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Audi S1 quattro. Die Zeitmaschine.

Wir haben gelernt, dass Gruppe-B-Autos furchterregend, gefährlich und unbeherrschbar waren, und das schlimmste aller Monster war der Audi Quattro S1. Nirgendwo auf der Welt hängen die verbotensten aller Rallye-Früchte so tief wie in San Marino. Da wollen wir doch mal ein bisschen naschen.

Die Bilder sind noch da. Der im Graben stehende Ford RS200 in Portugal. Steine werfendes Publikum. Fahrer im Streik. Dann später die Reifenspuren des Toivonen-Wracks, die Rauchsäule über Corte, Pressekonferenz von FIA-Präsident Balestre. Wir sehen uns auf alten Videos die Bilder von sich teilenden Menschenmassen in San Remo an und den Stepptanz von Walter Röhrl auf den Pedalen des Audi S1 quattro.

Wir wussten damals, dass wir in faszinierenden Zeiten lebten, aber wir hatten schon während der Party das sichere Gefühl, dass der Kater kommen wird. Die Zeit der Gruppe B dauerte nur vier Jahre, sie kommt uns aber viel länger vor, weil sie uns immer noch so beschäftigt. Was auch immer nach 1986 im Rallyesport passierte, gemessen wurden alle Autos aller Epochen an den Geschossen der Gruppe B.

Audi S1 quattro
Michael Gerber, Markus Stier und Audi S1 quattro

Er sieht immer noch verboten aus. Die kantigen Seitenkästen, die angeschraubten Luftleit-Schienen, das Heckleitwerk und dieses Gesicht mit dem wulstigen Kühlergrill, der grob gezimmerten Riesenschürze und den pompösen sechs 100-Watt-Zusatzscheinwerfern, es fällt schwer, dafür passende Worte zu finden.

Skandalschauspieler Klaus Kinski besang einst seine Sucht nach einem Erdbeermund. Das Antlitz des Audi S1 quattro hätte er vermutlich eine obszöne Fresse genannt. Alles außer den Rädern wirkt an ihm überdimensioniert, die Proportionen, eine Katastrophe. Schnauze und Hintern zu lang, das Auto dazwischen zu kurz. Und in der Mitte, unter dem Seitenfenster steht plötzlich dein Name.

Audi S1 quattro

Du willst dich kneifen, aber das ist durch den feuerfesten Anzug gar nicht so einfach. Einstein hat uns klargemacht, dass Zeitreisen unmöglich sind. Aber dann kam Rallyelegend-Organisator Paolo Valli und bewies: Die Physik gilt nur eingeschränkt in Italien. Dazu gehört auch das Phänomen, dass der Zeitplan schon beim Start völlig aus dem Ruder gelaufen ist und im Ziel alle irgendwie rechtzeitig wieder da sind.

Du wartest an der Prüfung „I Laghi“ im Stau vor der Zeitkontrolle, marschierst in leichtem Nieselregen zum Zeitnehmertisch. Neben dir steht leibhaftig Ilka Kivimäki, legendärer Beifahrer des noch legendäreren Markku Alén, der im dunklen Abseits mit Juha Kankkunen diskutiert, welches ihrer beiden Autos in mieserem Zustand ist. Kivimäki grinst und sagt: „Das ist hier alles ein Riesenchaos.“ Der Zeitnehmer stempelt gelassen die Bordkarte und schränkt ein, dass die offiziellen Startzeiten eher theoretischer Natur sind.

Der Audi S1 quattro wird überall gefeiert

Du gehst zurück zum Auto und willst deinem Fahrer gerade stolz mitteilen, dass du neben dem großen „Kiki“ standest, so als richtiger Kollege, aber Michael Gerber stiehlt dir wieder die Schau, denn an seinem Audi S1 quattro drücken sich gerade Vize-Weltmeister Jari-Matti Latvala und Hyundais neuer Held Hayden Paddon die Nasen platt. Valli mag eines Tages zwei Dutzend Delta S4 an den Start bringen, keiner wird es mit diesem Teil aufnehmen. Am Service wird kein Auto öfter bestaunt und fotografiert, auf den Prüfungen keines so frenetisch angefeuert.

Rallye Beifahrer

600 PS hatte das Ding in der Spätphase, und wäre die Gruppe-B-Zeit weitergegangen, hätten die Audi-Ingenieure einfach Lader um Lader mit immer größeren Dimensionen angeschraubt. Gestern Abend rief Michael Gerber zum Lampen-Einstellen auf, im Finstern ging es auf eine entlegene Landstraße.

In zweieinhalb Sekunden geht der Koffer auf 100 Sachen. Bei kalten Reifen schmiert er quer stehend vorwärts.

An deinen Stuhl gefesselt lauschst du dem Dröhnen und Scheppern aller möglichen komplizierten Teile, dem Prasseln der Steine, die von den fetten Pirelli-Slicks gegen die Radhäuser geschleudert werden. Und dann endlich: Dunkelheit, Einsamkeit, und bevor du dich versiehst, tritt der Gerber aufs Pedal, und es reißt die Fuhre nach vorn, und deinen Schädel nach hinten. Wenn der Drehzahlmesser jenseits der Sechstausend auf Achtfünf schnappt, schreien dich von vorn die fünf Zylinder an wie der böse Drache Smaug einen kleinen Hobbit.

In zweieinhalb Sekunden geht der Koffer auf 100 Sachen. Bei kalten Reifen schmiert er quer stehend vorwärts. Sind die Reifen warm, fürchtest du, die Polizei könne dich stoppen, weil du Stücke aus dem Asphalt gerissen hast. Nach jedem zornigen Aufschrei folgt das Zwitschern des Abblasventils. Du schaust beim Schalten unwillkürlich in den Seitenspiegel, als wären dort noch glimmende Raketenstufen zu sehen, die von diesem Projektil ins All gestoßen werden.

Audi S1 quattro

All die Kräfte, die am bösesten aller Sport-Quattro zerren, wären nur halb so eindrucksvoll ohne die Geräuschkulisse. Viele Rallyeautos, die von draußen gut klingen, sind drinnen eine Enttäuschung. Du hörst vor allem heulende Getriebe und rauschende Gegensprechanlagen. Im Audi S1 quattro dagegen ist der Sound noch wüster als draußen. Dieses Ding ist geschmiedet aus Feuer und Eisen, ein Monument unbändiger Wut, und du sitzt mitten im Maschinenraum.

Der Audi S1 quattro von Michael Gerber ist vermutlich der bestvorbereitete der Welt. Viele Teile sind erneuert, die Originale lagern sorgfältig verpackt in Kisten daheim, ebenso wie das stufenlose PDK-Getriebe, bei dem das Auto wie vom Katapult geschossen davonfliegt. Aber das komplizierte Schaltwerk mit Doppelkupplung ist zu wertvoll und zu empfindlich, die manuellen sechs Gänge tun es auch.

Michael Gerber fasst zusammen: „Ich glaube, Leistung ist da.“

Was fehlt, ist ein Monitor am Armaturenbrett. Denn hinten hockt eine Kamera auf dem Flügel und filmt meterlange Flammen, die beim Schalten aus dem Endrohr schießen. Es ginge noch ein bisschen heftiger vorwärts bei eingeschaltetem Umluftsystem, mit dem die fette, träge Turbine ordentlich auf Trab gehalten wird. Aber das verringert die Halbwertszeit des Laders, und wer als S1-Frischling den Tiger reitet, hat was Besseres zu tun als Zähne nachzählen. Michael Gerber fasst zusammen: „Ich glaube, Leistung ist da.“

Audi S1 quattro

„Imprrrressive car“, sagt Luis. Und weil er Luis Moya ist, hat das Wort natürlich mindestens vier rollende Rs, und du wartest nach jedem seiner von der Pistole abgeschossenen Sätze, dass nach dem Punkt auch bei ihm ein Abblasventil zu zischen beginnt. Der zweimalige Weltmeister an der Seite von Carlos Sainz hat schon in vielem gesessen, aber er gesteht, dass die Quattro-Erfahrung eine neue Dimension ist. Doch Luis darf erst am Samstag bei Gerber einsteigen, weil der den blutigen Amateur und Autor dieser Zeilen zur Nachtetappe eingeladen hat.

Es ist eine besondere Auszeichnung, denn der Rallye-Profi aus den Neunzigern liebt das Fahren im Dunkeln. „Eigentlich könnte ich nach dieser Etappe schon aufhören“, sagt er. Aber zum Genuss gehört eben auch die Pflicht. Trainieren der zwei doppelt gefahrenen Prüfungen bei Tag, danach im Dunkeln in einem Golf R. Das Vorlesen des Schriebs passt relativ fix, aber das ist alles graue Theorie, weil Zeitlupe. Reizüberflutet von all dem Papier wie Roadbook (mit ein paar spontanen Änderungen per Bulletin), Gebetbuch, Service-Plan und Bordkarte geht es im Audi S1 quattro in die Nacht.

Beim Trainieren liest du eine 100-Meter-Gerade vor und denkst, da könntest du mal kurz dein Hirn lüften, mal in Ruhe atmen. Vergiss es. Der Audi S1 quattro mag sich mit fast festgeschraubtem Hintern und schiebener Schnauze um die Ecken ackern, aber die Geraden saugt er auf wie ein schwarzes Loch. Manchmal kommt der Dilettant auf dem rechten Stuhl mit dem Lesen nicht hinterher, manchmal schweigt er betreten und sucht hastig den Anschluss. Auf WP2 kleben die Seiten sechs und sieben eisern zusammen, der Copilot ist nutzlos. Aber Michael Gerber kennt die Prüfungen seit Jahren, das Tempo sinkt nicht wirklich.

Hektisch reißt der arme Kerl seinen Lancia in einem Linksabzweig nach rechts, als hätte er Angst, von einem Photonentorpedo atomisiert zu werden. 

Wenn du als Beifahrer im Audi S1 quattro versagst, hat das einen großen Vorteil: Du kannst endlich die Fahrt genießen, einem der tollsten Motoren aller Zeiten lauschen und Bäume, Häuser und Zuschauer auf dich zuschießen sehen. Gerber ist einer der Wenigen, die es bei der Rallylegend richtig krachen lassen, und die Leute flippen völlig aus. Auf den achteinhalb Kilometern von „La Casa“ flackern kurz nach Halbzeit Rücklichter auf. Ein armer, reicher Italiener spürt die rotglühende Hitze und das kalt gleißende Licht im Rücken. In rund drei Minuten hat ihm Gerber 30 Sekunden abgenommen. Hektisch reißt der arme Kerl seinen Lancia in einem Linksabzweig nach rechts, als hätte er Angst, von einem Photonentorpedo atomisiert zu werden.

Es dauert kaum anderthalb Minuten, da taucht der nächste auf. Er geht erschrocken vom Gas und wird auf einer 50-Meter-Geraden Spiegel an Spiegel aufgeschnupft. Als es vorbei ist, die Helme abgenommen, dreht sich Michael Gerber nach rechts und grinst: „Kann nicht jeder von sich sagen, dass er auf einer Prüfung zwei Delta S4 überholt hat.“

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All die Jahre hast du diese Maschinen nur auf Fotos, in Filmen und selten auch mal von außen gesehen, und jetzt sitzt du plötzlich mitten drin. Zu den alten Bildern sind neue gekommen, und sie werden bleiben. Flinke Mechaniker-Hände, die in einer Dreiviertelstunde eine ausgefallene Servolenkung reparieren. Das Echo des Donners in den engen Gassen der Altstadt von San Marino, eine Perlenschnur aus Delta-S4-Rücklichtern an der Zeitkontrolle, und der eine, der hektisch rechts ins Gras fährt und aus dem Lichtkegel verschwindet. Gemächlich geht es Richtung Service Park, zurück in die Gegenwart. Plötzlich beschleicht dich das Gefühl, du könntest morgen aufwachen und zweifeln, ob das alles wirklich passiert ist. „Weißt du was, Gerber? Gib noch einmal Gas.“

TEXT Markus Stier
FOTOS Daniel Fessl

LESENSWERT.
WALTER.