In Porsches normaler 718-Reihe arbeiten im Zuge des allgemeinen Downsizings heute Vierzylinder-Boxermotoren mit Turbo-Aufladung. Wie immer bei Porsche spricht funktional nichts gegen diese Antriebe, sondern viel für sie: hohes Drehmoment für seltenere Schaltvorgänge, damit einfachere Bedienbarkeit und aus dem Fleisch in der Mitte heraus gefahren sogar bessere Verbrauchswerte.
Doch Porsche-Kunden wollen meistens noch etwas fürs Herz, und da enttäuschte sie der Vierer-Boxer. „Der klingt genauso wie ein Käfer“, sagte Rennfahrer Christian Menzel. Man muss zudem wenig tun, um viel aus ihm herauszuholen. Freunde altmodischer Fahrfertigkeit vermissen eine Herausforderung.
Aus allen diesen Gründen hat Porsche dem Spyder den Vier-Liter-Sechszylinder-Boxer-Saugmotor spendiert. Er leistet 420 PS, was für einen Topspeed von 301 km/h reicht. Er röhrt dich herrlich durch die Firewall an, ungetrübt von Fake-Sounds aus Lautsprechern oder anderen Heimsuchungen unserer Zeit. Du kannst nach Gehör schalten, und dennoch ist der Wagen nach außen nicht asozial laut. Statt Druck von unten sind hohe Drehzahlen angesagt. Die Auslegung: eher Drehzahlmotor. Maximalleistung bei 7.600 U/min, dann 400 Umdrehungen Überdrehbereich, dann Begrenzer. Wer alles will, dreht also jeden Gang aus. Herrlich!
Handshake
Porsche kombiniert den Saugmotor mit einem manuellen Sechsgang-Schaltgetriebe. Mit diesem Hebel den Motor bei Laune zu halten, macht dich sicherlich nicht schneller als ein PDK-Getriebe, aber Manchen glücklicher. Die Gänge klicken auf so kurzen Wegen hinein, dass sie nicht mit dem Arm hineingeschoben, sondern leicht aus dem Handgelenk dirigiert werden. Wer viele Jahre lang sauberes, schnelles Schalten gelernt hat, findet hier eine Erfüllung. Auf Wunsch gibt das Auto beim Herunterschalten automatisch Zwischengas. Standard beim Start ist jedoch: selber machen.
Genauso altmodisch die Lenkung. Wer sich nicht mit dem Straßenzustand beschäftigen, sondern den seinen elektronischen Assistenten überlassen will, wird das nicht verstehen, doch ich mag die Straße. Ich will wissen, was der Asphalt mir erzählt. Dazu brauche ich ein Lenkrad wie im Spyder, mit nur so viel Servo-Unterstützung, dass du beim Lenken nicht ungenau wirst, aber wenig genug, dass du noch spürst, welche Kräfte da an den Vorderrädern walten. Den anderen Teil des Lenkverhaltens regelst du mit dem Gaspedal, und hier sind wir dann im Wunderland des Mittelmotor-Konzepts.
Die Goldene Mitte
Wenn wir über das Antriebskonzept „Motor in der Mitte“ nachdenken, fällt jedem ein, wie gut das für die Gewichtsverteilung sein dürfte. Tatsächlich war eine optimale Balance schon immer eine große Stärke der Porsche-Mittelmotor-Baureihen. Weniger offensichtlich: Ein Motor mit all seinen drehenden Teilen fungiert als riesiger gyroskopischer Stabilisator um die Gierachse des Fahrzeugs. Das verstärkt die Tendenz von Nasenbären, störrisch einzulenken und erklärt das ganz spezielle Lenkverhalten von Heckmotor-Konzepten wie im 911.
Beim Mittelmotor hinter den Fahrersitzen (um den Spyder einmal von Front-Mittelmotor-Konzepten zu trennen) liegen die Hebel der Achsen am besten an, um die Stabilisierung des Motors auszugleichen. Das Auto wird handlicher. Dieses spezielle Schwert schneidet jedoch auf beiden Seiten.
Die Kehrseite heißt: Wenn sich das Auto leichter dreht, dann dreht sich das Auto leichter. Die Physik interessiert es nicht, was du beabsichtigst. Ihre Gesetze sind dieselben, ob du nun einlenken oder nicht schleudern willst. Auf seinen Semislicks (Michelin Cup Sport 2) im Regen kannst du dich ganz problemlos im Bummeltempo aus einem rutschigen Kreisverkehr herausdrehen. Und dass dem auf Werkseinstellungen so ist, gehört zu den ganz großen Vorzügen des Spyder.
Whiskey, pur
Der Spyder ist das ehrlichste Auto, das mir seit langer Zeit unterkam. Porsche stattet ihn durchaus mit (abschaltbaren) Fahrhilfen aus – aber nicht, damit du damit bei bester Frisur zum Eis essen fahren kannst, sondern damit du Crash-frei den Grenzbereich erkunden kannst. Es gibt keinen „Sport“-Modus. Das Auto ist ein „Sport“-Wagen – und in diesem Fall eben nichts Anderes. Es gibt keinen Vollkasko-Kokon. Stattdessen gibt es ein hochprozentiges Erlebnis, wie es in dieser Unverfälschtheit im Serienbau fast ausgestorben ist.
Wer also nicht Autofahren kann und es auch nicht lernen möchte, der wird den Spyder weder lieben noch überhaupt verstehen. Mehr noch: Viele benötigte Feinmotorik-Fertigkeiten lernt der Nachwuchs gar nicht mehr zwingendermaßen. Wie also soll er sie schätzen lernen? Wer sich auf Einganggetriebe einschießt (Elektroauto), hat keinen Begriff von den Freiheiten der Kupplung und dem Tenorbereich eines Drehzahlmotors auch im unteren Beschleunigungsbereich.
Wer nie ohne Fahrhilfen fuhr, wird die Fahrhilfen des Spyder als nicht vorhanden wahrnehmen. Und wer in der geschlossenen Kabine in Ruhe Radio hören möchte: Kauf am besten etwas von Citroën. Denn selbst das Dach des Spyder ist puristisch: ohne Motor, mit etwas Gefummel (wenn auch längst nicht so viel Gefummel wie beim 2009er Boxster Spyder).
Vergangenheit, Zukunft
Ich bin mir ganz sicher, dass die Zukunft des Sportwagens sehr spannend wird – wenn wir sie zulassen, wenn wir weiterhin Sportwagen nachfragen, kaufen, pflegen, erhalten, mit unseren Ansprüchen ihre Entwicklung lenken. Doch wenn wir 50 Jahre in die Zukunft schauen könnten, fänden wir wohl wenig vom Spyder in den dann krassesten Konzepten. Stattdessen werden fein ansteuerbare Viermotorkonzepte, Augmented Reality zur Linienfindung, am Ende vielleicht sogar ein direktes neuronales Interface die Bleeding Edge bestimmen.
Der Spyder kommt so nicht wieder. Er ist Porsches Abschiedsgeschenk an unsere Fahrergeneration samt ihrer Details, ihrer Art, wie wir die Maschinen zu bändigen lernten. Wie in jedem Geschenk steckt auch in ihm ein Stückchen Seele und ganz viel Herz. Es nährt die Seelen all jener, die auf derselben Wellenlänge funken wie die Ingenieure, die dieses Auto absichtlich auf dieser Frequenz gebaut haben. Wer das heute nicht versteht, wird es nie verstehen. Bei wem es klickt, bei dem wird das immer funktionieren – selbst in 50 Jahren noch.
TEXT Clemens Gleich