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Im Käfer. Nach Finnland. Im Winter.

Eine kleine Rallye. In Finnland. Im Januar. Im Schnee. Bei der ein Dutzend Finnen in luftgekühlten Volkswagen gegen sich, 232 Gegner und die Witterung antreten will. Klar, dass man da hin muss. Anreise? Im Käfer. Auf Achse. Natürlich. Baujahr 1958. 30 PS. Wer so was macht? Ein Idiot, der keine Ahnung von Winter hat. Idiot? Keine Ahnung? Davon haben wir nur einen in der Redaktion. Herr Senn: in die lange Unterhose, fertig, los!

Mein Verhältnis zu Finnen war ja bekanntermaßen nicht das Beste. Da ich bei meinem Erstbesuch eines WRC-Laufs im Sommer auf große Mengen nachlässig entwickelter Individuen in menschenähnlicher Gestalt gestoßen bin, war meine Befürchtung groß, jetzt bei einer viel kleineren nationalen Rallye in winterlichen Hinterwäldern das endgültige Versagen der Evolutionstheorie nachweisen zu müssen.

Nicht zuletzt beim Anblick des für uns reservierten Zimmers: Außerhalb eines Dorfes, mitten in den Karpaten (mir doch egal, wo die sind) an einer einsamen Waldkreuzung gelegen. Und es war kein Hotel. Nein. Eine Karaokebar mit angeschlossenen Hinterzimmern. Und Sauna für alle. Wenn es irgendwo eine Garantie für eine samstagabendliche Saalschlacht unter Eingeborenen geben sollte, dann da!

Wo Mika und Hannu sich Gute Nacht sagen. So wie sie halt alle heißen und aussehen.

Der Mann, der uns dorthin eingeladen und diese Rallye-Serie für luftgekühlte VW ins Leben gerufen hat, heißt: Na? Kommen Sie drauf? Nein, Sie kommen nicht drauf! Denn er heißt, Achtung, kein Scherz, mein ganzer voller Ernst: MIKA HANNU. Wirklich. Mika mit Vornamen, Hannu mit Nachnamen. Und wie mit seinen Namen, übertreibt er es auch sonst im Leben maßlos. Er fährt Rallye, macht Langlauf, läuft, schwimmt, fährt Rad, alles auf Wettkampfniveau. Er hat zwei Jobs, einen eigenen Wald, eigene Landwirtschaft und eine eigene Auto-Werkstatt in der er anderer Leuts Oldtimer restauriert. Er hat natürlich Kinder (mehrere) und eine Frau, wenngleich mir schleierhaft ist, wann er diese Kinder gemacht haben soll oder ob er seine Frau überhaupt zweifelsfrei bei einer Gegenüberstellung erkennen würde. Fragt man ihn, wann er denn bitte mal zu Hause ist, antwortet er auch: „Ich muss Sie saggen, das ist serr wennig!“ Ja, der Mann spricht auch noch deutsch, natürlich, Zeit hat er ja.

Und wir wollen es mal vorwegschicken: Er ist ein perfekter Gastgeber. Ein wunderbar netter, gebildeter, höflicher, freundlicher und perfekt organisierter Mensch. 

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Aber erstmal einen Schritt zurück. Um das zu erfahren, mussten wir ja erstmal hin. Und dazu brauchten wir ein adäquates Vehikel. Klar war: Wenn da oben Irre im Käfer durch den Schnee toben, toben wir Irren auch im Käfer durch den Schnee. 1.800 Kilometer im Januar sind ja kein Ding. Gut, ein bisschen Mut braucht man schon, um bei Volkswagen Classic in Wolfsburg anzurufen und nachzufragen, welches ihrer Schätzchen aus dem Museum denn mal dringend gepökelt werden muss und reichlich Kilometer auf den Tacho braucht. Aber da haben wir VW Classic falsch eingeschätzt: Frank Clobes war am anderen Ende der Leitung ganz aus dem Bürohäuschen: „Oh ja, tolle Geschichte! Find ich gut! Machen wir! Ich schau mal, welches Auto für Sie passt!“ Aha. Ängstlich isser nicht, der Herr Clobes. Wenige Minuten später trudelte ein Datenblatt ein: Käfer, Baujahr 1958, mit 44-PS-Okrasa-Motor! Yeah! Goldstaub! Okrasa (so hießen die Kraft-Werke von VW-Haustuner Oettinger in der Anfangszeit) war seinerzeit für den deutschen Volkswagenpiloten so was wie AMG heute für Ali Baba und die 40 Straßenräuber.

Als der Wagen in Hamburg ankam dann die bittere Wahrheit: Datenblatt und Auto hatte lange keiner mehr zusammen gesehen. Nix Okrasa, 30 Serien-PS tufften im Heck des 58er Käfers. Auwei! Das könnte dauern!

Erste Tuningmaßnahme: Radkappen ab! Yeah! Das sieht schön aggressiv aus! Gefühlte 32 PS! Die allerdings durch den freundlicherweise von VW aufgespannten Dachgepäckträger gleich wieder aufgefressen wurden. Zumal ein leerer Dachgepäckträger ja auch irgendwie verhaltensauffällig wäre. Also: schönen alten Koffer geopfert und zusammen mit einem Klappspaten BW-einfach aufs Dach geschnallt. Wieder nur gefühlte 29 PS. Mist.

Fernlicht oder Scheibenwischer

Für unsere jüngeren Zuschauer seien ein paar weitere klitzekleine Schwachstellen eines Käfers aus dem Jahr aufgezählt, in dem die NASA gegründet wurde, die Schweiz das Fernsehen einführte, Sir Edmund Hillary den Südpol erreichte, Konrad Adenauer Bundeskanzler war und Otto von Habsburg, der älteste Sohn von Kaiser Karl I., seinen Verzicht auf Ansprüche gegenüber der Republik Österreich erklärte. Das ist lange her und Autos waren sehr einfach gestrickt. Sie hatten zum Beispiel eine 6-Volt-Anlage. Das bedeutet: entweder Fernlicht ODER Scheibenwischer. Niemals langfristig beides. Dazu sei allerdings erwähnt: Die Beleuchtung ist auch voll aufgeblendet nicht von einem handelsüblichen Grablicht zu unterscheiden. Dazu: Scheibenwischerblätter, groß und kräftig wie Dackelwimpern. Sie bewegen sich zwar in knapp unter 10 Sekunden von einer Seite zur anderen, nehmen dabei allerdings keinerlei Flüssigkeit mit, da sie die Scheibe nicht ernsthaft berühren. Das heißt: Maglite-Taschenlampe einpacken sowie 12 Sprühflaschen Scheibenenteiser und einen Gummi-Abzieher. Wird die Scheibe halt vom Fahrer während der Fahrt durch das offene Seitenfenster gereinigt. Ist ja nur Winter. 

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Erstaunlich gut schlug sich auf der Anreise die Heizung. Deutschland, Dänemark, Schweden – es war muckelig warm im Auto, lange Unterwäsche, Skihose, Rollkragenpullover und Fleecejacke haben in Verbindung mit Winterstiefeln, Handschuhen und Mütze völlig ausgereicht, um nicht sonderlich von der schwächlichen Luftheizung unterkühlt zu werden. Wie das in Finnland war, dazu kommen wir später …

Denn: Erstmal muss man da überhaupt hinkommen. Und da erinnern wir uns wieder an die 6-Volt-Versorgung! Navi? Ha! Ausgedruckte Routenplanung und Straßenatlas für vier Länder sind angesagt! Das ist die Art von Verreisen, wo man schon an der ersten Kreuzung nach der Haustür selbst entscheiden und wissen muss: rechts oder links? Und das Ganze dann noch für drei Tage ungefähr 2.500 Mal. Darum hilft für so eine Reise auch ein Beifahrer. Mein alter Freund Toni ist schnell zwangsverpflichtet, mit ihm fahr ich schon seit 30 Jahren zu Rallyes. Er weiß, worauf es ankommt. Zum Beispiel auf Jägermeister, Pumpernickel, Salami und Averna. Und da wird einem auch gleich wieder bewusst, warum Handschuhfächer früher a) nicht im Fußraum eines Autos angebracht waren und b) einen stabilen Blechdeckel hatten, den man runtergeklappt als vollwertigen Schreibtisch und Küchenarbeitsplatte sowie Bar-Tresen verwenden konnte. Weil man es brauchte während der Fahrt. Denn eine Fahrt nach Finnland ist lang. Mit 30 PS.

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55 Stunden von Haustür zu Haustür sind wir gefahren. Mittwoch bis Freitag. Sechs Stunden Pause in Schweden und 10 Stunden auf der Fähre von Schweden nach Finnland eingerechnet.

Und der Rest: Flat-out mit 80 über die Bahn! Yeehah! Alle 250 Kilometer Kofferraumdeckel auf, den handtellergroßen Full-Metal-Jacket-Tankdeckel aufgeschraubt und wieder Sprit in den Kofferraum gegossen. Fast wichtiger als das Tanken war bei den Stopps natürlich das Reinigen der Scheiben und der Scheinwerfer. Denn auch wenn man sich unter Hupen und Kopfschütteln der ahnungslosen TDI-Bevölkerung während der Fahrt noch so weit aus dem Fenster hängt, schafft man es doch nur, einen 10 Zentimeter breiten Streifen auf der Frontscheibe freizuspülen. Und auch der ist ja immer nur für zwei Minuten zu sehen, bevor der vor einem fahrende LKW (80, wir erinnern uns) auch diesen wieder zurotzt. Der Rest der Scheibe hat währenddessen dieselbe Transparenz wie die lackierten Blechteile des Autos. Also eher null.

Gestartet am Mittwochmittag, erreichten wir Mittwochabend Malmö, wo eine kurze Übernachtung anstand. Fähren haben wir bis auf die unvermeidliche Letzte von Stockholm nach Turku ausgelassen und die Brücken genommen. Wir sind ja schließlich Männer und keine Matrosen. Besagte letzte Fähre änderte allerdings dann alles auf unserer Reise. Waren wir noch bei gemütlichen minus zehn Grad am Fährhafen angekommen (lediglich ZWEI PKW waren in dieser Nacht am Start, sonst nur die hartgesottensten Trucker) sprach das Thermometer am nächsten Morgen in Finnland eine andere Sprache: -29 schrie es uns um 7 Uhr morgens nach einem Fischabfall- und Knorpelwurstfrühstück entgegen. Drei Minuten brauchte die Spielzeugbatterie im Käfer, bis sie das 1200er Kraftwerk anfeuern konnte. Uns schwante Fürchterliches.

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Da in Finnland erfreulicherweise auf das Salzstreuen verzichtet wird, wurde wenigstens die Sicht im Auto besser. Und auch die frisch gebackenen Vredestein Classic-Winterreifen zeigten, dass sie nicht nur gut aussehen, sondern auch ganz ordentlich funktionieren. Was man vom Tacho allerdings nicht mehr sagen konnte. Wie ein kleines Hundebaby, dem man glühende Sicherheitsnadeln in Pudelhoden und Knopfaugen stach, kreischte die Tachowelle während der gesamten restlichen Fahrt. Und zwar so laut, dass nur noch mit offenem Fenster gefahren konnte, wollte man seine Ohrinnereien nicht in fein säuberliche Streifen gesägt bekommen.

Nun ist Fenster auf ja aber so eine Sache bei -29 Grad. Zumal die vielgepriesene Käferheizung gegen solche Temperaturen nicht mehr antreten wollte. Nach 500 Metern waren alle Scheiben von außen wie von innen mit einer Eisschicht überzogen. Sollte jemand eingangs noch über 12 Sprühflaschen mit Enteiserspray geschmunzelt haben, so weiß er nun, dass er ein Tölpel ist und offensichtlich in einem Golf aufgewachsen.

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Einzig im Stand ohne Fahrtwind sah sich die Heizung imstande, einigermaßen gegen die vollkommene Vereisung aufzubegehren. Somit wurde der Käfer ab Turku nicht mehr ausgestellt. Tanken mit laufendem Motor, Kaffee trinken mit laufendem Motor, Mittagessen mit laufendem Motor. Freiluft-Pinkelpausen haben wir uns bei diesen Temperaturen eh nicht mehr getraut. Oder wissen Sie vielleicht, ab welchen Temperaturen der Begriff „eine Stange Wasser in die Ecke stellen“ bittere Wahrheit wird? Ich nicht. Und ich wollte auch, dass es so bleibt.

Witzig bei diesen Temperaturen auch das Verhalten von billigem Schundplastik: Eine Sitzmulde im Kunststoffsitzbezug? Bleibt! Für immer. Etwas aus der vormals elastischen Seitentasche in der Tür herausnehmen? Die Tasche bleibt stehen, als wäre sie noch voll. Eine preisgünstige Klamotte aus Hongkong-Chinesen-Produktion? Bricht in tausend Teile, wenn sie bewegt wird. Und das schon bei -29 Grad. Skandal! Aber da wussten wir ja noch nicht, dass wir am nächsten Tag -34 Grad haben würden und uns der Rotz in der Nase gefriert und die Barthaare abknicken.

Der Bremszylinder gibt auf

Was wir ebenfalls beim Übertritt nach Finnland noch nicht wussten: Dass wir 50 Kilometer vor unserem eigentlichen Ziel in Mäntsälä keine Bremse mehr haben würden. Weil der Radbremszylinder vorne links den Kampf gegen Eis und Salz und Kälte verloren hatte und nach und nach und nach die Bremsflüssigkeit in die Landschaft spuckte.

Ausgelaufen ist die Restflüssigkeit während unserer letzten Mittagspause. Auf einer Tankstelle. Finnen sind dazu übergegangen, Restaurants weitgehend abzuschaffen und in Tankstellen zu essen. Kochen können sie eh nicht, also, dachten sie, was brauchen wir Restaurants. Essen wir an der Tankstelle. Spart Zeit. Beim Verzehr einer traditionellen Fischmehlwurst mit Kartoffeln, die aus Hähnchen waren, betrat ein junger Zweimeter-Hüne die Tankstelle. Bekleidet in: T-Shirt und Jogginghose. Unverkennbar ein Finne.

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Noch bevor ich ihn auf seine Zurechnungsfähigkeit ansprechen konnte, plapperte er auf uns ein: ob wir die Verrückten mit dem Käfer wären? Hallo? WIR die Verrückten? ER hatte das Shirt und die Jogginghose an! Ja, das seien wir. Wir wollten zu einer Rallye. Er: „Oh, ich auch! Fahrt Ihr auch zur Arctic-Rallye nach Lappland?“ Wir: „Nee, nur hier in der Gegend, kleine Rallye in Mäntsäla.“ Er: „Ah, gut! Ich bin hier, um noch ein paar Testfahrten zu machen! Es gibt einige Kilometer von hier eine Teststrecke mitten im Wald, da kann man gut Eistests fahren.“ Wir: „Oh, cool! Sag uns doch mal, wie du heißt, dann gucken wir bei der Arctic mal in der Ergebnisliste, was du so gemacht hast.“ Er: „Max“. Wir: „Und weiter?“ Er: „Vatanen. Ihr habt vielleicht schon mal von meinem Vater gehört. Der ist auch Rallye gefahren.“ Wir: „…“ Er: „Ari heißt der!“ Wir: „Max Vatanen. Der Sohn von Ari. An einer Tankstelle. Im Nirgendwo. In Jogginghosen. Cooler Scheiß!“ Er: „Habt ihr Zeit? Dann kommt doch mit zu den Testfahrten!“ Wir: „Das Auto läuft schon!“

Wir also raus und dem Max hinterher. Am ersten Abzweig in den verschneiten Wald verlassen wir die Gruppe allerdings in voller Fahrt. Keine Bremse mehr. Runterschalten, runterschalten, runterschalten, Handbremse, uff. Max merkt von alledem nichts, wir also umgedreht, auch abgebogen und hinterher. Im 30-PS-Käfer ohne Bremse verfolgen wir in einem vereisten finnischen Wald den Sohn eines ehemaligen Rallye-Weltmeisters auf dem Weg zu Testfahrten. Das ist männlich. Und es hat Kuppen und Abzweige in diesem verfickten Wald, als ob die Gerade noch nicht erfunden wäre. Max hält zum Glück nirgendwo an (wir wären alle tot gewesen) und das Ziel ist erfreulicherweise mit einem großen Parkplatz versehen, sodass wir in großen Bögen Geschwindigkeit rausnehmen können. Ende einer Dienstfahrt.

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Wir rufen unseren Freund Mika Hannu an, schildern ihm unser Problem, er löst es sogleich. Seine Freunde vom Volkswagenclub Finnland werden das Auto mit einem Hänger abholen und zum skandinavischen Käfer-Papst bringen, der rein zufällig 30 Kilometer von hier entfernt seine Werkstatt hat. Und Mika Hannu holt uns dann später selbst ab, er weiß schon, wo wir sind, die Teststrecke ist landesweit bekannt.

Prima. Wir widmen uns also einen Nachmittag lang der Gastfreundschaft des Betreiberehepaares dieser Teststrecke. Ihnen gehört – wie jedem Finnen – ein Wald. Und in den haben sie einfach einen Rundkurs gehauen, der über viele, viele Kilometer alles bietet, was eine WP mit sich bringen kann. Schnelle Geraden, enge Korkenzieher-Kurven, Kuppen, Vollgas-Fünfer-Kurven, einfach alles. Und alles auf blitzeblankem Eis. Jeden Morgen fährt der Chef mit einem Wasserwagen über die Piste und füllt die Brocken auf, die Fahrer mit den Spikes herausgerissen haben. Toni traut sich zu, ein paar Testrunden mit dem irren Jogginghosen-Vatanen auf den Beifahrersitz durchzustehen, ich lasse mir die Finger am Auslöser der Kamera festfrieren und sorge mich um meine steifen Ohren. Der Chef der Strecke schenkt mir daraufhin erstmal eine standesgemäße Fellmütze, weil er das Leid der verweichlichten deutschen Mimimi-Mädchen nicht länger ansehen kann. Hö!

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Abends kommen wir dann mit Mika Hannus Hilfe in Mäntsälä in unserem Karaoke-Schuppen an. Auweia. Wenn wir je auf die Fresse bekommen würden, dann da.

Dachten wir. Aber schon wenige Stunden später waren wir vom halben Laden eingeladen. Zu Jägermeistern (ein Schild am Tresen besagte: Unser Hauswein ist Jägermeister), die für 5,5 Euro in 0,01-Liter-Fingerhütchen verkauft wurden.

Wir lagen uns in den Armen mit Wexi, einem Hobby-Rallye-Fahrer, der jedes Jahr zur Hessen-Rallye als Schrauber im Einsatz ist. Seine Fahrkünste sind nicht sooo berauschend. Ja, schnell, schnell sei er schon, sogar der Schnellste von allen. Aber immer nur bis zur ersten Kurve, dann ist er Letzter, wie er laut lachend zwischen zwei gar nicht mal übel gesungenen Liedern erwähnt. Oder wie formulierte es sein Vollrausch-Kumpel: „Wexi? Big foot, no brain!“, und macht fast unter sich vor Lachen. Wexi kann dann übrigens nach einigen weiteren Promillen zu uns und erklärte: „Ich hab mir jetzt gerade ein Auto geliehen für die Hessen-Rallye. Ich muss euch das zeigen, wie ich fahre!“

Wir notieren es im Kalender. Ihr besser auch. Genauso wie der Abschleppdienst ins Alsfeld sowie das Rote Kreuz und die Feuerwehr. Freiwillig.

Widerspruch zwecklos

Wir schlossen dann noch Freundschaft mit einem Nachbarn, der eine eindrucksvolle Unimog-Sammlung besitzt, aber kein Auto. Einer Sechspromillefrau, die zwei Kinder von drei Männern und Lust auf Sex jetzt sofort und hier und gleich hatte (das Schlimme daran: Unser Fahrer für den nächsten Tag griff zu und kam so nur auf zwei Stunden Schlaf), und neben dem Zweimeter hoch und breit und Bartlänge-Wirt verbrachten wir den Rest des Abends mit einem Parade-Member der Hells-Angels, der uns sehr überzeugend mit alkoholischem Allerlei durch die Nacht brachte. Widerspruch zwecklos und auch wenig angebracht. Erst als er uns fragte, ob wir Mädchen mögen und zum Telefon griff, verabschiedeten wir uns in einem unbeobachteten Moment Richtung Ausgang. Wir hatten ja zu tun am nächsten Tag (gut, hätten wir gewusst, dass unser Fahrer in einem noch schlimmeren Zustand sein würde als wir, na ja …).

Dann endlich Rallye: Mika Hannu hatte eine Begleittruppe für uns organisiert. In einem zum Bums-Mobil umgebauten VW-Bus mit LED-Galaxienhimmel unter der Decke und bescheinigten zwei Millionen Kilometern auf dem Tacho wurden wir durch den Rallye-Tag kutschiert. Es war eine nationale Rallye in Mäntsäla, ähnlich einer 200er in Deutschland. Sechs WPs, kurze Verbindungsetappen. Kleiner Unterschied: Die Prüfungen sind geheim und werden nur nach Sicht gefahren!!! Auf Schnee, mit Spikes und nur Autos des sogenannten F-Cups. Alles zweiradgetriebene Autos. M3, 190E 2,3 16 V, Toyota Corolla und Starlett, Volvo 240, alles alte Schätzchen. Und davon gleich 232 Stück! Bei einer nationalen Rallye. Und alles Erwachsene. Mit Nägeln an den Reifen und im Kopf. 

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Hierin integriert eine sogenannte Historic-Klasse, bei der die Autos noch mal älter sind und wo sich unsere luftgekühlten VWs einreihten. Zwölf Stück waren angetreten. Die meisten in Form von 1302 S-Käfern, drei Typ 3 1600er und ein Karmann Ghia. Mit PS-Zahlen von 60 bis 160. Und alle, alle, alle hatten ein ganz wichtiges Detail verbaut: eine Standheizung! Ohne die geht in Finnland mit einem luftgekühlten Auto gar nichts. Die Finnen wussten es. Wir nicht.

Erbärmliche -34 Grad zeigte das schockgefrostete Thermometer am Rallyemorgen. Start der Rallye war um 11 Uhr, die VW hatten Startnummer von deutlich über 200. Somit war deren Start erst gegen 14 Uhr. Und dunkel wird’s um drei. Der Fotograf in mir kollabierte sofort, eine Stunde Licht, genau eine WP würden wir sehen, dann wäre in den finnischen Wäldern rabenschwarze Nacht.

Meine Canon 1D tat es mir nach einer Stunde übrigens gleich: Feierabend, nichts ging mehr. Nur die 5D war nicht totzukriegen. Weder Kamera noch Akku schwächelten. Aber es gab ja nichts mehr zu fotografieren. Schöne Nachtaufnahmen waren wegen der totalen Dunkelheit nicht möglich. Und ganz nah ran, mit Blitz und Mitzieher? Wer aus dem Leben scheiden möchte, bitte gern. Ich zitiere noch mal: Eis, Schnee, geheime WPs ohne Aufschrieb, Finnen, Nägel im Kopf. Wer sich da an ein Eck im Dunkeln stellt, um mit dem Weitwinkel stimmungsvolle Fotos zu machen, der kann auch in der Karaoke-Bar dem Hells Angel sagen, dass er ihn für eine weinerliche Tunte hält und ihm ne warme Milch bestellen. Das Ergebnis ist das gleiche: Tod. Der sichere.

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In der Volkswagenklasse war übrigens auch unser Käferschrauber Jussi Jyränkö von Kuplapaja (übersetzt: Käferwerkstatt) am Start mit seinem 160-PS-Boliden. Aber erst lag er auf der Seite, dann auf dem Dach und am Ende gab die erstmals eingesetzte Zündung den Geist auf. Der Fehler war bald gefunden: Made in California. Haha. Bei -34 Grad.

In der Historic-Klasse kloppte sich dennoch ein Käfer-Kunde aus der Kuplapaja bis zuletzt mit einem absolut Irrsinnigen im Volvo 240 um den Klassensieg, den der sicher 65-Jährige Herr im Volvo scharf wie ein abgefrorenes Barthaar für sich entschied. Gleiches Bild auch im Gesamt: Ein Volvo 240 war es, der alle M3s und 190er hinter sich ließ. Deutschland eiskalt abserviert!

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Am letzten Tag haben wir dann unseren gestrandeten Käfer noch einmal bei Kuplapaja besucht. Abbiegen von der Hauptstraße in einen zwei Meter breiten Waldweg. Diesem drei Kilometer folgen und am Ende ist der Laden. Kein Schild, kein anderes Haus, keine weitere Straße. Nix. Von DEM Laden weiß außer Käfer-Fans kein Mensch etwas. Das ist so was wie „unbekannt verzogen“. Aber was man da sieht, zieht einem die Fellstiefel aus. 40, 50 Käfer, alle mit einer dicken Schneeschicht überzogen.

Im Inneren der Werkstatt stapeln sich Autos, Teile und Motoren. Insbesondere die Dragster-Szene lässt sich dort die richtig dicken Maschinen mit bis zu 300 PS bauen. Eine Motorenwerkstatt wie abgeleckt, ein Paradies. Wie viele Käfer er denn schon aufgebaut und verkauft hat, wollten wir wissen: „Bei 1.500 hab ich aufgehört zu zählen“, sagt Jyränkö ein bisschen stolz. Und entschuldigt sich, dass er unseren Käfer noch nicht reparieren konnte, er sei gestern Rallye gefahren. Ja, Jussi, wissen wir.

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Zum Abschied überschüttet Mika Hannu uns noch mit Geschenken und überreicht uns die marmorfüßenen Vereinswimpel des Volkswagen-Clubs Finnland, der uns damit als Ehrenmitglieder ausweist. Der Präsi (am Start bei der Rallye im potenten Karmann Ghia) hatte von unserer Tour gehört und wollte uns damit seinen tiefen Respekt entgegenbringen. Eine große Ehre!

Jussi hat uns noch eben schnell die 70 Kilometer zum Flughafen gebracht, war ja schließlich seine Schuld, dass der Käfer nicht läuft. 

Nein, Jussi, war es nicht. Aber so sind die Finnen. Gastfreundlich und ein bisschen krank.

Ich mag die jetzt.

TEXT Thomas Senn (im Januar 2013)

PS: Der Käfer ist mittlerweile wieder wohlbehalten bei VW Classic angekommen und wird dort vorsichtig wieder aufgetaut. 

PS II: facebook.com/wainolaan.fi – dort auf die Bilder klicken und Bescheid wissen 😉

LESENSWERT.
WALTER.