Wir treffen uns an der Rennstrecke in Spa. Da liegt die erste Frage auf der Hand: Was ist Ihrer Meinung nach aktuell das größte Hindernis für Elektrosportwagen?
„Eindeutig das Gewicht der Batterie. An dem Tag, an dem wir die neue Chemie haben, die die Leistungsdichte der Zellen verdoppelt, werden wir das Gewicht der Batterie halbieren und das Problem ist gelöst. Wir sind nicht mehr allzu weit davon entfernt; ich würde sagen, fünf bis sieben Jahre. Dann werden Sie auf einer Rennstrecke all den Nervenkitzel genießen, den Sie von einem Sportwagen erwarten, und Sie werden es nicht einmal bemerken.“
Werden solche Autos auch bei künftigen Generationen, die sich ja angeblich immer weniger für Autos und mehr für Mobilitätsdienste interessieren, noch gefragt sein?
„In den Studien, die wir in Auftrag geben, sehe ich das nicht. Es gibt mehr junge Leute, die ihren Führerschein machen und versuchen, ein Auto zu kaufen, aber in vielen Situationen ist es eine Frage der Erschwinglichkeit, die nicht auf dem Niveau ist, auf dem sie sein sollte. Junge Leute schätzen das Gefühl der spontanen Freiheit, wenn sie aufwachen und sich entscheiden, irgendwohin zu fahren und einen anderen Ort zu erleben. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man alles im Voraus planen muss und alles so ausrichten muss, dass es funktioniert. Die Leute sagen uns, dass sie selbst in dieser chaotischen Welt ein Auto kaufen wollen. Ich habe vier Enkelkinder und setze mich dafür ein, dass sie in den Genuss einer Mobilität kommen, die spontan, sauber, sicher und erschwinglich ist.“
Sind E-Fuels die Lösung, um Verbrennungsmotoren ein zweites Leben auch außerhalb des Motorsports zu ermöglichen?
„Sie können eine gute Lösung für den Motorsport sein, ja, aber vor allem für die 1,3 Milliarden Verbrenner, die weltweit unterwegs sind. Aber sie müssen Null-Emissionen erreichen – und im Moment sind sie bei 70 bis 80 Prozent Emissionsreduktion – und das zu einem Preis, den sich die Leute leisten können, was heute auch nicht der Fall ist. Wir unterstützen E-Fuels und haben angekündigt, dass alle unsere Motoren dafür geeignet sind, da wir ihre Haltbarkeit für alle 14 Marken technisch validiert haben. Wenn diese beiden Probleme gelöst werden, können E-Fuels eine gute Lösung sein. Ein weltweites Verbot von Verbrennern wird es einfach nicht geben.“
Was ist Ihrer Meinung nach die richtige Strategie?
„Über die richtige Strategie in Bezug auf die Antriebsstränge muss ich mir keine Gedanken machen, denn die Technologie wird von den politisch Verantwortlichen bestimmt. Sie haben die „wissenschaftlichen Entscheidungen“ getroffen, und alles, was wir tun können, ist, mit ihnen zu leben. Dies ist aber nicht die Antwort auf Ihre Frage. Die richtige Antwort ist, dass die dogmatische Entscheidung, die getroffen wurde (Verbot von Verbrennungsmotoren bis 2035), jetzt gegen auf die Realität trifft und die einzigen Autohersteller, die damit umgehen können, die Chinesen sind. Wir bei Stellantis sind bereit, aber es wird kein Spaziergang werden. Da reine Elektroautos für die meisten Menschen nicht erschwinglich sind, muss die Automobilindustrie Technologien entwickeln, die sicher, sauber und bezahlbar sind. Und das in verschiedenen Richtungen. 1,3 Milliarden Autos sind auf unserem Planeten unterwegs und wir diskutieren über den Tag, an dem wir 20 oder 30 Millionen Elektroautos zu einem hohen Preis auf einem jährlichen Weltmarkt von 85 Millionen PKWs verkaufen werden – und wir sind „die Reichen“ der Welt. Das ist Tropfen auf dem heißen Stein. Glauben Sie, dass die Europäische Union die Nutzung von Verbrenner-Fahrzeugen in Marokko verbieten wird? In Angola? Venezuela? Indien?“
Was ist dann die Lösung?
„Das ist die Ein-Milliarde-Dollar-Antwort, die ich nicht habe. Aber ich kann Ihnen ein weiteres Beispiel dafür geben, wie sehr die Entscheidungen, welche die EU trifft, mit der Realität kollidieren. Was mein Privatleben betrifft, so bin ich Winzer, ich stelle Portwein her. Ich habe sehr gute und fleißige Leute in meinen Weinbergen, die 40 Jahre alte Pick-up-Trucks mit Dieselmotoren, meist von Nissan, benutzen. Der Durchschnittspreis, den sie für diese Arbeitsgeräte bezahlt haben, liegt bei 1.500 bis 2.000 Euro. Stellantis wird einen leichten Pick-up mit Elektroantrieb auf den Markt bringen, der sich in einem Wettbewerb behaupten muss, in dem unsere Konkurrenten ihre Modelle für 75.000 Euro verkaufen. Wie kann ich von meinen Mitarbeitern im Douro-Tal verlangen, dass sie ihren 1.500 bis 2.000 Euro teuren, 40 Jahre alten Nissan-Pick-up verschrotten und einen glänzenden neuen elektrischen RAM für ein Fahrzeug kaufen, das mindestens 35 Mal teurer ist?“
Wie sehen Sie die Kluft zwischen der Elektro-Technologie in Europa und Asien und wie können Sie aufholen?
„Ich glaube nicht, dass es eine technologische Lücke gibt, sondern eher eine Kostenlücke. Was die Technologie betrifft, so ist einer der wenigen Wettbewerbsvorteile, die wir im alten Europa noch haben, die wissenschaftliche Ausbildung. Ich werde Ihnen zwei Beispiele nennen: Ich bin Portugiese, wie Sie wissen, und leider gehen in meinem Heimatland 30 Prozent der Hochschulabsolventen ins Ausland, um bessere Lebensbedingungen zu finden, was bedeutet, dass ihre Kompetenzen von anderen Ländern genutzt werden. Und wenn ich Start-ups in Kalifornien besuche – was ich häufig tue – sind die Ingenieure, die ich dort treffe, Europäer, viele davon Franzosen. Damit ist das Problem Europas auf den Punkt gebracht: Es nutzt nicht die Intelligenz der neuen Generationen, die diese Länder recht gut ausbilden. Deshalb stimme ich nicht zu, dass Europa in technologischer Hinsicht im Rückstand ist. Aber das gilt für die Kostenstruktur, weil unsere Regierungen beschlossen haben, ein System zu schaffen, das es unmöglich macht, gegenüber dem Rest der Welt wettbewerbsfähig zu sein. Das ist eine legitime Entscheidung, eine demokratische Entscheidung, aber sie macht es unmöglich, mit China und dem Rest der Welt zu konkurrieren. Die Chinesen haben im Vergleich zu Europa einen Kostenvorteil von 30 Prozent, was bedeutet, dass sie Elektrofahrzeuge fast zum Preis von Verbrennungsmotoren verkaufen und immer noch einen angemessenen Gewinn erzielen können, während wir das nicht können. Deshalb brauchen wir die Bedingungen, um dies zu tun. So einfach ist das.“
Das Interview führte Joaquim Oliveira