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Die stillen Stars der Mille Miglia.

Die Mille Miglia ist eine Legende. Das einstige Autorennen ist seit langem eine Klassikveranstaltung und trotzdem so begehrt wie kein anderer Event. Eine Armee von mehreren hundert Klassikern fährt im strammen Galopp jedes Jahr von Brescia nach Rom und zurück – mehr als 1.600 Kilometer.

Die Mille Miglia galt seinerzeit als eines der schwersten Autorennen der Welt. Neben der Targa Florio und der Carrera Panamericana war sie bis 1957 ein ebenso spektakuläres wie gefährliches Straßenrennen, bei dem die besten Rennfahrer der Welt in den schnellsten Fahrzeugen um Sieg und Platz kämpften. Seit 1977 wird die Mille Miglia als Klassikveranstaltung fortgeführt. Mittlerweile geht es in vier Tagen von Brescia über Cervia, Rom und Parma wieder zurück nach Brescia.

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Sehenswerte Landschaften, historische Orte, endlose Landstraßen, gesäumt von Feldern, Pinien und Straßencafés – das ist die Mille Miglia. Gefahren wird unter den Augen der Ordnungsbehörden mitunter schneller als erlaubt; jedoch bei weitem nicht mehr so scharf wie noch vor Jahren, als eine Armee von 375 Rennwagen – oftmals millionenschwer – im heißen Ritt durch den öffentlichen italienischen Straßenverkehr donnerte. Auch deshalb wurde die Mille Miglia zur Legende und ist selbst bei Nicht-Autofans in Tokio ebenso bekannt wie in Austin / Texas, Brasilia oder Delhi.

Es gibt mittlerweile weltweit eine Reihe von schmucken Duplikaten, doch die echte Mille Miglia findet auf sehenswerten Teilen der ursprünglichen Rennroute durch halb Italien statt – noch immer im öffentlichen Straßenverkehr, doch längst alles andere als gesetzlos. Doch im Kreisverkehr geht es gerne einmal linksrum, Ampel sind ebenso wie Tempolimits nicht mehr als grobe Hinweise und die lokale Polizei auf dem Motorrad macht nach wie vor gerne eine dritte Fahrspur im Gegenverkehr auf und gibt den Teilnehmern der Mille Miglia so die Möglichkeit, in die einzigartige Historie einzutauchen. Während sich in Deutschland wohl Umweltverbände auf die Fahrbahnen kleben und den allzu nutzlosen Historienmotorsport wild anprangern würden, sieht das in Italien ganz anders aus. Das Publikum feiert die Durchfahrten der mittlerweile mehr als 440 historischen Fahrzeuge durch kleine Ortschaften oder große Städte frenetisch – oftmals ist es das lokale Ereignis des ganzen Jahres.

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Das gilt auch für viele Teilnehmer der Oldtimerrallye, die über die Jahrzehnte zu einem Event geworden ist, der es locker mit der Tour de France oder anderen sportlichen Großereignissen aufnehmen kann. Für Mensch und Maschine ist die Mille Miglia nach wie vor ein hartes Rennen, denn zugelassen sind nur solche Fahrzeuge, die auch auf der einstigen Mille Miglia im Feld kämpften und somit aus den Baujahren 1927 bis 1957 stammen. Es wird schnell gefahren und bei der diesjährigen Auflage waren die Temperaturen nahezu durchweg weit über 30 Grad Celsius. Bei Tagesetappen von zum Teil zwölf Stunden oder mehr kommen Mensch und Maschine schon einmal ins Schwitzen, denn zumindest der fahrbare Untersatz ist 70 bis 90 Jahre alt.

Die stillen Stars der Mille Miglia sind daher nicht die klassikaffinen Piloten, die historische Rennwagen wie Alfa Romeo 6C 1750, Aston Martin DB2, Porsche 356, Mercedes 300 SL, BMW 328, einen spektakulären Bugatti T37 oder O.N. 665 pilotieren. Es sind die Mechaniker, die eine Mille Miglia erst möglich machen. Dabei geht es nicht allein darum, die Fahrzeuge in wochenlanger Arbeit akribisch auf den Renneinsatz vorzubereiten, sondern eben auch dafür zu sorgen, dass die Klassiker nach harten Etappenritten wohl behalten am Samstagnachmittag den Zieleinlauf in Brescia erleben können. Einst schaffte Rekordsieger Stirling Moss in seinem legendären Mercedes 300 SLR die mehr als 1.600 Kilometer in kaum mehr als zehn Stunden – heute sind die Hobbypiloten an vier Tagen unterwegs und sind beim Zieleinlauf in Brescia trotzdem ebenso ausgelaugt wie glücklich.

Mercedes ist zum dem Großereignis gleich mit mehreren Werkstattteams angereist, weil eine ganze Reihe von Fahrzeugen im Mille-Miglia-Feld den Stern auf der Haube tragen und bei so einem Oldtimerrennen gibt es für alle mehr als genug zu tun. Dabei beginnt die Mille Miglia alljährlich nicht an einem Mittwochmittag in Mai oder Juni, sondern einige Wochen oder gar Monate vorher, denn bereits lange vor dem Start gibt es einiges zu tun. „Die Temperaturen werden dieses Mal besonders hoch“, erläutert Mechaniker Andreas Häberle, „wir haben daher kleine Gummischläuche auf den Schließmechanismus der Motorhaube vom Flügeltürer geklemmt. So kann die Motorwärme besser abziehen, denn die Zündung kann bei 110 Grad Celsius schon einmal Probleme machen – gerade wenn die Fahrzeuge in den Ortschaften stehen.“

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Der grauhaarige Monteur ist ein alter Mille-Fuchs und hat schon 16 Veranstaltungen quer durch das Land von Pasta und Pizza mitgemacht. „Natürlich ist man bei einer Veranstaltung wie der Mille Miglia angespannt. Es kann viel passieren und man weiß nie, was auf einen zukommen kann“, erzählt Andreas Häberle, „viel Schlaf gibt es sowieso nicht. Nach der Mille bin ich eine Woche platt.“ Häberle kennt die Mille Miglia wie nur wenige, doch während die breite Masse historische Renner wie Bugatti T40, Jaguar XK 120, Bentley 3,5 Litre oder eben die Mercedes 300 SL bewegt, ist der Mechaniker in einer wohl klimatisierten Mercedes V-Klasse unterwegs und muss diese allemal flott bewegen, um gerade bei den schnellen Überlandstrecken nicht den Anschluss zu verlieren.

Mille Miglia – man kennt sich, man schätzt und unterstützt sich. Neid hat auf der Mille Miglia nichts zu suchen und so hilft beinahe jeder jedem mit Ersatzteilen, Werkzeug oder eben tatkräftigen Händen. Die heißen Temperaturen setzten den rennerprobten Mercedes 300 SL Flügeltürern deutlich weniger zu als erwartet und so gab es für die Werkstattteams von Tag- und Nachtschicht kaum mehr als Standardarbeiten – bis ein Getriebewechsel in Rom der Nachtschicht den Schlaf raubte. Um kurz vor fünf Uhr morgens rollt der 300er wieder. Selbst vor der Schlussetappe von Parma nach Brescia gab es zuversichtliche Gesichter.

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Doch man hatte die Rechnung ohne Mercedes-Klassikchef Marcus Breitschwert gemacht, denn sein Mercedes 300 SL erlitt in Pavia einen Schaden am Schalthebel. „100 Kilometer vor dem Ziel“, grummelt Andreas Häberle, „das hätte der Wagen auch noch hinbekommen können.“ Mitten in der Stadt am Straßenrand wird bei heißen Temperaturen der 300er aufgebockt, Getriebetunnel ausgebaut und die Viergangschaltung repariert. Nach 40 Minuten ist alles vorbei – das ist Rennsportniveau bei einem Langstreckenrennen.  „Man hat auf jeden Fall Ehrgeiz es zu schaffen“, erzählt Michael Plag, der das Mercedes-Werkstattteam seit Jahren leitet und ebenfalls schon viele Milles erlebt hat, „man ist stolz, es geschafft zu haben. Das ist unser Ehrgeiz – auch wenn wir alle keine jungen Kerle mehr sind. Da schaut dann auch keiner mehr auf Arbeitszeiten. Da geht es um die Ehre.“ Das ist eben die Mille Miglia.

TEXT Stefan Grundhoff für WALTER

LESENSWERT.
WALTER.