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Film ab! Autokinos zu Zeiten der Corona-Krise

In Deutschland herrscht nach wie vor Ausgangssperre. Einer der wenigen Orte, der sich vor Nachfrage kaum retten kann, sind die Autokinos. Hier sind die Plätze Abend für Abend ausgebucht. Ein Besuch im Autokino Essen.

Seit drei Wochen sitzt Deutschland zu Hause. Trotz besten Frühlingswetters herrscht eine eingeschränkte Ausgangssperre – Restaurants, Biergärten, Fußballplätze und Kinosäle – alles, was Spaß macht, ist geschlossen. Ganz anders sieht das allabendlich im Sulterkamp im Norden von Essen aus. Das dortige Autokino kann sich vor Nachfrage kaum retten – lange Schlangen und fröhliche Familien wohin man auch schaut. „Hier herüber mit dem BMW und der Bulli muss nach hinten“, brüllt Theaterleiter Frank Pecziak über den Platz, „dann machen wir aber die nächste Reihe auf.“

Es ist wieder mächtig etwas los im Autokino in Essen. „Die Nachfrage ist in den letzten Jahren bereits angestiegen. Wir haben so 50.000 Besucher pro Jahr“, lacht Pecziak, „doch was hier im Moment los ist. Wir sind die nächsten zehn, zwölf Tage ausgebucht.“ Normalerweise ist das Autokino nur ein Teil der Einnahmequelle. Donnerstag findet auf dem großen Areal ein Flohmarkt und am Samstag ein Handel von Gebrauchtwagen statt. Beides ist derzeit wegen der Corona-Pandemie verboten – das abendliche Kino ist erlaubt, weil die Zuschauer separat voneinander in ihren Fahrzeugen sitzen.

Deutschland in der Corona-Zange. Zumindest offiziell darf man nur zum Einkaufen, zum Sport und zur Arbeit raus aus den eigenen vier Wänden. Die Straßen des Ruhrgebiets sind tagsüber jedoch trotzdem voll. Ein Stau auf der A40 – den gibt es auch trotz Corona und die Menschen treibt das schöne Wetter raus. Gerade Eltern mit Kindern wissen nicht, was sie den ganzen Tag mit dem Nachwuchs unternehmen sollen. Mit Freunden spielen ist offiziell verboten, Kinos und Veranstaltungen fallen aus und so ist das Autokino in Essen derzeit mehr Lichtblick als Lichtspielhaus.

Autokino 10

„Wir sind froh, dass wir wenigstens einen Abend einmal rauskommen“, strahlt Peter Weinberg aus seinem Opel Zafira, „die Kinder kämen gerne jeden Abend.“ Die Weinsbergs sind zu viert aus der Nähe von Düsseldorf nach Essen gefahren. Heute Abend gibt es einen Kinderfilm: die Känguru Chroniken. Doch das Programm hat mit Joker, Bad Boys oder Nightlife noch ein paar andere Streifen im Programm, die allabendlich alternieren. Pro Abend gibt es zwei Vorstellungen – um 21 Uhr und kurz vor Mitternacht.

Die Corona-Krise und die damit verbundene Ausgangssperre hat den Autokinos neuen Zulauf verschafft. Sie sind die derzeitig wohl einzige Möglichkeit ungestraft zur Unterhaltung nach draußen zu dürfen. „Unsere Kunden kaufen die Kinokarten online und diese werden durch das geschlossene Autofenster abgescannt“, berichtet Heiko Desch, der in Deutschland mehrere Autokinos betreibt.

Neben dem im Essener Norden locken zum Beispiel automobile Lichtspielhäuser in Köln-Porz und Kornwestheim allabendlich Zuschauer an. „Normalerweise haben unsere Kino 1.000 Parkplätze“, erklärt Desch, „das haben wir zu Corona-Zeiten auf ein Viertel reduziert.“ Der Einzugsbereich ist mächtig. Viele fahren 60 Kilometer und weiter – sogar aus den Niederlanden machen einige Kinofans einen Corona-Ausflug ins Herz des Ruhrgebiets. Der Einritt: schlappe acht Euro pro Person.

Autokino 23

In den Fahrzeugen selbst sitzen maximal vier Personen – zwei Erwachsene und zwei Kinder. Die lokale Snackbar ist derzeit geschlossen, um Gäste und Personal maximal vor Infektionen zu schützen. „Schade – die Burger und insbesondere das Popcorn sind klasse“, sagt Jens, der mit seiner Freundin in einem dunklen VW Golf sitzt und bereits die Sitze nach hinten angekippt hat. Zwischen den beiden stehen Cola und Chips – es kann losgehen. Die Filmfans werden gebeten, das Auto nicht zu verlassen. Nur die Toilette des Autokinos darf besucht werden und hier steht die Damenwelt im Abstand von rund fünf Metern zueinander, weil immer nur eine Person dies gesamte Anlage allein nutzen darf. Doch der Filmgenuss im eigenen Auto ist sonst der gleiche, wie vor Corona-Zeiten. In jedem Auto befinden sich Knabberkram und Getränke, während die Handlung akustisch über die lokale Frequenz von 90,0 Mhz ins Auto gebracht wird und aus den Autoboxen tönt.

Das Autokino Essen gibt es schon seit Jahrzehnten. „Wir spielen jeden Tag und bei jedem Wetter“, erzählt Frank Pecziak, der am Standort Essen vier feste Mitarbeiter und bis zu 30 Hilfskräfte hat, „wir haben zuletzt mächtig investiert. Letztes Jahr den Imbissbereich und erst vor vier Wochen ist der neue Asphaltbelag fertig geworden, der allein eine Million Euro gekostet hat.“ Die wechselnden Reihen sind jeweils angeschrägt, sodass alle durch die Windschutzscheine leicht nach oben auf die überdimensionale Leinwand blicken. Eine ganze Reihe von Autos mit Familien fährt an Pecziak vorbei und wird von den Ordnern eingewiesen.

Längst vorbei sind die Zeiten, in denen einst ein ins Auto hereingehängter Lautsprecher die Handlung plärrte. Gleiches gilt für das Bild, denn die alten 35-Millimeter-Streifen sind lange passé. Digital wird die Handlung auf die überdimensionale Leinwand gezaubert. Noch mehr Hightech gibt im Autokino von Köln-Porz.

Autokino 32

„Hier arbeitet wir seit einiger Zeit mit einer Laser-Projektion, die 60.000 Lumen hell ist“, sagt Kinobetreiber Heiko Desch. Während die Kinos in aller Welt aufgrund des heimischen Angebots von Netflix, Sky oder Amazon Prime darben und von einst 800 Millionen Besuchern im Jahre 2018 auf ein Rekordtief von 100 Millionen Zuschauern fielen, konnten die Autokinos ihre Rückgänge in Grenzen halten. „Viele Autokinos sind in den 60er und 70er Jahren verschwunden, als die Großstädte immer größer wurden und die Flächen für andere Nutzungen gebraucht wurden“, so Desch. Heute gibt es in Deutschland rund 20 Autokinos.

Doch die Zahl steigt. Nachdem die Kinos seit Wochen geschlossen haben und eine Öffnung von Cinemax, Cinestar und Multiplex kaum in Sicht ist, bemühen sich viele Betreiber, kurzfristig neue Autokinos zu eröffnen. „Doch die meisten haben nur eine kleine Leinwand“, lächelt Frank Pecziak, „die ist so groß, wie bei uns die kleine Imbissbude da.“ Sagt’s und weist die nächsten Gäste ein, während die Leinwand nochmals darauf hinweist, im Auto zu bleiben. Gleich geht es los mit den Känguru Chroniken und spät am Abend darf der Joker über die Leinwand tanzen – der Film ist aber erst ab 16 Jahren.

TEXT Stefan Grundhoff, press-inform

LESENSWERT.
WALTER.