Es gibt diese Geschichten, da glaubst Du bis zur letzten Sekunde nicht daran, dass sie wirklich passieren. Walter Röhrl ist beruflich Porsche-Mann und somit sieht man ihn auch nur in aktuellen Porsches. Dienstlich sowieso, aber auch privat ist die Garage gefüllt mit 356ern und 911ern vieler Baujahre. Und wenn ich viele sage, dann meine ich viele. Aber wie sieht es in seinem Herzen aus?
In diesem guten und großen Sportlerherzen hat sich 1965 ein kleines grünes Kleeblatt eingeschlichen und ist einfach in der linken Kammer kleben geblieben (das ist der Teil des Herzens, der Sauerstoff in den Körper pumpt. Herzlichst Euer Dr. Senn). Sobald das Gespräch auf Alfa kommt merkt man, wir der Walter lächelt. Wie das Herz pumpt. Das Thema Alfa ist ein emotionales für ihn.
1965 wollten der 18-Jährige, frisch beführerscheinte Walter und sein Cousin Manfred mit dessen Giulia Super 1600 eine Reise nach Sizilien antreten. Natürlich nicht ohne den Wagen noch zuvor mit den 45er Webern aus der TI zu bestücken, 98 PS waren zu wenig, es mussten schon über 100 sein. Schließlich sagte die Werbung damals, die Giulia sei „Ein Familienauto, das Rennen gewinnt“ und die AMS warnte gar vor der „Überlegenheit, die man nur mit Maßen ausnutzen darf, wenn man nicht die übrigen Verkehrsteilnehmer ängstigen will.“ Das taugte dem Röhrl-Clan für den Sizilien-Trip.
Nur: noch vor der Reise kam Walters elf Jahre älterer Bruder Michael bei einem Verkehrsunfall mit seinem Porsche 356 ums Leben. Ein schwerer Schlag für die Familie. Und ein klares Zeichen für Mama Röhrl, dass der 18-Jährige Walter unter gar keinen Umständen mit diesem „Familienauto, das Rennen gewinnt!“ eine Fahrt nach Sizilien antreten wird „und andere Verkehrsteilnehmer und die Mama ängstigen wird“. Basta.
Mit 55 PS und Konserven durch Italien
Walter und Manfred konnten Mama Röhrl dann doch noch vom Italien-Trip überzeugen, aber er musste in einem Mercedes 180 D mit 55 PS angetreten werden. Damit konnte niemand Unfug treiben. Nichtmal der Walter. Fast 10.000 Kilometer sind die beiden durch ganz Italien gefahren, ohne Sprachkenntnisse, ohne Alfa, aber überall Dolce Vita und eben doch Alfas um sie herum. Fremde, spannende Dinge, so ganz anders als daheim in Bayern.
Und auch das Essen: weil Walter nur mit 160 Mark in der Tasche gestartet war, wurde die Lebensmittelversorgung weitestgehend aus dem 180-D-Kofferaum in Form von Konservendosen bestritten, die seine Schwester aus der heimischen Metzgerei beisteuerte. Aber einmal – da entdeckte Walter trotz ausgedrehtem 55-PS-Diesel zwei leckere süße Hörnchen im Schaufenster einer Bäckerei. Voll stolz erwarb er sie ohne italienisch und mit draufzeigen. Leider stellte sich die kulinarische Abwechslung als eine größere dar, als den beiden lieb war: mit einem Kaba zusammen entpuppte sich das süße Hörnchen als ein „Fischbrötchen in Blätterteig“. Walter kriegt sich kaum ein vor Lachen, als er davon erzählt. Emotionen. Kurze Zeit ist er nochmal 18.
Die Alfa- und Italien-Liebe war trotz Fisch-Desaster geboren. Und so war es nicht verwunderlich, dass Röhrls Rallye-Anfänge auch kurze Zeit später unter anderem mit einem 850er Fiat und einem 1750er Bertone bestritten wurden.
Und nun stehen wir 2021 morgens um 6.45 Uhr (meine Schuld) bei 10 Grad in kurzen Lederhosen (meine Schuld) vor dem aktuell heißesten Alfa, den man für viel Geld (Alfas Schuld) kaufen könnte/konnte. Alfa Romeo Giulia GTAm. Walter lächelt und nimmt den Menschenauflauf vor seinem Haus gar nicht mehr richtig wahr. Ich frag ihn, wo ich meinen Camper parken kann, er guckt nur nach dem Alfa und sagt ohne aufzublicken „Stell ihn da unten in die Einfahrt vor meine andere Garage“. Was sich noch als Fehler rausstellen sollte.
Aber erstmal zurück zum Alfa: Normalerweise hat man ja auch nach all den Jahren immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn man den Walter und die Entourage ständig hin und herschicken will zu unterschiedlichen Fotolocations. Wir brauchen eine Kurve, einen Hügel, die Kirche, wo der Walter die Moni geheiratet hat, was mit Blick auf den Bayerischen Wald, Holz … normalerweise verdrehen dann alle die Augen und sehen schon ihr nachmittägliches Hörnchen auf dem Kaba davonschwimmen.
Nicht so an diesem Tag: Walter hat gestrahlt, Lisa, die für Social Media dabei war, hat gestrahlt, unser Mit-Herausgeber Knut hat gestrahlt, ich hab gestrahlt. Walter, weil er gleich viel und schnell Auto fahren dürfte, Lisa, weil sie gleich viel und schnell mitfahren könnte, Knut, weil Walter gestrahlt hat und ich, weil keiner maulig werden würde und ich als einziger Berufstätiger in Ruhe Fotos machen könnte (und natürlich später, wenn Walter den Alfa kennengelernt hat, auch mal neben dran sitzen darf).
Wir starten zur ersten Fotolocation und schon bin ich abgehängt. Walter denkt um kurz vor sieben morgens auf den einsamen Hausstrecken nicht mal dran, sich an den Alfa zu gewöhnen. Im Ort noch vorbildlichst mit 10 km/h unter der erlaubten Geschwindigkeit (sein Nachbar: „Der Röhrl ist der Einzige, der sich immer im Ort an alle Regeln hält! Ein echtes Vorbild!“), auf der freien Strecke dann aber Kapelle! Bis zu diesen Pisten ist sein Nachbar ihm wohl eher noch nicht gefolgt. Niemand folgt ihm da. Ich muss Lisa anrufen, die neben ihm saß und meinen Anruf nur kichernd entgegennimmt und mir erklärt, wo sie schon sind und wiiiiiiiiiiiieeeee coooooooool das denn bitte war. Fünf Minuten hatten sie mir schon abgenommen. Beim Warmfahren.
Röhrl kann fahren. Der Alfa auch. 500 Stück hat man auf die 20-Zoll-Beine gestellt mit einmal alles und scharf. 540 PS brüllt der 2,9 Liter-V6-Biturbo in die Titanauspuffanlage von Akrapovic, 3,6 auf Hundert dank viel viel Carbon (Motorhaube, Dach, Diffusor, Sitzschalen, Kardanwelle, Diffusor und die blitzschönen Kotflügelverbreiterungen) und somit wenig wenig Gewicht. Dazu Polycarbonatfensterscheiben hinten, Rücksitzbankentfall und Türschlaufen, schon sind 150 Kilo eingespart.
Drei Farben gab es (GTA Rot, Montreal Grün und Trofeo Weiß), wir müssen natürlich das scheußliche Metallic-Rot kriegen. Presseabteilungen aller Länder: nix ist schlimmer zu fotografieren als Metallic-Rot. Lasst das! Wobei ich Euch bei diesem Auto sogar zurufen möchte, dass Metallic da überhaupt nichts verloren hat. Zehnmal schöner wären alle drei Farben gewesen, hätte man auf diesen lackgewordenen Kleinstadt-Fingernagelstudio-Chic verzichtet. Das ist nicht Swarowski. Das ist Motorsport.
Statt Fotos steig ich jetzt auch mal mit ein. Ja, ich vertraue Walter Röhrl zu 100 Prozent. Aber lieber auf der Nordschleife. Dass er die Straßen im Bayerischen Wald kennt und sie ihn, ist mir schon klar. Aber sie haben nichtmal einen Mittelstreifen. Und somit keinen Plan B für optimistische Ideallinien, wie der Walter sie für uns rausgesucht hat. Man sieht förmlich schon, wie wir den imaginären rauchsilbernen C 180 Classic mit Heinz-Willi und Christa aus dem Oldenburgischen in der nächsten Kurve bis zu den an den B-Säulen aufgehängten beigen Funktionsjacken zusammenschieben. Röhrl lacht. Da kann keiner kommen. Auf der Straße geht’s nur zum Bauern und der fährt um die Uhrzeit nicht weg. Ach so. Na dann bitte der sechste Test, wie und ob die 20-Zöller bei absichtlichem Durchlatschen des Pedals am Scheitelpunkt der Kurve nun ausbrechen oder durchdrehen. Walter nennt es testen. Ich nenn es die Leut erschrecken. Und er testet eigentlich auch nicht wirklich, es macht ihm einfach Spaß. Er hat sein Alfa-Lächeln im Gesicht.
Als wir wieder in den Ort kommen und der GTAm aufhört zu brüllen, frag ich mal.
„Walter, wie ist sowas für Dich im Vergleich zu Deinen sonstigen Dienstwagen?“
„Toll. Ganz ganz toll. Dieser Sound, soviel Emotion. Guck, das Kleeblatt, einmalig. Und wie der Motor geht, ganz prima. Dieser Klang! Und diese Haptik (tätschelt über das Armaturenbrett). Ich würd ihn wohl in rot nehmen. So für mich privat!“
„Ähm, Walter, wie bitte? Hab ich das gerade richtig gehört? Du überlegst Dir einen zu kaufen?“ (Große-Augen-Smiley)
„Ich hab wirklich schon im Vorfeld überlegt. Ich hab den Prospekt sogar schon geblättert. Aber der Preis. Fast 180.000. Da krieg ich ja bald zwei M4 dafür. Und die sind perfekt. Haben aber natürlich ned so viel Emotionen wie so ein Alfa. Der ist dafür nicht in allem Perfekt. Das Differential macht nicht zweimal das Gleiche, einmal sperrt es gut und er geht schön quer, aber in der nächsten Kurve zieht das innere Rad nur einen schwarzen Strich auf die Straße. Und ich glaub, wir haben hier nicht mal mehr eine Alfa-Werkstatt in der Gegend. Wo soll ich denn damit hin? Aber ganz ehrlich: wenn einer viel Geld hat, dann kann er sich so ein Auto schon hinstellen. Und erst recht, wenn er vielleicht einen alten GTA auch noch hat, dann muss er ja quasi kaufen!“
Wenn Du einen Walter Röhrl soweit hast, dass er ernsthaft überlegt, ob dieses Auto in seinen privaten Fuhrpark zu den Rs, STs, SCs, Carreras, den RSsen und den Turbos einziehen kann, dann hast Du ein wirklich wirklich gutes Auto gebaut. Und wenn Du siehst, wie sein Herz verrückt spielt, dann erst Recht.
Bevor die Emotionen doch noch mit Röhrl durchgehen konnten, haben 500 Sammler und Liebhaber vor ein paar Tagen finale Fakten geschaffen und den Alfa Romeo Giulia GTAm für ausverkauft erklärt.
Als wir zurückkamen wollten wir übrigens nochmal in die heiligen Garagen gucken, als dort auf einmal der Dienst-911-Turbo verschwunden war. Kurze Schrecksekunde, dann klärte sich alles auf. Irgendein Trottel hatte seinen Camper vor die andere Garage gestellt, in der das Auto von Röhrls Frau Moni parkte. Und dann musste sie halt notgedrungen mit diesem Turbo zum Einkaufen. Keine Ahnung, wie das passieren konnte …
TEXT & FOTOS Thomas Senn
PS: Er hat aktuell gar keinen 180 D in der Garage. Sollen wir ihm einen suchen? Falls er mal nach Italien muss …