Müsste der nicht müde sein? Gerädert zumindest. Gerade kommt er von Sylt zurück, da haben sie die Autos ausgestellt und sind mit Gästen, begleitet vom Boldmen-Markenbotschafter Christian Geistdörfer, über die Insel gefahren. Abends Vorträge aus dem Nähkästchen. Am nächsten Tag dann in einer Tour zurück nach Süddeutschland. Das schlaucht doch. Ist ja jetzt auch schon fast 70, Friedhelm Wiesmann, und eigentlich hatte er so etwas gar nicht mehr vor. Er hatte es längst hinter sich. Vielleicht aber hat er, was war, nicht hinter sich lassen können. Vielleicht war da noch eine Rechnung offen, vielleicht lagen da noch einige lose Enden. So jedenfalls wirkt es manchmal, wenn er, gleichwohl ohne Bitterkeit, aber noch immer nicht distanziert, davon redet.
In Welden sitzt nun Friedhelm Wiesmann als Managing Partner im Showroom der Firma Boldmen und erzählt, wie er und sein Bruder Martin einst Roadster und später auch Coupés entwickelten, fertigten und verkauften, die so hießen wie sie: Wiesmann. Es war ihr Traum, dem sie sich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre schon verschrieben hatten – „wir wussten ja nicht, worauf wir uns einlassen“ – und den sie mit nicht weniger Mut als persönlichem Einsatz und Einfallsreichtum auch verwirklichten. 1.650 Roadster und Coupés entstanden in der Manufaktur, bevor das Unternehmen 2013 plötzlich pleite sein sollte, um dann den Insolvenz-Antrag wieder zurückzuziehen, schließlich aber doch abgewickelt wurde. Friedhelm Wiesmann war zu diesem Zeitpunkt zwar noch einer der Gesellschafter, aber schon länger nicht mehr in der aktiven Geschäftsführung.
Es war nicht seine Pleite, trotzdem nimmt er sie noch immer persönlich, als 2020 sein Telefon klingelt. Dran ist ein Bekannter, früher Chef der M GmbH. Der erzählt ihm von Harald und Michael Käs, Vater und Sohn, und dass die beiden in Anlehnung an den 02er-BMW ein Karbon-Cabrio gebaut haben. Er habe sich das angesehen, toll gemacht, aber es fehle denen an einem Konzept, Marketing und Vertrieb. „Ob ich mal mit ihm da hin fahren würde, hat der Adolf Prommelsberger mich gefragt.“
Friedhelm Wiesmann, der die letzten Jahre als Berater für alle möglichen Firmen tätig gewesen war, hätte da eigentlich schon an seinen Ruhestand denken können. Doch gäbe ihm, das ist ihm sofort anzusehen, die Ruhe nichts. Sie nähme ihm etwas, einen Teil seiner selbst. Friedhelm Wiesmann ist einer dieser Menschen, die sagen würden: Ich bin, was ich tue. Aber er war auch „frustriert von den Autogeschichten. Mit Boldmen ist das allerdings was anderes. Ich dachte zunächst an ein halbes oder ein Jahr als externer Berater. Ich hatte erst nicht den Gedanken, wieder voll einzusteigen. Das hat sich ergeben in den Gesprächen, und so habe ich mich mit meinen 67 noch mal da reingestürzt, um das ans Laufen zu bringen.“
Schnell entsteht der Plan für den Boldmen CR4, ein Roadster auf Basis des BMW Z4, die Technik verfeinert, Ausstattung und Farbe individuell zu wählen, die Karosserie aus 62 Karbon-Teilen hochpräzise gefertigt, die erste Edition von 30 inzwischen verkauft, und wenn Friedhelm Wiesmann von dem Auto spricht und der Firma, dann ist da dieselbe Courage, dieselbe Überzeugung, derselbe Enthusiasmus für ein herausragend gutes Produkt wie früher. Fast wirkt es, als schöben sich in seinem Erzählen Vergangenheit und Zukunft gleichsam ineinander.
Reizt ihn das Neue, oder lässt ihn Altes nicht los? Beides. Es klingt, als wäre dieses Engagement auch eine Gelegenheit zur Rehabilitation. Nicht dass er die bräuchte. Vielleicht aber hilft sie ihm persönlich. „Ja sicher“, sagt er, „war ich damals angezählt.“ Fürchterlich geärgert habe ihn, wie einseitig berichtet worden sei, nach dem Motto: tolle Autos, aber pleite gegangen. „Als hätte das an mir gelegen.“ Hat es nicht. „Aber ich empfand das trotzdem als mein Versagen. Ich muss mir vorwerfen, dass da Sachen an mir vorbeigelaufen sind, dass ich nicht alles genau genug kontrolliert habe. Die Insolvenz von Wiesmann hätte es“, davon ist Friedhelm Wiesmann überzeugt, „dennoch nicht geben müssen. Es gab alles, um weiter machen zu können, Aufträge, einen Investor, eine Strategie.“
Es gab aber auch einen Geschäftsführer, den Wiesmann in einem Satz mit den Worten „hohe kriminelle Energie“ erwähnt. „Man hätte die verknacken müssen ohne Ende. Ich weiß vieles, was da passiert ist“. Von „unfassbaren Sachen“, spricht Friedhelm Wiesmann und „ganz krummen Geschichten“, davon, dass bewusst auf die Insolvenz hingearbeitet worden sei, „um das Ganze günstig aus der Insolvenzmasse zu übernehmen und die Wiesmänner los zu sein.“ Er, immerhin Mitgründer und Mitgesellschafter, habe, das müsse man sich mal vorstellen, von der Insolvenz aus der Zeitung erfahren.
Fassungslosigkeit und Groll und eine Weigerung auch, zu akzeptieren, was da passierte, es hinzunehmen, sind ihm anzumerken, als sei das alles zwar lange her, aber immer noch sehr präsent, wie ein Ereignis, das sich nie so ganz verdauen und einordnen lässt. „Ich habe mich damals hingesetzt und über all das sogar ein Buch geschrieben.“ Sein Anwalt riet ihm, es nicht zu veröffentlichen. „Sie müssen das ja beweisen können.“ So wie Friedhelm Wiesmann davon erzählt, ist es schwer, sich die Ereignisse um das Ende von Wiesmann anders vorzustellen als eine Farce. Von der er mehr erzählen könnte und auch würde, müsste er sich nicht auf die Lippen beißen. Sein Schweigen indes ist beredt genug. Lose Enden.
Zur Person
Friedhelm Wiesmann ist Jahrgang 1954 und der jüngste von drei Brüdern. Er studiert Wirtschaft und hatte, kaum von der Hochschule, bald viel Verantwortung und Erfolg im Textilunternehmen, das er mit dem Schwiegervater leitet.
Auf Messen sehen Friedhelm Wiesmann und sein Bruder Martin die Roadster kleiner englischer Firmen und denken: Sehen gut aus, kann man aber besser machen. Man kauft einen Unfall-323i, und um die Technik entwirft und baut der Bruder, Ingenieur, einen Gitterrohrrahmen. 1987 stellen die beiden in Essen den Prototyp des nach ihnen benannten Roadsters aus.
Das Ding auf die Straße zu bringen, kostet Unsummen. Das Problem löst Friedhelm Wiesmann unternehmerisch: Er erschließt mit der Produktion von Hardtops eine Nische. So kann 1993 der erste Wiesmann Roadster ausgeliefert werden. Das Unternehmen in Dülmen wächst zunächst gemächlich, dann rasant. 2007 schon gibt er die kaufmännische Geschäftsführung ab und beschließt vier Jahre später, ganz aus der Geschäftsleitung von Wiesmann auszuscheiden.
Die Insolvenz von Wiesmann 2013 trifft ihn dennoch persönlich hart. Sieben Jahre später kehrt er als Managing Partner bei Boldmen in die Autobranche zurück. Wie früher bei Wiesmann entwickelt er Marketing und Vertrieb.
Die er nun endlich aufnehmen und verknüpfen kann. „Das Feuer fing wieder an zu brennen. Ich habe die Chance, mir das nochmal anzutun“, sagt Friedhelm Wiesmann und grinst. Nicht weil das jetzt ein Spaziergang wäre, einen Nischen-Roadster wie den Boldmen CR4 zu vermarkten. Im Gegenteil. Aber er grinst gelassen und zuversichtlich, weil er von dem Auto so überzeugt ist wie von seinen Partnern, und wer Friedhelm Wiesmann reden hört, merkt sofort, dass er – erstens – immer noch das Zeug hat, zu begeistern und andere anzustecken und – zweitens – über eine unfassbare Erfahrung und Expertise verfügt, über einen Einfallsreichtum auch, der ihn schon zum ungekrönten Guerilla-Marketing-King machte, als man woanders noch nicht mal die Vorstellung hatte, was das denn sein sollte, Guerilla-Marketing.
Sein Einfallsreichtum sorgte schon für einiges Guerilla-Marketing
In den 1990ern war das, wenn man mit seinem Auto etwa zum Tennisturnier am Hamburger Rothenbaum gefahren ist, direkt vor dem Spielerhotel parkte, weil man das so unter der Hand mit dem Concierge arrangieren konnte, um dann André Agassi und Pete Sampras abzupassen und denen, als die abends zum Essen fahren wollen, den Schlüssel für den Wiesmann Roadster in die Hand zu drücken und zu sagen: Bitte sehr, nehmt doch den, habt Spaß, werdet gesehen. Es war, wenn man dem Sieger des Turniers eine Zeit lang ein Auto stellte mit dem Hinweis, er solle im Gegenzug nur alle Auftritte und Interviews mit dem Wagen absolvieren. „Ich musste das Auto dafür ja nur zwischenfinanzieren. Das ließ sich im Anschluss mit prominentem Vorbesitzer bestens wieder verkaufen“, spielt Friedhelm Wiesmann herunter, was doch nicht weniger als ein genialer Coup war.
Sogar im Vorprogramm der Formel 1 in Monaco fuhren die Roadster aus Dülmen, weil Friedhelm Wiesmann mit Fantasie und Verve immer wieder Wege fand, das Auto ins Blickfeld zu bringen. Im Anschluss an eine mehr oder weniger spontan organisierte Charity-Aktion in Monaco brachte er selbst Fürst Albert dazu, künftig mit einem extra in den Farben des Fürstentums lackierten Roadster aufzutreten. „Verrückte Zeiten“, seien das gewesen, „wilde Zeiten. So was können Sie heute nicht mehr machen. Die Situation ist eine ganz andere.“ Sie ist nicht leichter.
Einen entscheidenden Vorteil aber hat Friedhelm Wiesmann im Vergleich zu früher. Er macht das alles nicht zum ersten Mal. „Wir wissen genau“, sagt er, „was wir mit Boldmen jetzt tun. Das“, schiebt er schmunzelnd hinterher, „war damals nicht immer so.“
Boldmen CR 4/CR 4 S
Boldmen wurde gegründet von Michael und seinem Vater Harald Käs. Der hatte als Elektronik und IT-Spezialist mit seiner Frau Monika ein mittelständisches Unternehmen aufgebaut, Michael war mit 19 einst jüngster Kfz-Technik-Meister in Bayern, ging in den Karosseriebau bei Ruf, dann zu Alpina in den Motorenbau, wo er unter anderem den Motor des Siegerautos der Dakar 2015 baute und betreute. Seine Entwicklung ist nun der Boldmen Roadster, der auf der Plattform des BMW Z4 M 40i basiert. Jedes Exemplar wird als Einzelstück mit Karbon-Karosserie und handgemachtem Interieur nach Kundenwunsch gefertigt, der Bau in der Boldmen Sportwagenmanufaktur braucht rund 750 Arbeitsstunden.
Technische Daten: R6-Motor, 2.998 cm3; 408/500 PS; 610/700 Nm; Achtgang-Steptronic; 1.495 kg, 0-100 km/h in 3,9/3,7 s, Vmax 250/270 km/h; Preis ab 184.900 € / 209.500 €
TEXT und FOTOS Michael Orth für WALTER #21