Herr Grimmig (Name von der Redaktion nicht wirklich ernsthaft geändert) ist ein gewissenhafter Mensch. Man konnte kein Beamter im Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Mittelstand sein, war man nicht gewissenhafter als andere Menschen, die sich in den siebziger Jahren mit Schlaghosen, Blumenhemden und übergroßen Sonnenbrillen mehr für Liebe, Frieden und lebensgemeinschaftsübergreifenden Geschlechtsverkehr interessierten als für Aktentaschen, Leberwurstbrote und staatliche Ordnung.
Herrn Grimmig war diese Weltanschauung fremd. Nicht nur das – er hasste diese Gammler. Er sieht sie ja jeden Tag, wenn er die 55 PS des herbstbeigen Strichacht vom Ministerium nach Hause pilotiert. Morgens auf dem Hinweg sah man die Hippies nie. Da liegen sie ja noch in der Kommune aufeinander rum und rauchen Zigaretten. Schrecklich. Für Grimmig eine fremde Welt. Freie Liebe. Genau. Soweit kommt das noch. Seit 32 Jahren ist er mit Frau Grimmig verheiratet. Gut, er kann sie nicht sonderlich leiden und sie ihn natürlich auch nicht. Aber sie kocht ganz passabel (wenn man ihr sagt, wie und wann sie das Essen auf den Tisch zu bringen hat) und sie ist recht reinlich.
Die Ersatz-Cordhose liegt neben den vier streng gefalteten Kurzarmhemden, Regenmantel, Perlon-Pullunder, schwarzer Anzug für die Beerdigungen. Grimmig macht sich nichts aus Mode. Genauer gesagt, weiß er weder was das ist noch was das soll. „Ich kann ja nur eine Hose anziehen!“ hört er sich gern sagen, wenn seine Hippie-Tochter Friederike Papas Breitcordene mal wieder anklagt. Grimmig hatte mal gehört wie jemand zum Hosenthema sagte „ich hab ja nur einen Arsch“, das gefiel ihm. Aber er konnte es natürlich nicht selbst sagen. Das Leben ist lustig genug. Für Grimmig sind Abweichungen von der Norm so, als würde jemand zum Essen zwei Flaschen Dinkelacker Pils trinken statt einer, wie er es macht. Nicht denkbar.
Und so, wie in seiner Stuttgarter Bessere-Gegend-Dreizimmer-Wohnung mit Geranien-Balkon, Leifheit-Küche, Saba-Farbfernseher und ohne Telefon (Frau Grimmig würde sonst zu häufig mit ihrer Schwester telefonieren und sich von der Hausarbeit ablenken lassen) alles mit rechten Dingen zuging, so war es auch auf der Behörde. Der Schreibtisch aufgeräumt, die beiden Bleistifte stets gespitzt und bereit, unsinnigen Anträgen von zu Recht zu belehrenden Bürgern Striche durch ihre naiven Rechnungen machen zu können.
Zur gleichen Zeit wird 1973 im Porsche-Werk aufgeräumt. Da steht alles voll mit gebrauchten Autos, die keiner mehr braucht. Man hat ein bisschen was probiert, 2,7-Liter-Motoren und aerodynamische Entenbürzel für ein neues Modell. Carrera 2,7 RS soll es heißen. Dreißig Motoren wurden dafür angefertigt und in eigentliche 911 S 2,4 E Ölklappenmodelle verpflanzt. Die Versuche sind durch, Weihnachten steht vor der Tür, also aufräumen. Weg mit diesen unnützen Autos. Eine Handvoll davon war auch noch in albernen Tagesleuchtfarben lackiert, orange, gelb, naja. Mal sehen, ob man die los wird. Für einen dieser Prototypen-RS in Tagesleuchtfarbe Gelb fand sich dann auch wider Porsche-Erwarten ein Abnehmer.
Ein Dipl. Ing. gebürtig in Hamburg, zuletzt lebend im badischen Rheinstetten bei Karlsruhe (Fun Fact: Herr Senn: lebend in Hamburg, geboren im badischen Rheinstetten bei Karlsruhe). Er war auf der Suche nach einem günstigen Porsche, Farbe egal. So kam ihm das Angebot der Dr. Ing. h.c. Porsche Aktiengesellschaft in Zuffenhausen gerade recht und er bezahlte am 17. September 1973 gern per Scheck die 16.800 DM. 16.800 DM!!!Achttausendundeinpaarzerquetschte Euro. Für einen Vorserien-RS. In einer Lackierung, von der es keine Handvoll auf der Welt gab. Ich glaube: Der Herr Dipl. Ing. hatte nicht die geringste Ahnung, was er da gerade gekauft hatte.
Dem Wagen, der bis dahin nie zugelassen war, lag eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Porsche AG bei, die den Behörden versicherte, dass Porsche keinerlei Zweifel hat, dass der Motor mit der Versuchs-Endnummer 0027 bedenkenlos in diesem Auto gefahren und eingetragen werden kann. Dazu gab es den Original Porsche-internen Fahrzeug-Auftrag für die Produktion, auf dem handschriftlich und nachträglich entschuldigend vermerkt war „elektrische Antenne irrtümlich verbaut“. Damit ging der Ingenieur zum Regierungspräsidium Stuttgart wo ihm eine einstweilige Ausnahmegenehmigung erteilt wurde für die Tagesleuchtfarbe Gelb und (das muss man wörtlich zitieren, weil es wirklich niedlich ist): „Ihr Fahrzeug darf am Heck mit einem abnehmbaren Spoiler ausgerüstet sein. Der Spoiler ist bei Verwendung so anzubringen, dass es ausgeschlossen ist, ihn zu verlieren.“
Mit dieser Ausnahmegenehmigung kommen wir nun zu Herrn Grimmig zurück. Denn dieses Schreiben war von Herrn Grimmig abgesegnet worden. Aber nur größten Vorbehalten. Denn: Tagesleuchtarbe … auf einem Spinner-Porsche … mit Halbstarken-Spoiler … das kann und darf und wird in der Welt des Herrn Grimmig nur eine kurze Ausnahme bleiben. 55 PS reichen dem Herrn Grimmig, also reichen sie auch der Welt. Und Leuchtgelb. Was soll das denn für ein Firlefanz sein? HERBSTBEIGE ist eine Farbe! Gelb … Spinner!
Und so ließ Grimmig die von ihm vorgeschriebene Botschaft vom Anfang der Geschichte dem Besitzer über die vorgeschriebenen Dienstwege unmissverständlich vorschreiben: „Der durchführende Beamte beim Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Mittelstand hatte um eine exakte Terminangabe gebeten, zu der das Fahrzeug mit der Leuchtfarben-Lackierung aus dem Verkehr gezogen werden würde.“ Aus dem Verkehr gezogen! Weg damit. Spaß Ende. Jetzt macht Grimmig ernst. Einer muss sich gegen die Verrohung der Sitten stark machen. Und so war es im Mai vorbei. „Eine im Mai notwendig werdende Verlängerung – ist lt. Herrn Grimmig – nicht mehr möglich“ steht es in einer Aktennotiz von Porsche.
Und da kommen wir zurück zu meiner Vermutung, dass der neue Besitzer des Wagens einfach nur einen günstigen Porsche wollte. Denn a) protestierte er nicht bei der nächsten Instanz und b) lackierte er den Wagen einfach um in ein ebenso schauderhaftes wie zum sportlichen Charakter des Wagens vollkommen unpassendes Rotmetallic. ROT-ME-TAL-LIC!
Dem Ingenieur gefiel es anscheinend. Und das sogar so gut, dass er den Wagen bis zum Jahr 2016 als einziger Halter 42 Jahre lang genau so weitergefahren hat. Und ihn dann aus Altersgründen an den Porscheexperten und Oldtimer-Händler Harry Utesch (dls-automobile.com) in Fellbach verkauft hat. Und der hat nach einigen Jahren der Schnappatmung und mentalen Wiederbelebung ob dieses Bernsteinzimmerfundes alle Unterlagen zur gelben Mauritius zusammengetragen und den Wagen behutsam wieder in seinen Original-Zustand versetzt. Nicht zu Tode restauriert, nicht bis zur Unkenntlichkeit erneuert. Nein. Der Innenraum mit all seinen originalen Zusatzinstrumenten aus der Porsche-Versuchsabteilung versprüht noch den gleichen Pioniergeist wie 1973. Nur das Gelb musste natürlich wieder auf den Wagen. RAL 1026. Was zwar der gleiche Farbton ist wie damals (unmöglich in Fotos einzufangen, der Wagen leuchtet so viel mehr, als die Bilder es hergeben). Aber er leuchtet nicht exakt so wie damals, da die alten Farben ähnlich wie Phosphor WIRKLICH aktiv geleuchtet haben sollen (keine Ahnung warum ich das damals nicht live gesehen habe, ich war immerhin schon 9 und nur 100 Kilometer weg von Zuffenhausen). Sorry.
Jedenfalls können wir drei Kreuze machen, dass der Wagen nicht bei irgendeinem Schnelldreher-Händler gelandet ist, sondern bei einem Porsche-Enthusiasten wie Harry Utesch. Wer weiß, was aus dem Auto geworden wäre. Nein, geblieben wäre. Es war ja schon lange ein schnöder Alltagswagen im wenig attraktiven Zweitlack. Nur dass eben zwischen nachlackiertem Gebrauchtwagen und ultraseltenstem Prototyp viele viele viele viele viele Hunderttausend Euro liegen.
Wir wissen nicht, ob der Herr Grimmig noch lebt. Hoffentlich haben ihn seine Frau, die Gammler, die verrückte Welt, nicht mürbe gemacht. Vielleicht meldet er sich ja. Dann fahr ich auf einen Kaffee zu ihm und nehm Frau Grimmig Blümchen mit. Narzissen. Die leuchten so schön Gelb am Tag.
PS: falls jemand gerade Puls kriegt: die Einzelheiten aus dem Privateben des Herrn Grimmig sind natürlich möglicherweise leicht überzogen. Die Fakten hingegen alle schriftlich belegt. Man muss sowas ja mittlerweile sicherheitshalber dazu sagen. Witze erklären – aber gern doch 😉
TEXT: Thomas Senn
FOTOS: Kirill Kirsanov