Schaut man sich die Kombis der 60er und 70er Jahre an, kommt einem nicht nur nach heutigem Designanspruch zumeist das kalte Grauen. Hier wurden klassische Limousinen im Three-Box-Design mit einem unansehnlichen Rucksack versehen. Praktisch waren die Lademeister fast immer – und zumeist alles andere als ansehnlich. In den USA sah das ganz anders aus. Hier waren die Kombis zwei bis drei Nummern größer, hatten ausladende Proportionen und waren wie ihre Limousinenvorbilder eine Orgie in Chrom und Leder mit mächtig Leistung unter der Haube.
Einer der ersten Kombis, der in Europa aus dem Langweilersegment ausscherte und das Transportgeschehen mit einem Designanspruch verknüpfte, war das schwäbische Oberklassemodell, das in den 70er Jahren noch nicht den Zusatz E-Klasse trug. Die Mercedes-Baureihe W123 wurde durch den Kombiaufbau zum T-Modell und bekam die interne Modellbezeichnung S123. Statt des klassischen Kofferraums nebst Deckel gab es eine weitere Fensterreihe nebst üppig dimensionierter Ladeklappe.
Wer diese öffnet, blickt zumindest nach hiesigen Maßstäben in den kleinen Ballsaal eines schicken Hotels. Mit Teppich ausgeschlagen wurde das mächtige Ladeabteil einzig vom hochkant verbauten Ersatzrad auf der linken Seite verkleinert. Das Ersatzrad hatte aus einem ganz besonderen Grund nicht seinen Platz unter dem Ladeboden gefunden: auf Wunsch gab es eine dritte Sitzreihe, denn entgegen zur Fahrtrichtung ließen sich im Kofferraum zwei Notsitze ausklappen, auf denen zumindest Kinder Platz fanden. Wie große Modelle aus dem familienfreundlichen Frankreich wurde das Mercedes T-Modell so zu einem offiziellen Siebensitzer. Dann war das Ladevolumen allerdings kaum noch vorhanden, während sonst stattliche 520 Liter Laderaum zur Verfügung standen, wenn fünf Personen reisten.
Deutlich zuladen konnte der S123 unter anderem durch eine pneumatische Niveauregulierung, die zusammen mit verstärkten Dämpfern, den optionalen 15-Zoll-Felgen und anderen Federn dafür sorgte, das sich die Nutzlast von generell 560 auf bis zu 700 Kilogramm steigern ließ.
Kein Wunder, dass der knapp 4,70 Meter lange S123 auch in anderen Ländern zu einem Erfolgsmodell wurde. Speziell in den USA wurde er zu einem Luxuskombi mit Stern. Ein schicker Kombi für die so freizeitorientierten Amerikaner – das passte zum Jahrzehntewechsel 70er / 80er bestens. So hatten die familiären Kunden in den USA auch völlig andere Ansprüche an Antrieb, Motorisierung und insbesondere Ausstattung des E-Klasse T-Modells. In Europa und speziell Deutschland wurde der S123 zumeist in den kleinen Motorisierungen und bevorzugt als Diesel bewegt. Der 72 PS starke Mercedes 240 TD erfreute sich einer ähnlich großen Beliebtheit bei den Kunden wie der 136 PS starke Mercedes 230 TE, der auf der Autobahn ernsthaften Vortrieb brachte und deutlich mehr Kunden fand als das Topmodell 280 TE.
In den USA wurden die kleinen Motorisierungen ohnehin gar nicht angeboten, weil sich der Luxusanspruch der Marke Mercedes-Benz nicht mit kleinen Triebwerken und den insbesondere hierzulande allgegenwärtigen Sparausstattungen vereinbaren ließ. In den USA und speziell im Vorzeigestaat Kalifornien gaben nicht nur in der deutschen Oberklasse die Turbodiesel den Ton an. So erfreute sich der Mercedes 300 TDT mit seinen 125 PS größter Beliebtheit und dieser ist dann im Vergleich zum europäischen Gegenüber meist komplett ausstaffiert.
Elektrische Fensterheber, Kopfstützen hinten, Klimaanlage, Schiebedach, Radio und sogar Sitzheizung machten die S123er zumindest im Vergleich mit der deutschen Konkurrenz zu Edelmodellen. Hier gab es oftmals nicht viel mehr eine Buchhalterausstattung, die mit dünnen Details wie Schiebedach, zweitem Außenspiegel oder Colorglas mühsam erweitert wurde. Dann und wann fanden immerhin Alufelgen ihren Weg an die vier Radnaben oder eine Zentralverriegelung sorgte dafür, dass man sich beim Öffnen der hinteren Türen nicht die Handgelenke brach.
Ungewöhnliche Ausnahmen sind auf dem heutigen Markt selten zu finden. Ohnehin ist der Markt stark dezimiert und gute T-Modelle sind nicht nur selten zu finden, sondern auch sehr teuer. Ein Modell wie diesen Mercedes 280 TE aus dem Frühjahr 1979 in Sparausstattung mit weniger als 50.000 Kilometern ist daher eine Ringeltaube, die es nicht geben dürfte. Da das Typenschild am Heckdeckel fehlt, geben allein die Rechteckscheinwerfer – später für alle Modelle Serie – darüber Aufschluss, dass hier ein Topmodell unterwegs ist.
Der prächtige Sechszylinder macht dem T-Modell zwar auch heute noch mächtig Beine und drückt die Tachonadel über die 200-km/h-Marke. Doch ansonsten ist der gehobene Reiseanspruch des Fahrers weitgehend ungehört. Keine getönten Scheiben, kein Schiebedach und nicht einmal ein Drehzahlmesser wurden vom Erstbesitzer geordert. Die Gänge werden manuell geschaltet und immerhin gibt es einen Rückspiegel auf der Beifahrerseite und ein Radio, das blechern seine Töne in den Innenraum spült, nachdem man die Stabantenne per Hand aus ihrer Verankerung geholt hat.
Angesichts der geringen Fahrleistung und es Pflegezustandes überrascht es nicht, dass sich der knapp 1,6 Tonnen schwere 280 TE in strahlendem weiß kaum anders fährt als nach der Auslieferung im rheinischen Bergheim nahe Köln vor 41 Jahren. Der M110er-Motor läuft bassig im Hintergrund und der Anzug ist auch nach über vier Jahrzehnten noch immer eine Schau. Man muss sich an die unpräzise Kugelumlauflenkung nicht lange gewöhnen. Sie ist komfortabler denn je und so sind die Abstriche an jegliche Art der Präzision keine Überraschung, sondern eher ein Ausdruck des damaligen Gefühls, mit dem Fahrzeug zu reisen. Das Platzangebot im Innern ist dabei mehr als üppig, auch wenn im Fond sogar die lebensrettenden Kopfstützen fehlen.
Immerhin boten die beiden Modelle W123 / S123 ab Werk eine damals vorbildliche Sicherheitsausstattung. So gehört zur Serienausstattung der ersten Modellreihe eine Sicherheitssäule mit verformbarem Wellrohr, versenkbare Gurtführungen mit an den Sitzen angebrachten Gurtschlössern, ein Kraftstofftank und eine Batterie außerhalb des Verformungsbereiches der Karosserie-Knautschzonen sowie eine selbständig abschaltende Heckscheibenheizung und Türgriffe mit Massenausgleich, die bei starker Querbeschleunigung das selbsttätige Öffnen verhindern. Ab 1980 wurden – gerade wegen des US-Marktes – sogar ABS und Airbags für die 123er angeboten.
Als Fahrer genießt man den Komfort des sanft schunkelnden Fahrwerks und den allemal dynamischen Anspruch des 2,8 Liter Sechszylinder-Einspritzers, der 185 PS leistete und dies bis heute vorbildlich tut. Auf der Autobahn, dort wo Modelle wie 200 T oder 240 TD beim Anstieg nahezu den Hungertod starben, hat der 280er auch Dank seiner 240 Nm maximalem Drehmoment und Bosch K-Jetronic keinerlei Mühe mit neuen Modellen Schritt zu halten. Der Verbrauch von rund 12 Litern Super auf 100 Kilometern lässt sich jedoch nur dann realisieren, wenn man auf Beschleunigungen nahezu verzichtet und den Kombi seinem ihm eingehauchten Komfortanspruch nach rollen lässt.
Natürlich würde eine Stufenautomatik besser passen als die Viergangschaltung; aber im flotten Galopp lernt man die schnelle Gangwahl per Hand schnell zu schätzen; schließlich hatte der Wandlerautomat einen guten Teil der Motorleistung in seinem Innern verschlungen und die Tempo 200 Maximaltempo wären ebenso ein unerfüllter Traum wie der Spurt auf Tempo 100 in kaum mehr als zehn Sekunden.
Auf dem Klassikmarkt einen guten Mercedes S123 zu finden ist schon aufgrund der überschaubaren Produktionszahl von 199.517 Fahrzeugen schwierig. Von der Limousine wurden mehr als 2,3 Millionen Auto produziert. Besonders begehrt sind die Versionen 280 TE und 300 TDT mit zumeist besserer Ausstattung. Ein gutes Modell mit unter 150.000 Kilometern kostet schnell über 30.000 Euro. Aber wer den familiären Lifestyle der späten 70er Jahre genießen möchte, hat es exzellentes Alltagsauto mit viel Platz und eine gute Ersatzteilversorgung.
TEXT Stefan Grundhoff; press-inform