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Die Nacht vor Olympia.

Wir versetzen und zurück ins Jahr 1972. Morgen startet die Olympia-Rallye. Von Kiel nach München. Bei Rallye-Kleint in der Hamburger von-Sauer-Straße rollt ein blau-gelber Ford Capri mit dem Kennzeichen HH RD 950 zum letzten Funktionstest vom Hof. Morgen soll damit ein gewisser Walter Röhrl (wer auch immer das ist) mit dem Kleint RS an den Start gehen. Die letzte Testfahrt in der Nacht. Am Steuer: Jochi Kleint, noch unbekannter Bruder des berühmten Ernie Kleint. Eine Bilderreise durch die Nacht.

Er sprotzt.

Schnorchelt nach Luft ringend durch die sechs offenen Ansauftrichter. Der Auspuff ballert, wie es sich für ein Gruppe-2-Auto gehört. In der von-Sauer-Straße gehen die Lichter in den Wohnstuben der Opel-Rekord-Fahrer an, als Jochi Kleint des Nächtens zur letzten Testfahrt für den großen Auftritt morgen bei der Olympia-Rallye aufbricht. Ein gewisser Walter Röhrl will mit dem Auto an den Start gehen. Röhrl? Ein Bayer? Bestimmt ein Skifahrer. So vermutete es auch das „Fachblatt“ Auto, Motor und Sport seinerzeit. Was will der bei der Olympia-Rallye? Gegen die Mikkolas und Nicolas’ dieser Welt. Gegen Alpine A110. In einem Capri. Man weiß gar nicht, was für eine Rallye schlechter sein soll: ein Capri oder ein bayerischer unbekannter Skifahrer.

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Egal. Das Auto muss getestet werden. Nachteil einer Werkstatt mitten in der Stadt: Die Testfahrt geht mitten durch die Stadt. Der Chef von Rallye-Kleint Hamburg, Ernie Kleint, schickt seinen Bruder los. Jochi. Der will auch bei der Olympia-Rallye mit einem weiteren Capri starten. Also soll er gefälligst auch den Capri für den Skifahrer ausprobieren.

RallyeMag JochiKleint 16

Von-Sauer-Straße. Erstmal in Bahrenfeld auf die Autobahn. Nix wie raus aus der Stadt für die ersten Meter. Wer weiß, was das Biest für Brocken von sich wirft. Jochi kommt kaum an die Pedale, der Sitz ist schon für den Skifahrer kurz vor der Heckscheibe festgeschraubt. Was soll das für ein langer Lackel sein?

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Die Armaturenbrettbeleuchtung geht nicht. Auf der Autobahn, ohne die Lichter der Stadt, um 23 Uhr eher mittelgut. Keine Drehzahl zu sehen, keine Temperaturanzeige. Waltershof wieder runter von der Bahn, über die Köhlbrandbrücke Richtung Tankstelle Brandshof. Da muss dringend geguckt werden, ob alles fein ist. Und was mit der verdammten Beleuchtung los ist. Ein Blinker geht nicht, das ist aber nicht wichtig.

An der Tankstelle findet Jochi den Fehler in der Armaturenbrettbeleuchtung. Es ist kein Fehler, Ernie hat nur einen Schalter eingebaut, damit man sie für Nachtetappen ausknipsen kann um nicht geblendet zu werden. Guter Ernie.

RallyeMag JochiKleint 15

Nun fällt aber auf: Es ist der falsche Kühlerdeckel montiert. Der Capri lässt Wasser. Also: Gießkanne her, nachgefüllt. Jochi macht eine Pause im Erfrischungsraum der Tankstelle. Einzelne nachtschwärmende Gestalten um ihn herum nehmen den blaugelben Capri so wenig wie den Lonesome Cowboy in der gelben Cibié-Jacke am Nachbartisch wahr. Hier hat jeder seine eigene Geschichte. In einem Gastraum einer Tankstelle am Hamburger Großmarkt. In der Nacht.

Weiter geht es: Halbschale auf zur nächsten Runde. Speicherstadt, am Wasser entlang, kurzer Test auf Schotter und Kopfsteinpflaster. Der Eisenhaufen ist robust wie die Queen Mary, die im Hintergrund angelegt hat. Eine Filmcrew, die in der Speicherstadt zwei Tänzer auf die Super-8-Kameras bannt, ist wenig amüsiert über den ungebetenen Gast. Die Tonaufnahmen können sie wegwerfen. Der Capri schallt durch die gesamte Speicherstadt, auch wenn er schon lange nicht mehr im Bild ist. Jochi hat sie gar nicht registriert. Er hat einen anderen Auftrag. Und er will ins Bett. Lange Woche gewesen.

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1 Uhr. Letzter Soundcheck im Elbtunnel, die Kacheln an der Wand halten dem durchgeladenen Sechszylinder Stand. Zurück in die von-Sauer-Straße.

Auto fit, Jochi kaputt. Aber happy.

Ob sich der ganze Aufwand gelohnt hat? Für einen Nobody? Ruhrl. Oder Rohrl. Oder wie der heißt.

Der träumt heute Nacht bestimmt schon davon, dass er morgen auf Platz 1 in der Ergebnisliste auftaucht. Haha. Was für ein Spinner. Gute Nacht.

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Tja. Wie es kam, wissen wir 2016 alle: Walter Röhrl stand tatsächlich 1972 auf Platz 1 der Ergebnisliste der Olympia-Rallye, bis zum Ausfall. Und er wurde von Pressechef Herbert Völker aus der Ergebnisliste gestrichen, weil dieser es für einen Fehler der Zeitnahme gehalten hat. Ein unbekannter Mann auf einem unmöglichen Auto, das konnte nicht sein.

Konnte es doch.

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Und weil es das vielleicht wichtigste Auto in der Karriere des Walter Röhrl war, wurde es jetzt wieder zum Leben erweckt. Unter der Schirmherrschaft von Walter Röhrl und Jochi Kleint haben es die Initiatoren Klaus Frieg und Christian Geistdörfer mit zahlreichen Unterstützern und Förderern wieder aufbauen lassen.

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Und wir hatten die große Ehre, die erste Nachttestfahrt tatsächlich mit Jochi Kleint in Hamburg begleiten zu dürfen. Wir schrieben also gar nicht das Jahr 1972. Sondern 2016. Aber es fühlte sich genauso an wie 1972.

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Und weil wir dank der  Schweizer Fotografin Mirjam Kluka und einem tapferen Jochi Kleint so sagenhafte Bilder machen konnten, wollen wir den Text kurz halten und Eure Fantasie anregen. Genießt die Fotos, versetzt Euch in die Nacht vor der Olympia-Rallye, startet mit uns in der von-Sauer-Straße (in der längst abgerissenen imaginären Werkstatt von Rallye-Kleint) und genießt jeden Meter der Testfahrt mit Jochi Kleint. Hört den brabbelnden Sechszylinder, genießt das Kopfschütteln der Passanten, fühlt das Kopfsteinpflaster, riecht den Tankstellen-Kaffee, lasst Euch die nächtliche Kälte in die Cibié-Jacke kriechen, lauscht dem Inferno im Elbtunnel, steigt ein.

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Es ist Geschichtsstunde. Zur Geisterstunde. Jochi: Lass an das Biest! Und danke noch mal.

TEXT Thomas Senn
FOTOS Mirjam Kluka, Senn

LESENSWERT.
WALTER.