Bengt ist mit seinem silbernen Mercedes 450 SL von 1975 aus Schweden mehr als 1.500 Kilometer angereist und viele haben noch mehr Kilometer zurückgelegt, um nach Hattingen zu kommen. Die kleine Stadt am südlichen Ruhrtal mit ihren rund 50.000 Einwohnern kennt selbst in Deutschland kaum jemand – geschweige denn im Ausland. 1987 wurde die Henrichshütte durch den anhaltenden Niedergang der Stahlindustrie im Ruhrgebiet stillgelegt. Die Hochöfen erloschen 1987; Stahlwerk und Schmiede schafften es immerhin bis 1993 und 2003, ehe auch hier die Lichter an der Industriekultur ausgingen. Von den zahlreichen Veranstaltungen, die auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks jährlich stattfinden, ist der Daimler-Fantreff Schöne Sterne die größte.
Trotz schlechten Wetters kamen tausende zusammen mit ihren Eigentümern aus dem In- und Ausland mit ihren Sternenkreuzern an die Ruhr. Unter ihnen eben auch Bengt mit seinem scharf gemachten 450 SL – außen silber, innen schwarz. „Ich habe in den SL zwei Turbolader eingebaut und die Fünfgang-Automatik aus dem S 65“, erklärt der schwedische Mercedes-Fan in solidem deutsch, „der V8 hat so mehr als 600 PS und wohl rund 1.000 Nm Drehmoment. Schneller als 200 km/h bin ich aber noch nicht mit ihm gefahren. Ich musste den ganzen Motorraum mit Hitzeblechen verkleiden – wegen der hohen Temperaturen der beiden Lader.“
Über 1.500 Kilometer hat die Anfahrt aus der kleinen Ortschaft rund zwei Stunden nördlich von Stockholm gedauert. Bengt und sein silberner Roadster zog es nach dem pandemiebedingten Ausfall des großen Daimler-Fantreffs im vergangenen Jahr diesmal mit Nachdruck nach Hattingen. Überraschend viele der Enthusiasten kommen aus Skandinavien – Martin Petterson ist beispielsweise mit seinem 1972er 300 SEL 3.5 der Baureihe W 109 zu Schöne Sterne gekommen. Der Schwede hat seinen Traumwagen 2017 aus den USA nach Nordeuropa geholt – nach Export 1977 und zahlreichen Zwischenstopps in den Vereinigten Staaten. „Das damalige US-Kennzeichen N 707 JD war damals die gleiche Rufnummer wie das Privatflugzeug seines Besitzers Joseph H. Deuerling“, so Martin Petterson. Es sind eben nicht nur die Autos – mehr denn je die Geschichten hinter den Sternenmodellen.
Rund um die Henrichshütte geht trotz des zumeist lausigen Wochenendwetters zwei Tage lang fast nichts – mehr als 1.800 Mercedes-Fahrzeuge vom nackten 190er in Buchhalterausstattung über Kuwait-Editionen der S-Klasse bis zu den seltenen SEC-Flügeltürern von SGSm Unimog oder G-Klasse – alle sind sie gekommen und trotzen dem bescheidenen Wetter mit Freude, dass der Event trotz anhaltender Pandemie überhaupt stattfindet.
Der nächste Mercedes-Fan ledert gerade seine strahlend weiße Mercedes E-Klasse der Generation W124 ab – ein ehemaliges Einsatzfahrzeug der Feuerwehr. „Der Wagen war bis 2015 im Einsatz – es hat Jahre gedauert, bis ich ihn in diesen Zustand bekommen habe, erzählt der Autosammler aus Wetzlar, „war ein Hagelschaden und so habe ich mir ein gleiches weißes Serienmodell gekauft und alles umgebaut.“ An den müden 72 PS des Mercedes 200 D hat sich jedoch nichts geändert und beiden stattlichen Rundleuchten auf dem Dach machen den rasselnden Vierzylinderdiesel nicht schneller. Aber zum Funkwagen hat es 30 Jahre gelangt und welcher W124 hat sonst schon Doppelblaulicht und teilelektrische Sitze?
Dass es auch exklusiver geht, zeigt sich ein paar Meter weiter auf dem Gelände des verrosteten Henrichshütte. Wie an der Perlenschnur ausgereiht steht eine ganze Horde der Mercedes S-Klassen Baureihe W 140 – zumeist mit langem Radstand in Luxusausstattung mit Gardinen und Co. Mercedes-Sammler Pascal hat zum Fantreff seinen brilliant-silbernen S 500 aus dem Jahre 1994 ins Ruhrgebiet chauffiert. Das picke-packe-volle Luxusmodell hatte seinerzeit einen Neupreis von 174.000 D-Mark und steht auf dem ehemaligen Hüttengelände unweit des Hochofens trotz seiner 240.000 Kilometer kaum schlechter da als zur Auslieferung. Da geht es ihm wie vielen anderen Modellen im absoluten Sammlerzustand.
Einige kommen aus den Niederlanden, Polen, Belgien, Schweden oder Norwegen, manche aus der Ukraine und Ungarn. Wer den Stimmen lauscht meint, die deutschen Daimler-Fans wären gar in der Unterzahl, so international geht es zu. Bei dem Wetter bleiben trotz durchbrechender Sonnenstrahlen die Cabriodächer der verschiedenen SL-Generationen geschlossen und auch der strahlend weiße SEC-Flügeltürer-Umbau von SGS öffnet seine Einstiege nur unter einem schützenden Zeltdach. Mit gerade einmal 57 produzierten Fahrzeugen ist der Traumwagen vieler aus den mittleren 1980er Jahren heute ein gesuchtes Sammlerstück, von dem einige als Breitbau den Weg in die Vereinigten Arabischen Emirate fanden.
TEXT Stefan Grundhoff; press-inform