Über den Ineos-Konzern kann man viele Erfolgsgeschichten erzählen und Rekordzahlen präsentieren. Aber man kann nicht gerade behaupten, dass er und seine Produkte vielen Menschen bekannt wären. Und noch viel unbekannter ist die Tatsache, dass Ineos seit zwei Jahren Autos produziert.
Ganz überraschend ist diese Unbekanntheit nicht. Was den von Jim Ratcliffe, heute der reichste Mann Großbritanniens, gegründeten Konzern an sich betrifft, handelt es sich um eine Chemieunternehmen für Großabnehmer. Das Rohmaterial für Lego-Steine entsteht zum Beispiel dort. Und dass die Autosparte kaum jemand kennt, liegt an der Nische, in der sich Ineos tummelt: reinrassige Geländewagen.
Ihr Vorbild ist der alte und von vielen Fans immer noch heißgeliebte Land Rover Defender. Zumindest optisch ist er eine Inspiration, wenn auch keine Quelle zum Kopieren. Sämtliche von Jaguar Land Rover anfangs angestrengten juristischen Prozesse wurden von englischen Gerichten abschlägig beschieden. Und technisch betrachtet ist der Ineos Grenadier sowie nicht mit dem Landy zu vergleichen: viel moderner, viel zeitgemäßer und noch konsequenter aufs Fahren im Gelände optimiert.
Eine Anregung ganz anderer Art gab der Land Rover Defender trotzdem: Ihn gab es in unzähligen Karosserieversionen. Das machte ihn schließlich auch für Ineos zum Vorbild. „Schon in einer sehr frühen Phase des Projekts haben wir uns viele Varianten überlegt“, erinnert sich Oliver Schlipf, technischer Direktor und neuer Europa-Vertriebschef bei Ineos Automotive: „Jede Variante wurde geprüft, ob sie wirtschaftlich sinnvoll wäre.“
Eine dreitürige Version wurde bei dieser Gelegenheit gestrichen, der Pickup jedoch beibehalten. Er heißt nun Quartermaster, benannt nach dem Nachschuboffizier. Die Entscheidung für den Namen fiel aber spät, so dass auf Motorhaube und Heckklappe geprägte Grenadier-Schriftzüge zu finden sind.
Ohnehin haben Quartermaster und Grenadier viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel der samtweiche Antrieb der 3,0-Liter-BMW-Reihensechszylinder – wahlweise als Benziner mit 286 PS oder als Diesel mit 249 PS. Für beide gilt: Sie haben mehr als nur ausreichend Kraft. In Deutschland entscheiden sich beim Grenadier Zweidrittel der Käufer für den Selbstzünder, beim Quartermaster dürften es noch mehr sein.
Das ist gut verständlich, denn der Benziner-Pickup bringt es im Normverbrauch auf 14,9 Liter, während unser Testfahrt sogar auf 20 Liter. Die massive Bauweise und das daraus resultierende Gewicht von 2,66 Tonnen (beim Diesel sind es noch knapp 80 Kilogramm mehr) verlangen ihren Tribut. Doch schließlich handelt es sich um ein Fahrzeug, das nicht nur zulassungstechnisch als Nutzfahrzeug behandelt wird, sondern das genau für diesen Einsatzzweck bestimmt ist. 835 Kilogramm Zuladung und 3,5 Tonnen Anhängelast sind Werte, die eine klare Sprache sprechen.
Vor allem zeigt sich das in der Pritsche, die problemlos auch eine Euro-Palette aufnimmt. Damit dann trotzdem noch ein Ersatzrad Platz findet, ist es senkrecht an der Bordwand befestigt. Eine Montage unterhalb des Fahrzeugs, wie sie bei vielen anderen Pickups üblich ist, kam für Ineos nicht in Frage. „Das verschlechtert die Fähigkeiten im Gelände“, erklärt Entwicklungsvorstand Hans-Peter Pessler.
Dass es zahlreiche Verzurrvorrichtungen auf der Pritsche gibt, ist klar. Selbst eine abschließbare Lamellenabdeckung ist optional erhältlich. Weil dann das Rad aber nicht mehr stehend transportiert werden kann, gibt es einen speziellen Bügel, auf dem das Rad hinter der Kabine befestigt werden kann.
Konzeptionell funktioniert das Ganze durch eine Verlängerung des Radstands von 2,92 Meter beim Station Wagon auf 3,27 Meter beim Pickup. Dieser Längenzuwachs hat es in sich. Während der Grenadier, nicht zuletzt auch durch seine Starrachsen und die klassische Stahlfederung, auf Asphalt bisweilen etwas hoppelt, ist man im Quartermaster deutlich entspannter unterwegs – zumal sich die Fahrzeugmasse auf deutlich mehr Länge verteilt.
In Summe ist der Pickup mit total 5,44 Metern einen halben Meter länger als die Basis. Trotzdem ist es verblüffend, um wie viel besser sich der Quartermaster fährt. Das gilt zumindest so lange, bis die nächste, etwas engere Kurve naht. Mit einem Wendekreis von 14,5 Metern ist er eine echte Wuchtbrumme, die zum vorausschauenden Fahren zwingt. Zum Vergleich: Ein VW Amarok braucht für den U-Turn nur 12,9 Meter, obwohl der den gleichen Radstand und eine ähnliche Gesamtlänge besitzt.
TEXT Wolfgang Hörner
Technische Daten Ineos Quartermaster
- Motor: Reihensechszylinder mit Turboaufladung
- Hubraum: 2.998 cm3
- Leistung: 210 kW (286 PS) bei 4.750 U/min
- Drehmoment: 450 Nm bei 1.750-4.000 U/min
- Getriebe: 8-Gang-Automatik plus Untersetzungsgetriebe
- Antrieb: Allradantrieb
- Differenzial: Differenzialsperre vorn und hinten
- Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
- Beschleunigung 0-100 km/h: 8,8 s
- Verbrauch: 14,9-14,4 l/100 km
- Länge x Breite x Höhe: 5.440 x 2.146 x 2.019 mm
- Radstand: 3.227 mm
- Ladefläche: 1.564 x 1.619 mm
- Leergewicht: 2.665 kg
- Zulässiges Gesamtgewicht: 3.500 kg
- Grundpreis: 81.890 EUR