszylinders bemerkbar. Die Lenkung mit dem gewohnt dicken Volantkranz ist präzise, könnte aber dem Piloten noch deutlicher klarmachen, wie es unter den 245er-Pneus aussieht. Wenn man alles aus dem Gran Coupé herausholt, erreicht der BMW aus dem Stand nach 4,7 Sekunden Landstraßentempo und wird bei 250 km/h von der Elektronik eingefangen. Den Durchschnittsverbrauch gibt der Münchner Autobauer mit 8,5 Litern pro 100 Kilometer an, bei uns waren es 11,1 l/100 km.
Damit es erst gar nicht brenzlig wird, unterstützen bis zu 40 Assistenzsysteme den Fahrer. Die adaptive Geschwindigkeitsregelung orientiert sich nicht nur an den vorausfahrenden Fahrzeugen, dem Navigationssystem und der Topografie der Strecke, sondern auch an Ampeln. Rot heißt dann beim BMW M440i xDrive Gran Coupé bremsen – und zwar selbsttätig. Im Stau bildet der BMW jetzt automatisch eine Rettungsgasse und Updates werden drahtlos aufgespielt.
Der Innenraum gleicht dem der anderen 4er-Modelle wie ein Ei dem anderen. Damit ist auch das Infotainment auf dem neusten BMW-Stand. Das beinhaltet auch einen bis zu 12,3 Zoll großen Touchscreen, der bei der Bedienung nach wie vor von einem Drehdrücksteller flankiert wird. Die Grafik der Bedienoberfläche ist ebenfalls deckungsgleich mit dem der Baureihen-Geschwister: also Kacheloptik beim Infotainment und die BMW-Sicheln beim virtuellen Cockpit. Zum Bedienkonzept gehört natürlich auch ein Head-Up Display mit einer um 70 Prozent vergrößerten Projektionsfläche, bei dem die Anzeigen vom Fahrer nach Bedarf angepasst werden können. Auf die Augmented Reality-Variante mit den fliegenden Pfeilen müssen die BMW-Kunden allerdings verzichten. „Die Praktikabilität macht das Auto so einzigartig“, sagt Produktmanager Andreas Ederer. Der Radstand wächst um 4,6 Zentimeter auf 2,86 Meter, was sich natürlich positiv auf das Fond-Raumangebot auswirkt. Dennoch kommt bei Personen jenseits einer Körpergröße von 1,85 Metern aufgrund der abfallenden Dachlinie kein opulentes Business Class Feeling auf.
Wolfgang Gomoll; press-inform
Datenblatt BMW M440i xDrive Gran Coupé
Typ: Mittelklasse-Limousine
Motor: Reihensechszylinder
Hubraum (cm3): 2.998
Leistung in PS (kW) bei U/min-1: 374 (275) bei 5.500 bis 6.500
Max. Drehmoment (Nm) bei Umin-1: 500 bei 1.900 bis 5.000
Höchstgeschwindigkeit (km/h): 250
Beschleunigung 0-100 km/h (sek.): 4,7
Getriebe: Achtgang-Automatik
Antrieb: Allradantrieb
Treibstoffsorte: Super
Tank (L): 59
Verbrauch EU-Drittelmix (l/100 km): 8,5
CO2-Ausstoß (g/km): 194
Gewicht, Herstellerangabe (kg): 1.825
max. Zuladung (kg): 555
Abmessungen (L/B/H): 4.783 / 1.852 / 1.442 (L/B/H)
max. Ladevolumen (L): 470 bis 1.290
Preis (Euro): 67.200
Basismodell: 46.000
Abgasnorm: Euro 6d