Als das Automobil erfunden wird, ist der kleine Ferdinand aus dem böhmischen Liberec gerade elf Jahre alt. Mit Blech hat der Knirps schon früh zu tun. Vater Anton führt eine Spenglerei. Noch faszinierender als Rohre findet der junge Mann Kabel. Mit 13 installiert er elektrische Türklingeln, als 16-Jähriger sorgt er im Elternhaus für die erste elektrische Beleuchtung. Schon da ist klar: Dieser Junge ist ein Genie. Porsche hat nie offiziell studiert. Während der Lehre beim Vater besucht er Abendkurse in der Gewerbeschule, er besucht Vorlesungen an der Technischen Hochschule in Wien, ohne je eingeschrieben zu sein.
Gerade 18 ist er, als ihm der österreichische Elektropionier Bernhard Egger einen Job anbietet. In vier Jahren wächst er vom Mechaniker zum Leiter der Prüfabteilung. Schon mit Eintritt in die Volljährigkeit hat dieser Ferdinand Porsche – ohne es zu wissen – Geschichte geschrieben. 1893 hat er einen neuartigen elektrischen Radnabenmotor zum Patent angemeldet. Unter anderem diese Erfindung öffnet ihm die Tür zu den Lohner-Werken, einem ehemaligen Betrieb für Luxus-Kutschen, der nun voll auf das noch neuartige Automobil setzt.
Mit 23 fängt er bei Lohner an, noch im selben Jahr 1899 baut er sein erstes eigenes Fahrzeug. Es ist ein Elektroauto. Ludwig Lohner wollte damit dem damals größten Kritikpunkt an der neuen Mobilität entgegenwirken, weil die „in großer Anzahl auftretenden Benzinmotoren erbarmungslos verdorben“ werde. Ein Jahr später ist Porsche der Konstrukteur des ersten Allradautos. Der mit seinen Radnabenmotoren ausgerüstete Lohner-Porsche mit 50 km/h Höchstgeschwindigkeit und 50 Kilometern Reichweite sorgt auf der Weltausstellung in Paris für Aufsehen. Um die Reichweite zu erhöhen, entwickelt Porsche 1902 eines der ersten Hybridautos der Welt. Ein Jahr später heiratet er. Seine Frau Aloisia Johanna gebärt ihm 1904 die Tochter Louise, fünf Jahre später folgt Sohn Ferry. Von beiden werden wir noch hören.
Die fruchtbare Liaison mit Lohner geht 1906 zu Ende. Neben seinem kreativen Genie zeigt sich eine andere Eigenschaft des Ferdinand Porsche, die uns noch öfter begegnen wird: mangelndes Kostenbewusstsein. Seine Entwicklungen sind Lohner schlicht zu teuer. Porsche wird Nachfolger einer anderen Legende: Er beerbt Paul Daimler als Konstrukteur bei Austro Daimler, entwirft Flugmotoren und Luftschiffe und natürlich auch Autos, vorzugsweise windschnittige, leistungsstarke Limousinen. Porsche ist ein Speed-Freak, der sich kurz auch als Fahrer versucht. 1910 gewinnt er die neuntägige Prinz-Heinrich-Fahrt, eher ein Gleichmäßigkeits- und Ausdauerwettbewerb als ein Rennen. Seine Frau Aloisia sitzt mit Turbanhut auf der Rückbank.
Am Zeichentisch hat er aber erheblich mehr Talent als hinterm Steuer. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt er einen zweisitzigen Rennsportwagen, den Graf Alexander Kolowat-Krakowsky, Spitzname „Sascha“ in Auftrag gegeben hat. Sascha heißt auch das nur knapp 600 Kilo messende Leichtgewicht mit 1,1-Liter-Königswellen-Motor, zwei oben liegenden Nockenwellen und 45 PS, und es gibt vor genau 100 Jahren einen guten Eindruck, womit es die Rennsportwelt zu tun hat, wenn sie gegen Porsche antritt. Sascha ist gut für 144 km/h Topspeed, siegt in der 1,1-Liter Klasse beim Straßenrennen Targa Florio. Er tritt in dieser Saison 1922 bei 52 Rennen an – und gewinnt 51 Mal.
Die schlechte Nachricht der Saison 1923 lautet: Das Rennsportbudget bei Austro Daimler wird erheblich gekürzt, die gute lautet: im Hause Porsche stimmt die Kasse, und hier kommt erstmals Stuttgart ins Spiel. Als Leiter des Konstruktionsbüros und Vorstandmitglied der Daimler-Motoren-Gesellschaft, wo er unter anderem den berühmten Kompressor-Renner Mercedes SSK entwickelt. Er lässt sich am Feuerbacher Weg eine Villa bauen, die später um einige Garagen erweitert wird. Hier werden die drei ersten Prototypen des KdF-Wagens (Kraft durch Freude) entstehen. Es ist die Saat für das dunkle Kapitel im Leben des Ferdinand Porsche.
Volkswagen & Volkstraktor
Knappe Kassen zwingen Daimler und Benz zur Fusion, die neuen Lastwagen sind zu teuer, 1928 wird Porsches Vertrag nicht verlängert. 1931 macht er sich in Stuttgart selbstständig und liefert 1933 mit dem „Heckmotor-Auto Union“, der eigentlich ein Mittelmotorrennwagen mit 16 Zylindern ist, ein weiteres Monument ab. Es ist das Jahr der Machtergreifung von Adolf Hitler, und mit dem Führer fremdelt der Konstrukteur ersichtlich kaum. Auf Basis der Arbeiten der ebenfalls genialen Kollegen Bela Bareny und Hans Ledwinka baut er für die Deutsche Arbeitsfront an einem „Volkswagen“ und einem „Volkstraktor“. 1938 ist er Geschäftsführer und Aufsichtsrat einer Firma namens Volkswagenwerk GmbH mit Sitz in Berlin. Der ursprünglich gedachte Volkswagen wird nie gebaut, stattdessen auf ihm basierend der Kübelwagen und der Schwimmwagen.
Dank der Nazis stimmt die Kasse. Seinen Teilhaber hat Porsche ausbezahlt, Tochter Louise und Sohn Ferry halten nun dessen Anteile, Louise hat den ebenfalls tschechisch-stämmigen Rechtsanwalt Anton Piëch geheiratet, der alsbald als Porsches rechte Hand bei Volkswagen das Geschäftliche regelt. Schon 1934 nimmt Porsche auf Drängen Hitlers die deutsche Staatsangehörigkeit an, wird wie Piëch Mitglied der NSDAP, übernimmt im besetzten Frankreich die Leitung von Peugeot. Statt Volkswagen werden im VW-Werk die ersten Marschflugkörper der Welt gebaut: die Vergeltungswaffe I, die zur Bombardierung englischer Zivilbevölkerung dient. Anders als Piëch, der früh der SS beitritt, ist Porsche „nur Mitglied ehrenhalber“, er trägt nie eine braune Uniform. Der Träger des Totenkopfrings steht im Rang eines Reichsführers SS, wird 1939 zum Wehrwirtschaftsführer ernannt und leitet ab 1941 die Panzer-Kommission, wo er an der Konstruktion des berühmt-berüchtigten Kampfpanzers Tiger beteiligt ist. Der noch schwerere Jagdpanzer Ferdinand trägt sogar seinen Namen, floppt aber wegen des hohen Gewichts und seiner Störanfälligkeit ebenso wie der noch mächtigere Panzer „Maus“, der es nie übers Versuchsstadium hinausschafft.
Porsche ist eine Art Wernher von Braun auf vier Rädern und nutzt alle Chancen, die ihm das Nazi-Regime bietet. Ohne Zögern fordert er bei SS-Führer Heinrich Himmler Zwangsarbeiter für seine Produktion an. Nach dem Krieg in Österreich verhaftet, sitzt Porsche ebenso wie Schwiegersohn Piëch für 22 Monate im Gefängnis, wird aber danach zügig entnazifiziert. Dank diverser wohlwollender Zeugenaussagen wird er in einem Kriegsverbrecher-Prozess freigesprochen. Als Ferdinand Porsche Ende Januar 1951 mit 76 Jahren in Stuttgart stirbt, wird nur wenige Stunden später die Haupteinkaufsstraße in Wolfsburg in „Porsche-Straße“ umbenannt.
Der Vater ist nunmehr ein Denkmal, doch längst ist sein einziger Sohn in die gewaltigen Fußstapfen getreten und zeigt bald, dass er sie ausfüllen kann. Auch Ferry ist als Mitarbeiter im Unternehmen des Seniors und SS-Mitglied 1945 im Gefängnis, kommt aber schon nach drei Monaten frei, und macht sich im durch die Bomben des Krieges nach Gmünd in Kärnten verlegten Konstruktionsbüros umgehend ans Werk. „Das letzte Auto, das gebaut werden wird, wird ein Sportwagen sein“, ist sein berühmtester Spruch, in jedem Fall ist sein erstes Auto einer. Mit VW-Technik entwickelt er einen kleinen und leichten Sportwagen mit Heckmotor. Der Porsche 356 wird ein großer Erfolg.
Die Legende sagt, dass Ferry Porsche bei einem Besuch in New York auf einer Serviette ein Logo entwirft, das die Wappen der Stadt Stuttgart und Württemberg-Hohenzollern kombiniert, gekrönt vom Schriftzug Porsche. Aber das ist nicht die größte Ikone. Unter seiner Ägide entsteht 1963 ein Sportwagen mit Sechszylinder-Boxermotor, das nur einen Fehler hat: Die Bezeichnung 901 darf Porsche nicht verwenden, weil die Null in der Mitte von Peugeot geschützt wird. Ferry Porsche geht eine Ziffer weiter.
Das Auto heißt 911, entworfen von seinem Sohn Ferdinand Alexander, genannt „Butzi“, der nicht nur eine der markantesten Silhouetten der Automobil-Geschichte erschafft, sondern auch das renommierte Porsche-Design-Büro aus der Taufe hebt, nicht zuletzt, weil die Familie Porsche sich nach diversen Spannungen um die Allgegenwärtigkeit des Gründerclans im Unternehmen 1972 aus dem operativen Geschäft zurückzieht. Vater Ferry leitet nur noch den Aufsichtsrat des Stuttgarter Unternehmens, das er von einer Garage zu einem Automobilhersteller geformt hat.
Großmama Louise Piëch muss überraschend 1952, nur ein Jahr nach ihrem Vater Ferdinand, ihren Gatten Anton zu Grabe tragen. Der ist nach dem Krieg nicht untätig geblieben. Der Volkswagen wird mit dem beginnenden Wirtschaftswunder nun doch gebaut. Heinrich Nordhoff, neuer VW-Chef und nebenbei Schwiegervater von Anton Piëchs ältestem Sohn Ernst, wird zum „König von Wolfsburg“. Ein 21 Millionen Mal verkaufte Kleinwagen mit dem Spitznamen Käfer wird zu dem Symbol des deutschen Wirtschaftswunders, an dem auch Porsches und Piëchs erheblich partizipieren, denn VW zahlt für jedes verkaufte Auto Lizenzgebühren für Porsches Patente.
Damit finanziert Anton Piëch 1948 die Porsche-Konstruktionen-Ges.m.b.H., die neue Stuttgarter Autofabrik Dr. Ing. h. c. F. Porsche KG und die Salzburger Handelsgesellschaft Porsche Holding, die den gesamten VW-Vertrieb in Österreich kontrolliert. Bis zum vereinbarten Zwangs-Aus der Porsche-Familienmitglieder Ende 1971 leitet Louise Piëch die Holding, in der auch ihre Tochter (Louise-Daxer Piëch) arbeitet, und die sich zum größten Privatunternehmen Österreichs ausgewachsen hat.
Der bekannteste Spross aus dem Piëch-Zweig ist das drittgeborene Kind Ferdinand Karl. Vom Großvater Porsche hat er technisches Geschick und vor allem die Liebe zur Geschwindigkeit mitbekommen. In seiner Diplomarbeit an der Technischen Hochschule Zürich befasst er sich mit einem Formel-1-Motor. Unter Onkel Ferry arbeitet er ab 1963 in der Porsche-Entwicklungsabteilung, die er 1965 anführt und einer Ikone den Weg ebnet. Unter seiner Ägide entsteht der 917, mit dem die Stuttgarter sich nach fast zwei Jahrzehnten vom emsigen Hamsterer von Klassensiegen nun gegen Ford und Ferrari als echte Big Player im Rennsport etablieren. 1970 gewinnen Richard Attwood und Hans Hermann im 917 die 24 Stunden von Le Mans. Weitere 18 Erfolge beim ältesten und wichtigsten Sportwagenrennen der Welt werden folgen. Den ersten wichtigen Gesamtsieg fährt übrigens keiner der berühmten himmelblauen Gulf-Renner aus dem Team des Engländers John Wyer ein, sondern das rote Auto mit den weißen Streifen, den Farben Österreichs. Das Team hat die Porsche Holding in Salzburg eingesetzt.
Der für die amerikanische Canam-Serie später aufgeladene 917 kann mit seinen bis zu 1200 PS vor Kraft kaum laufen, Piëch experimentiert mit Allradantrieb, kauft zwei englische Jensen Intercepter, damals die einzigen Allradsportwagen der Welt, die sich allerdings als wenig agil erweisen. Als er 1972 ebenfalls aus dem Unternehmen Porsche aussteigen muss, gründet er ein Konstruktionsbüro, wo er für Daimler-Benz den Dieselmotor OM 617 entwickelt, ein Fünfzylinder. Ab 1975 Technikchef bei der VW-Tochter Audi/NSU baut er auch einen Fünfzylinder-Ottomotor, dem er für ein neuartiges Coupé eine Aufladung verpasst – und einen schnell laufenden, permanenten Allradantrieb.
Der Quattro hebt das angestaubte und wenig prestigeträchtige Unternehmen Audi über Nacht auf ein neues Level. Piëch hat seine zweite Legende erschaffen. Der Quattro ist in aller Munde, Audi gewinnt zwei Rallye-Weltmeisterschaften und schwingt sich auf in den Rang der Premium-Hersteller, ein Wort, das es zuvor gar nicht gab. Nachdem er 1989 auch einen Turbo-aufgeladenen Dieselmotor mit dem Kürzel TDI auf den Weg gebracht hat, gilt er als Mann, der übers Wasser gehen kann und wechselt 1993 zur alten Porsche-Wirkungsstätte Volkswagen, wo sich die Verluste häufen.
Wie bei Großvater Ferdinand und Papa Anton ist auch bei Piëch nicht alles eitel Sonnenschein. Er gilt als menschlich schwierig. Von seinen insgesamt 13 Kindern, darunter drei mit Marlene Porsche, die er Vetter Gerhard Porsche ausgespannt hat, soll er nur zu seinem jüngsten Sohn Gregor ein engeres Verhältnis gehabt haben, auch mit den Cousins aus der Porsche-Familie läuft es nicht immer rund. Piëch kann die Raumtemperatur durch simples Betreten um diverse Grade absenken, bei VW zittern viele vor dem Patron. Im Konzern fährt er einen rigiden Sparkurs und sorgt für einen Skandal, als er den Sparfuchs José Ignacio Lopez anheuert, der praktischerweise von seinem Ex-Arbeitgeber General Motors kistenweise Betriebsgeheimnisse hat mitgehen lassen. Lopez und Piëch werden gemäß dem amerikanischen RICO-Act wegen Geheimnisverrat und Industriespionage angeklagt. Das jahrelange Tauziehen endet erst nach Gesprächen ganz oben zwischen Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Helmut Kohl. VW zahlt 100 Millionen Dollar an GM. Lopez wird erst 1996 bei VW gefeuert.
Die Piëch-Ära bei Volkswagen
Als er VW in die Spur gebracht hat, baut Piëch die einverleibten Töchter Seat und Skoda zu profitablen Unternehmen aus. Aber eigentlich strebt er ins Hightech- und Hochpreis-Segment, kauft große Namen wie Bentley und Lamborghini, übernimmt das italienische Design-Studio Giugiaro, das einst den ersten Golf entwarf. Er reanimiert die legendäre französische Sportwagenmarke Bugatti und steigt mit Ducati gar ins Zweiradgeschäft ein. Der 2002 eingeführte Phaeton ist die erste Luxus-Limousine mit VW-Logo. Die aber wollen die Schönen und Reichen nicht haben, so viel Strahlkraft wie Piëch sich wünscht, hat das VW-Logo dann doch nicht, trotz Zwölfzylinder-W-Motor mit drei Zylinderbänken.
Dennoch ist die Piëch-Ära eine erfolgreiche. Der Spross der Porsche-Tochter versteht etwas vom Geschäft und von Technik, vor allem die langjährigen Qualitäts-Probleme, die aufs Image drückten, merzt er mit einer solchen Akribie aus, dass man ihn wegen seiner Obsession für gut angepasste Blechteile und damit geringe Spaltmaße spöttisch „Fugen-Ferdl“ nennt.
In seiner Zeit bei Audi hat er als Marken-Chef den jungen Ingenieur Martin Winterkorn eingestellt, der ziemlich ähnlich tickt. Als Leiter der Qualitätssicherung in Ingolstadt ist der gebürtige Schwabe ein ebensolcher Detail-Fetischist wie sein Mentor. Berüchtigt ist Winterkorns „Schadenstisch“, an dem er Ingenieure vor defekten oder fehlerhaften Teilen runterputzt. Während Winterkorn im Unternehmen aufsteigt, sägt Piëch innerhalb eines Jahrzehnts drei Audi-Vorstandsvorsitzende ab, weil er mit deren Ergebnissen unzufrieden ist. Nicht viel besser ergeht es dem Mann, der nach ihm auf den VW-Thron steigt. Piëch selbst kürt 2002 den früheren BMW-Chef Bernd Pischetsrieder zu seinem Nachfolger. Der Vorstand verlängert dem Münchner 2006 den Vertrag, und trotzdem muss er gehen. Piëch, nunmehr Chef des VW-Aufsichtsrates, hat den Daumen gesenkt.
Pischetsrieders Nachfolger richtet Piëch 2015 öffentlich hin: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, sagt die graue Eminenz des Konzerns im Herbst 2015. Es ist das Jahr des VW-Abgasskandals. Piëch, dessen eigene Beteiligung oder Kenntnis an der Manipulation von Steuergeräten zum Schönen von Emissionen auf Prüfständen unklar ist, und der sich weigert, vor einem Untersuchungs-Ausschuss dazu auszusagen, hängt Winterkorn hin, der seine Unschuld beteuert, was ihm die Staatsanwaltschaft Braunschweig nicht so richtig glauben mag. VW brechen Verkaufszahlen und Image weg. Der Konzern verliert seine Glaubwürdigkeit und 33 Milliarden Euro. Winterkorn führte den Hersteller aus der niedersächsischen Provinz zeitweilig zum größten Auto-Konzern des Planeten, mit 17 Millionen Euro Jahres-Salär war er bis zur Kündigung der bestbezahlte Manager Deutschlands. Nun hat ihn sein Arbeitgeber auf Schadenersatz verklagt. Er zahlt VW knapp 11 Millionen Euro und steht wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges vor Gericht.
Aber nicht nur Winterkorn fällt. Auch Piëch, der bisher noch jeden Machtkampf in Familie und Konzern gewonnen hat, muss gehen. Der Aufsichtsrat entzieht ihm das Vertrauen. Piëch legt das Amt des Aufsichtsratschefs nieder und bricht hinter sich die Brücken ab. 2017 verkauft er all seine Stammaktien an der Porsche-Holding an die Familien Porsche und Piëch. Schon 2010 hat er Anteile in zwei Stiftungen überführt, um langfristig sein Erbe abzusichern. Seit seinem Tod kabbelt sich der Clan ums Geld. Den Daumen auf den Stiftungen hat allerdings Ursula Piëch, geborene Plasser, die letzte von vier Frauen des Patriarchen. Ursprünglich angestellt als Kindermädchen für die Sprösslinge mit Marlene Porsche, mauserte sich Ursula Plasser zur königlichen Konkubine, mit der Piëch weitere drei Kinder zeugte. Piëch heiratete sie nicht nur, er installierte sie sogar zeitweilig im VW-Aufsichtsrat.
Vielleicht fand er das so anziehend an ihr, dass sie so gar nicht er war. Wenn Piëch mit seinem Gefolge Sommers beim GTi-Treffen am Wörthersee Einzug hielt, mochte man glauben, Felix Austria sei wieder ein Kaiserreich. Während er mit gewohnt dünnem Lippenstrich und der vagen Andeutung eines Hauchs von Lächeln – denselben Gesichtsausdruck tragen Füchse beim Einbruch in den Hühnerstall – schweigend dasaß, wippte Ursula fröhlich zu den frivolen Bässen von DJ Mousse T und Sängerin Emma Lanford.
Wenn Piëch in Wolfsburg die Macho-Muskeln spielen lässt, ist sein moderater Gegenpol Wolfgang Porsche, der jüngste Sohn von Ferry. Der ehemalige Waldorfschüler ist seit 2007 Porsche-Aufsichtsratschef, dazu Aufsichtsrat in der mächtigen Porsche Holding SE, die 100 Prozent der Porsche-Anteile und 53,1 Prozent der VW-Stimmrechte besitzt, er ist auch der Besitzer des Schüttgutes in Zell am See, wo er Bio-Rinder züchtet und wo dank einer Sondergenehmigung in einer eigenen Kapelle nahezu alle verstorbenen Porsche- und Piëch-Familienmitglieder begraben sind – außer Ferdinand Piëch. Und schließlich ist Wolfgang Porsche ist Sprecher und damit oberster Vertreter der Porsche-Familie.
Wiedeking bringt Porsche zurück
Aber was wurde aus der Marke Porsche? Der Elfer ist nicht nur ein Hit, sondern ein Evergreen, aber das lässt sich für andere Modelle nicht sagen. Die in Kooperation mit VW und Audi entstandenen „Volks-Porsche“ 914 und 924 bringen keinen großen Erfolg, ebenso wenig das Achtzylinder-Modell 928 mit Froschaugen und Frontmotor. Die Geschichte der Weltmarke Porsche wäre nicht erzählt ohne Wendelin Wiedeking, nicht verwandt und nicht verschwägert mit den Gründer-Familien, passte aber perfekt ins Schema. Mit Summa cum laude hat der Westfale sein Ingenieursdiplom an der renommierten TH Aachen abgeschlossen und gleich noch einen Doktor dran gehängt. Im Sommer 1993 übernimmt der Vorstand für Materialwirtschaft und Produktion den Vorstands-Vorsitz, mit dem Auftrag, das Unternehmen aus der Verlustzone zu bringen.
Der neue Macher bricht mit Tabus. Unter seiner Ägide entsteht nicht nur mit dem Boxter ein Mittelmotorsportwagen unterhalb des 911, sondern mit dem Cayenne ein zusammen mit VW entwickelter SUV. Pläne für eine Porsche-Limousine kommen vorher nie über vereinzelte Prototypen hinaus, Wiedeking lässt mit dem Panamera eine bauen. Puristen rümpfen darüber ebenso die Nase wie über die Streichung aller Motorsportaktivitäten, weil sie Wiedeking zu kostspielig sind.
Porsche fährt auf den Rennstrecken nur noch im Carrera-Cup gegen sich selbst, lebt vom Ruhm vergangener Tage, das aber ziemlich gut. Boxter und Cayman verkaufen sich blendend. Als Wiedeking loslegt, hat die Porsche AG einen Börsenwert von 300 Millionen Euro. 2007 sind es 25 Milliarden. Der Shootingstar aus Ahlen wird zeitweilig als neuer VW-Chef gehandelt, zeigt aber vordergründig wenig Interesse.
Porsche will Volkswagen übernehmen
Kein Wunder, denn der passionierte Zigarrenraucher hat einen viel größeren Plan: Er will nicht zu VW wechseln, er will den ganzen Laden übernehmen. Schon 2005 hat er mit seinem Finanzchef Holger Härter angefangen, VW-Stammaktien aufzukaufen. Härter jongliert so geschickt an der Börse, dass böse Zungen behaupten, Porsche wäre eine Investmentbank, die nebenbei noch Autos verkaufe. 2008 versucht Porsche über die kanadische Maple-Bank die Mehrheit an der Volkswagen-AG zu erlangen.
Was für ein Coup: Ein Unternehmen mit sieben Milliarden Euro Erlös, versucht eines mit 95 Milliarden Euro Umsatz zu schlucken. 2008 hat das dynamische Duo an der Porsche-Spitze 42,6 Prozent der Stammaktien unter Kontrolle, und Wiedeking gibt bekannt, dass er Optionen auf weitere 31,6 Prozent in der Hand hat. An den wildesten Tagen ist die Aktie der Porsche Holding 1000 Euro wert. Doch im mächtigen VW-Betriebsrat formiert sich Widerstand. Man will verhindern, dass Wiedeking in Wolfsburg durchregieren kann.
Plötzlich eine VW-Tochter
Anfang 2009 hat die Porsche Holding mit 50,76 Prozent tatsächlich die Mehrheit in der Hand, aber das Timing ist unglücklich. In der sich seit 2007 ausweitenden Finanzkrise brechen Porsches Verkäufe ein, und es wird schwierig, den gewaltigen Kredit zu bedienen. Porsche hat plötzlich fast zwölf Milliarden Euro Schulden. Verschwörungstheoretiker sehen in dem Klimmzug den Versuch Ferdinand Piëchs, als Strippenzieher im Hintergrund langfristig die Allmacht in beiden Unternehmen zu erlangen, aber die Familien Porsche und Piëch ziehen die Reißleine.
Als Wiedeking im Sommer 2009 nach 17 Jahren an der Porsche-Spitze gehen muss, hat er Tränen in den Augen und wie Härter einen Prozess wegen Kreditbetrugs am Hals. Der wahre Verlierer ist das Unternehmen Porsche, das nicht VW schluckt, sondern von VW geschluckt wird. Die aus der kleinen Garagenklitsche gewachsene Porsche AG verliert nach 80 Jahren ihre Eigenständigkeit, seit 2012 ist sie eine 100prozentige Volkswagentochter.
Langfristig hat der gescheiterte Coup für beide Seiten keine Nachteile. Porsche beschert VW weiter satte Gewinne, gleichzeitig haben die Stuttgarter mächtige Rückendeckung finanzieller und technischer Art. Obwohl an den Finanzmärkten nach Beginn des Ukraine-Krieges eher wenig Aufbruchstimmung herrscht, schickt man die Porsche-Holding im September 2022 an die Börse. Es läuft nicht alles rund, aber VW nimmt am Ende rund neun Milliarden Euro ein, es ist der größte Börsengang seit dem Hype um die Telekom 1996. Wer mehr als 25 Prozent des Unternehmens besitzt, hat Sperrminorität und damit bei wichtigen Entscheidungen ein Mitspracherecht. Ein Viertel plus eine einzelne Aktie gehen an die Dachgesellschaft Porsche SE. Kontrolliert wird sie von den Familien Porsche und Piëch.
TEXT Markus Stier
FOTOS Porsche & Archiv
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