Die leichte Linkskurve auf der Autobahn ist eigentlich nicht der Rede wert. Doch der Fahrer des Skoda Octavia wird sich noch eine ganze Weile an sie erinnern. Wir haben eine Zeit lang auf der rechten Spur gebummelt und öffnen jetzt die Beschleunigungs-Büchse der Pandora. Zweiter, dritter, vierter Gang. Wir drehen den V10-Motor fast voll aus und schnalzen mit der rechten Wippe die Gänge rein. Bämm, bämm, bämm. Die grünen Leuchtdioden im Cockpit schlagen brutal schnell nach rechts aus. Begleitet vom kreischenden Sägen des Triebwerks: Dämmmaterial. Fehlanzeige. Die Verbrennungssymphonie dringt fast ungehindert zu uns durch. Wir ergötzen uns an dem wilden, ungezügelten Sound. Ganz anders ergeht es unserem Vordermann. Als der Akustik-Tsunami des Verbrennungsmotors die Fahrgastzelle des braven Skoda-Fahrers flutet, zuckt dieser merklich zusammen.
Die rollende Urgewalt, in der wir unterwegs sind, trägt den Namen Abt XGT und schaut nur auf den ersten Blick aus wie ein nachträglich geschärfter Audi R8 mit einem Monster-Heckflügel. Tatsächlich handelt es sich bei dem dynamischen Alphatier aber nicht um einen aufgemotzten Straßensportler, sondern um einen reinrassigen GT2-Rennwagen mit Straßenzulassung. Das geht natürlich nicht ohne einige Veränderungen. „Hinter dem Nummernschild befinden sich über 40 Einzelabnahmen“, erzählt Ex-Rennfahrer Martin Tomczyk, der nun bei den Kemptenern als Direktor Motorsport aktiv ist.
Dazu gehören zum Beispiel um die Diagnostik des Autos, also die Fehlererkennung, die strengen Abgasvorschriften und natürlich um das Crash-Verhalten. Ziemlich umfangreiche Änderungen. Deshalb prangt auch keine Audi-Fahrgestellnummer auf der Plakette, sondern eine von Abt. Das zeigt schon, wie groß der Aufwand war, diesen Boliden auf die Straße zu bringen. Das dieser Spaß nicht ganz günstig ist, liegt auf der Hand. Nur 99 Exemplar werden gebaut. Preis: mindestens 599.200 Euro.
Um den Renner fit für den Alltag zu machen, haben die Ingenieure ein paar Annehmlichkeiten eingebaut. Eine Klimaanlage sorgt für angenehme Temperaturen, wenn mit vollem Einsatz um die Kurven jagt und die Karosserie ist aus Komfortgründen etwa zehn bis 15 Millimeter höher gelegt als bei Rennversion. Schließlich will man ja nicht über jeden Kieselstein schrammen. Deswegen soll es auch an der Vorderachse ein Lift-System geben und statt den 18-Zoll-Pneus im Rennsport rollt der XGT vorne auf 19 Zoll und hinten auf 20 Zoll Reifen.
Als Getriebe kommt ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe zum Einsatz. Allerdings muss der Pilot schon selbst Hand anlegen. Alles andere wäre zu weichgespült und würde dem Charakter des Fahrzeugs nicht gerecht. Lediglich im ersten Gang kuppelt das Getriebe selbsttätig aus. Angenehm, wenn man einer Ampel steht. Um das Rangieren zu erleichtern, ist im Abt XGT eine Rückfahrkamera verbaut. Die ist extrem hilfreich, da die ohnehin nicht besonders gute Sicht durch die Lucke sprich das Heckfenster im Heck durch den monströsen Heckspoiler verdeckt wird.
Gut zwei Jahre schraubten die Äbte an dem puristischen Straßensportler, der schon im Stand seine Gene nicht verbergen kann. Der Pilot muss sich über einen Käfig in die Sitzschalen schlängeln und wird mit einem Vierpunkt-Rennsicherheitsgurt fixiert. Der Sitz ist fix, die Anpassung geschieht über die Lenksäule und die in Längsrichtung verschiebbaren Pedale. Im Innenraum herrscht puristisches Rennsport-Ambiente: Das Steuer hat zwei Hörner und ist mit Knöpfen übersät. Bei der Mittelkonsole ist es genauso: Jeder Schalter hat seine Bedeutung. Das zeigt sich auch beim Startvorgang: Einfach Schlüssel umdrehen und rauf aufs Gas? Von wegen. Das Prozedere ähnelt dem Scharfschalten eines Jets. Zunächst muss man die durchsichtige Plastikscheibe über dem Strombutton zur Seite schieben und dann mit einem Druck die Maschine konditionieren.
Von einem Sirren begleitet, fahren die Systeme hoch. Sobald der Daumen ein weiteres Mal aktiv wird, ist es mit den Sounds of Silence vorbei. Nach einem kurzen Orgeln schreit der 5,2-Liter-V10 hinter dem Fahrer laut auf. „Ich bin bereit! Los, los, los!“, die Lader singen ihre hochtönige Melodie und die riesige Ansaughutze auf dem Dach saugt laut schnorchelnd Luft in die Brennräume des Zehnenders. Mit der rechten Lenkradwippe legen wir den ersten Gang ein. Der Abt XGT ruckt leicht an. Wie ein reinrassiges Rennpferd in der Startbox. Bereit, jeden Moment loszugaloppieren. Die 640 PS und das maximale Drehmoment von über 550 Newtonmetern stehen Gewehr bei Fuß, um die automobile Hackordnung auf öffentlichen Straßen neu zu definieren.
Pure Geschwindigkeit stand ohnehin nicht ganz oben im Lastenheft der Allgäuer, sondern Agilität. Damit wir uns richtig verstehen: Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 310 km/h und einer Sprintzeit von 3,2 Sekunden kennt der XGT auch in dieser Disziplin wenig Gegner in der freien Wildbahn. „Das Fahrzeug generiert bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h rund 900 Kilogramm Anpressdruck“, doziert Martin Tomczyk. Die sind auch nötig, denn die Karosserie der Abt-Flunder besteht zu großen Teilen aus Carbon und das ganze Fahrzeug bringt mit zu 90 Prozent gefülltem Tank lediglich 1.450 Kilogramm auf die Waage. Ohne diese Downforce würde sich der Bolide schnell in ein Projektil verwandeln. Stattdessen klebt der Kemptener Bolide förmlich auf dem Asphalt.
Jede Kurve ist ein Geschenk und im Grunde eine leicht modifizierte Gerade. Der XGT ist tatsächlich der oftmals propagierte und nur selten realisierte Kurvenräuber. Jede Bewegung der ultra-direkten Lenkung resultiert unmittelbar in einer Richtungsänderung und jedes Antippen des Gaspedals in einer Beschleunigung. Rennsport pur! Das Gleiche gilt für die Stahlbremsen, in die man richtig reintreten muss, damit sie richtig zupacken. Nach ein paar Kilometern hat man sich an die Direktheit des rollenden Geschosses gewöhnt und verschmilzt mit der Maschine. Der Abt XGT hat Suchtpotenzial. Nicht für jeden, aber für echte Racer.
TEXT Wolfgang Gomoll