Man muss sich den neuen Bentley Bentayga nur anschauen und sieht selbst unter den düsteren Tarnfolien, dass es mit einer normalen Modellpflege hier nicht getan ist. Die Trauben hängen hoch, denn seit der Premiere vor knapp fünf Jahren wurden vom britischen Luxus-SUV mehr als 20.000 Fahrzeuge verkauft – so viel wie noch nie in der gleichen Zeit von einem Bentley.
Als der Bentayga im Jahre 2015 auf den Markt der Luxus-SUV fuhr, war dieser so gut wie leer. Rolls-Royce bastelte noch an seinem Cullinan, BMW werkelte an seinem X7, Lamborghini hatte seinen Urus ebenfalls noch nicht auf die Straße gebracht und der Mercedes GLS / GLS war nicht mehr als eine M-Klasse mit etwas längerem Radstand. Wenn es um Luxus und SUV ging, gab es den Range Rover und einen Cadillac Escalade – das war auch schon.
Wie sich die Zeiten seither geändert haben, denn mittlerweile hat die Konkurrenz mächtig aufgeholt. Hauptwettbewerber Rolls-Royce hat einen prächtigen Cullinan bestens im Markt positioniert und Modelle wie BMW X7, Mercedes Maybach GLS oder der bald abgelöste Range Rover machen dem Bentayga das Leben schwer. Die Kritik der Kunden am großen Bentley-SUV, der technisch eng mit Modellen wie Audi Q8 / Q7, VW Touareg und sogar dem Lamborghini Urus verwandt ist, hält sich im Rahmen. Im Fond hatte das bisherige Modell nie das Luxusniveau der ersten Reihe und auch das leicht klobige Heck wurde bisweilen moniert.
Keine Überraschung, dass Bentley hier unter Designchef Stefan Sielaff nachgelegt hat. Front und Heck präsentieren sich unter den Tarnfolien im Design der beiden Brüder Flying Spur und Continental GT. Dabei geht es nicht nur um eine noch präsentere Front mit dem mächtigen Grill, sondern speziell um das neue Heck, das mit den ovalen LED-Leuchten im Continental-Stile und dem nach oben gewanderten Kennzeichen spürbar gewonnen hat.
„Wir haben die Spur an der Hinterachse um 20 Millimeter verbreitert“, erklärt der scheidende Entwicklungsvorstand Dr. Werner Tietz, der aus Crewe zu Seat wechselt, „das macht sich auch in einem niedrigeren Schwerpunkt und einer besseren Fahrdynamik bemerkbar.“ Tietz und sein Entwicklungsteam haben in den vergangenen zwei Jahren hunderttausende von Testkilometern abgespult, damit der Bentayga im harten Konkurrenzumfeld weiter so begehrlich wie bisher bleibt. Allein im vergangenen Jahr war der Bentayga mit 45 Prozent aller Bentley-Verkäufe Volumen- und Ertragsbringer Nummer eins.
„Wir mussten mit dem Bentayga moderner werden und wir haben dabei auf unsere Kunden gehört“, erläutert Tietz, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat, „so gibt es drei Zentimeter mehr Platz im Fond, die jeder merkt.“ In der Tat sitzt es sich in der zweiten Reihe entspannter, weil die Rückbank ein Stück nach hinten gewandert ist. Nach wie vor gibt es den Briten mit vier Einzelsitzen sowie mit einer durchgehenden Rückbank für drei Insassen oder mit drei Sitzreihen für dann sieben Personen.
Coupé kommt nicht
Die beste Wahl ist und bleibt der Viersitzer mit vollelektrischen Komfortsesseln. Wer die Lehne der Stühle elektrisch nach hinten fährt, hat sogar um bis zu zehn Zentimeter mehr Beinfreiheit. So lässt es sich auch auf längeren Fahrten entspannter denn je leben – auch das wird hier in Südafrika getestet. Ändert aber nichts daran, dass die neue Sitzgestaltung in der Reihe zwei eine Version mit langem Radstand nicht ausgleichen kann. Auch das lange Zeit kolportierte Bentayga Coupé ist Kostendämpfungsmaßnahmen zum Opfer gefallen.
„Wir haben wirklich viel Aufwand in das Auto gesteckt“, legt Baureihenleiter Chris Cole nach, „nur die Türen und das Dach wurden vom Vorgänger übernommen. Sonst ist alles neu.“ Nicht ganz neu, aber allemal verbessert zeigt sich das Luftfederfahrwerk. Das war bereits bisher mit seiner Wankstabilisierung eine Klasse für sich. Doch viel Detailarbeit bei der Abstimmung sowie die zwei Zentimeter mehr Spurweite am Heck machen sich nicht erst im Grenzbereich bemerkbar.
Ideal zum ausgewogenen Fahrwerk passt der doppelt aufgeladene Achtzylinder mit vier Litern Hubraum, den man bereits aus anderen Bentley-Modellen kennt. Er leistet 550 PS und stattliche 770 Nm. Kein Wunder, dass der 2,5 Tonnen schwere Allradler unter sonor bassigem Klang die Autobahn östlich von Kapstadt Richtung N2 und George verlässt. Der V8-Turbo hängt bullig wummernd am Gas, wenn er gefordert ist; rollt jedoch entspannt vor sich hin, wenn es einmal lässig läuft.
So ein Entwicklungstag unter der südafrikanischen Sonne ist lang. Pro Tag werden mehrere hundert Kilometer gefahren – mit zahlreichen Einzeltest und immer wieder Abstimmungen zwischen den Entwicklungsingenieuren der einzelnen Modelle. Zum Abschluss des Tages geht es noch auf ein Weingut, wo die Prototypen ihre Geländefähigkeiten testen können, ohne dass dies in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgt.
Beim Zwischenstopp werden nicht nur die Tarnmatten über das neue Cockpit gelegt, sondern die kleine Flotte von Testfahrzeugen wird ebenfalls mit dunklem Garagennylon überzogen. Viel Aufwand für eine vermeintliche Modellpflege, die eben aufgrund der umfangreichen Arbeiten doch keine ist. Die Bentley-Entwickler wollen sich an diesem Tag im Februar nicht komplett unter das Kleid schauen lassen, um keinerlei Geheimnisse preiszugeben.
Rund hundert Prototypen waren in der mehr als zweijährigen Erprobung auf der halben Welt unterwegs. Während Entwicklungsvorstand Werner Tietz derzeit bei großer Hitze seine Runden in Südafrika dreht, sind Kollegen mit ähnlichen Kleinflotten in Lappland und in den USA unterwegs und spulen ebenfalls ihr Tagesprogramm ab.
Mit dabei nicht nur der neue Achtzylinder, der das Volumenmodell der neuen Generation werden dürfte, sondern auch das Topmodell des Bentayga Speed, der vom bekannten W12-Triebwerk mit 659 PS angetrieben wird, sowie der Plug-In-Hybride, der etwas später nachgezogen wird. Hier gilt es insbesondere an der Akkutechnik zu arbeiten. Die aktuelle Generation – mit großer Verspätung vorgestellt – schafft aktuell kaum mehr als 30 Kilometer rein elektrisch. Das soll sich nennenswert ändern und fast beim Doppelten liegen.
Stolz ist Werner Tietz und Chris Cole auch auf Kleinigkeiten. Dabei geht es nicht nur um das feiner abgestimmte Fahrwerk, die nachjustierte Lenkung oder die endlich animierten Instrumente. „Im September bringen wir für die Bedienung im Fond neue Tablets. Wir sind die ersten im Konzern, die diese einführen. Ein großer Schritt nach vorn“, so der Entwicklungschef, der seit Jahrzehnten im Volkswagen Konzern für verschiedene Marken arbeitet. Diesen Schritt gibt es eben nicht nur bei den Tablets, sondern auch beim Bentayga an sich. Die Zeit drängt – morgen werden die Prototypen zurück nach Europa geflogen – ebenfalls streng gesichert. Die nächste Station ist die Heimat von Bentley im englischen Crewe und dann geht es ab Sommer zu den Kunden. Die wird es freuen.
TEXT Stefan Grundhoff; press-inform